Terror-Clowns und Horror-Maschinen

Ich mag keine Horrorfilme. Wirklich nicht. Vor allem die nicht, die Psychospielchen mit einem spielen. Sich gruseln ist eine Mischung aus Angst und Nervenkitzel. Bei mir überwiegt die Angst und nicht der Nervenkitzel. Als die „älteste und stärkste Gemütsbewegung, die die Menschheit kennt“, bezeichnete H.P. Lovecraft die Angst in seinem Essay Unheimlicher Horror. Dabei ist „die älteste und stärkste Art von Angst […] die Angst vor dem Unbekannten.“ Dieser „kosmischen Angst“ stellt er die „bloß körperliche Furcht und [das] auf Erden angesiedelte Grauen“ gegenüber. Letzteres ist laut Lovecraft das banale „blutige Gerippe oder eine weißverhüllte Gestalt, die – den Regeln gehorchend – mit Ketten rasselt.“ Das andere ist eine „wahrhaft unheimliche […] Erzählung“, die mehr bieten muss. Und zwar „eine gewisse Atmosphäre atemberaubender und unerklärlicher Furcht vor äußeren, unbekannten Mächten“. Anders gesagt, ist das eine die Angst vor dem, was man sieht und das einen abstößt und das andere die Angst vor dem, was man erahnt. Und in der Tat fürchten wir uns am ehesten vor dem, was wir nicht sehen. Der schlimmste Horror spielt sich in unserer Fantasie ab. Dort malen wir die Dinge aus, deren Existenz uns nur angedeutet wurde. Und diese sind schlimmer als alles, was uns im Detail beschrieben werden könnte. Am Ende von Sieben sehen wir nicht in die Kiste. Am Ende von The Ring muss die Videokassette dennoch kopiert werden. Relativ am Ende von True Detective sehen wir nur die Reaktion des Mannes auf die Gräueltat im Video – seine geradezu physische Reaktion und Abscheu davor. Was hat er gesehen? Ich mag es mir gar nicht ausmalen und kann dennoch nicht umhin.

An meine erste Erfahrung mit dieser Art von Angst kann ich mich noch gut erinnern. Sie hatte zu tun mit einer Geschichte, die genau diese Angst vor dem Unerklärlichen zum Thema hatte. Es ging um eine Gruppe Kinder, alles Außenseiter, die von einer nicht näher beschriebenen dämonischen Macht terrorisiert wurden. Diese Macht hatte bereits andere Kinder getötet. Oft nahm sie die Form eines Clowns an, der sich Pennywise nannte.

Diese Macht konnte den Kindern nur etwas anhaben, wenn sie glaubten, dass sie existierte. Sie lebte von der Angst anderer. Besiegt werden musste sie mit Einbildungskraft und dem Glauben an diesseitige Dinge: Haustiere, das eigene Fahrrad, ein Asthmainhalator. Die Rede ist von Stephen Kings Es. Schon wenn ich hier diesen Titel tippen muss, wird mir wieder ganz anders. King hatte damals die Angewohnheit, Dinge, die unzweideutig positiv besetzt sind – Kinder, Clowns, kuschelige Haustiere – in unnachgiebige Monster zu verwandeln. Ich habe als Teenager so einiges von ihm gelesen und gesehen. In den 1990er-Jahren wurden viele seiner Bücher fürs Kino und Fernsehen verfilmt. Aber nichts hat mir so zugesetzt wie Es. Ich habe wochenlang schlecht geschlafen und einfach jeden wegen dieser Serie zugetextet, der zugehört hat. Wahrscheinlich der Versuch zu rationalisieren.  Die Miniserie ist von 1990; ich muss sie etwas später gesehen haben, so mit 14 Jahren. Durch die jungen Protagonisten war das Identifikationspotenzial groß. Und was einem da in Form von Tim Curry unter Tonnen von Make-up ins Gesicht starrte, war das reine unverfälschte Böse. Der Titel kam nicht von ungefähr: Es, das Undefinierbare, das Unfassbare, das Unerklärliche. Auch wenn es verschiedene Gestalten annahm, so war sein Ursprung doch ungewiss. Der Gruselclown lebte in der eigenen Fantasie und terrorisierte einen dort. Leider verwandelte sich dieses Unfassbare am Ende in eine Riesenspinne, die besiegt wurde. Kein besonders gelungener Kniff. Doch da hatte der Clown schon den stärkeren Eindruck gemacht.

Meine erste Begegnung fand jedoch mit der diesseitigen Angst statt. Als ich ungefähr 12 oder 13 war, besuchte meine Familie Freunde in deren Garten. Die Erwachsenen saßen unten noch lange beisammen und mein Bruder und ich wurden im ersten Stock zur Nachtruhe gebettet. Der Sohn besagter Freunde hielt es für eine gute Idee, uns den ersten Terminator-Film anzumachen – als Gutenachtgeschichte sozusagen. Ich habe nachts den gesamten Film nochmal geträumt, selbstredend mit mir in der weiblichen Hauptrolle. Die Tatsache, dass ich das noch weiß, sagt so einiges über den Eindruck aus, den der Film hinterlassen hatte. Hier handelte es sich allerdings um eine andere Art von Angst. Der Terminator war furchteinflößend durch seine Unerbittlichkeit: kein Gefühl, kein Zögern, kein Gewissen, keine Reue. Auch wenn der Film so einiges tat, um Arni zusätzlich noch schaurig aussehen zu lassen: mit zunehmend abgewetztem Gesicht und dem leuchtend roten Höllenauge. Doch das war nicht das eigentlich gruselige. Das Unheimliche war, dass die Maschine zunächst unbesiegbar schien. Ein Prinzip, dass in den späteren Teilen mit den Nachfolgern ebenfalls gut funktionierte. Dennoch war sie ein Ding, ein sehr „auf Erden angesiedeltes Grauen“. Etwas Sichtbares und sehr wohl Greifbares.

Und deswegen konnte die Maschine mit dem Clown nicht mithalten. Der Clown war einfach nur grauenerregend unheimlich.
Das Böse hatte ein freundliches Gesicht und kein Motiv. In seiner puren Form war es so gruselig, weil es im Wortsinne unfassbar war. Und wenn es keinen Grund und keine Erklärung gab, gab es auch keinen Grund, aufzuhören. Keinen Ausschaltknopf. Bei einer Maschine konnte man annehmen, dass sich da schon einer finden würde. Früher oder später. Und so war die Unerbittlichkeit der Maschine letztendlich weitaus weniger furchterregend als die schaurige Unerklärlichkeit des Clowns. Mit dem kettenrasselnden Gespenst kann ich definitiv besser als mit der unbekannten Macht.

Es ist also nicht verwunderlich, dass ich mich mit der Maschine inzwischen angefreundet habe. Ich bin ich großer Fan des ersten, aber vor allem des zweiten Terminator-Films. Diese Filme entwickeln in Zeiten von allgegenwärtiger Technik und Snowden-Enthüllungen eine ganz andere Art von Unheimlichkeit. Nämlich die, die sich einstellt, wenn Science-Fiction zu Gegenwart wird. Aber die andere Art der Angst, das unerklärliche Böse, das kriegt mich nach wie vor und lässt mich nicht schlafen. Naja, außer bei The Shining. Da bin ich mal währenddessen weggeschlummert. Das letzte, was ich noch weiß, ist, dass literweise Blut eine Treppe herunterfloss. Doch vielleicht hatte ich das auch schon geträumt. Aber eigentlich mag ich keine Horrorfilme. Wirklich nicht.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.