Auflösung Filmquiz

Die Kamera verfolgt horizontal schwenkend einen kleinen Jungen, der wie ein Schlafwandler auf das Bett seiner schlafenden Mutter zugeht und vom Nachttisch ein riesiges Messer aufnimmt. Dabei murmelt er mit einer Stimme, die eher an den heiseren Gollum als an die eines Kindes erinnert, unablässig das Wort „Redrum“. Nun läuft er zum Schminktisch der Mutter, nimmt dort einen Lippenstift und schreibt damit anschließend das rätselhafte Wort auf die Tür des Schlafzimmers. Als der Junge mit erhobenem Messer nun direkt vor seiner Mutter steht, wird sein Murmeln fast zu einem Schreien. Der Kinozuschauer kann kurz aufatmen, als die Mutter wach wird und ihren Sohn in den Arm nimmt, doch die beruhigende Wirkung hält nicht lange an. Durch einen schnellen Zoom samt einem Akkord aus Pendereckis Utrenja springen wir der Mutter förmlich ins erschrockene Gesicht, denn über die Schulter des Jungen schaut sie in einen Spiegel und erkennt die Bedeutung des Wortes „Redrum“, das nun rückwärts zu lesen ist.
Filmquizauflösung tv diskurs 80 (2/2017), Shining (c) Warner Home Video

Ähnlich wie beim Schutz der Bibliothek in Der Name der Rose oder beim Erkennen der liebsten Wünsche in Harry Potter und der Stein der Weisen ist es ein Spiegel, der die Dinge verkehrt und dabei als Schlüssel zu einer verborgenen Wahrheit dient. Doch kaum enthüllt, kündigt sich schon das nächste Unheil an: „Mord“, so lautet die warnende Botschaft des Jungen, die er selbst nie zu lesen verstand. Nur kurze Zeit später versucht der Vater des Kindes ihn und seine Frau umzubringen.
Filmquizauflösung tv diskurs 80 (2/2017), Shining (c) Warner Home Video
Als er mit einer Axt die Tür des Badezimmers, in dem sich beide verstecken, einschlägt, schreit er durch den Spalt einen der meist zitierten und furchteinflößendsten Sätze der Filmgeschichte: „Here’s Johnny!“.

Die richtige Lösung unseres Zitaterätsels lautet diesmal:

D       Shining (1980)

Stanley Kubricks einfallsreiche, aber auch eigenwillige Adaption des Stephen-King-Romans The Shining gilt heute als ein Klassiker des modernen Horrorfilms, fiel aber bei den Kritikern seinerzeit gnadenlos durch. Warum hatte sich der Regisseur von Meisterwerken wie 2001 – Odyssee im Weltall oder Uhrwerk Orange dazu hinreißen lassen, einen relativ trivialen Horrorroman zu verfilmen? Und auch der Autor selbst war mit der filmischen Umsetzung nicht zufrieden. Von all den Verfilmungen seiner Romane sei dies die einzige, die er wirklich hasse, schrieb Stephen King. Vielleicht sogar verständlich, denn von seinem Roman blieb nur ein Gerüst. Die Hauptfigur in Kings Geschichte, Jack Torrance, ist ein gescheiteter Schriftsteller, der mit seiner Familie in einem eingeschneiten Hotel während des Winters Hausmeisterdienste verrichtet. Nach und nach wird er vom übernatürlichen Bösen überwältigt, bemüht sich aber mit allen Kräften, auf der Seite des Guten zu bleiben. Die Bedrohung durch Geister und Gespenster ist für den Leser rational deutbar, wodurch sich der Schrecken ganz gut bewältigen lässt.
Stanley Kubrick wählt für seinen Horrorfilm einen anderen Weg, indem er fast ohne Schockmomente wie knarrende Türen oder überlange Schatten auskommt und nahezu alles Übernatürliche vollständig aus seiner Erzählung streicht. Vielmehr präsentiert er kleine Puzzleteile, die es – ähnlich wie in David Lynchs Filmen – zu entschlüsseln gilt. Bei Kubrick geht es weniger um klassische Horrorszenarien als vielmehr um den Schrecken der Entfremdung und die Angst vor dem Nächsten, in diesem Fall vor dem eigenen Vater und Ehemann. Statt seine Familie, wie im Buch, vor sich selbst zu retten, jagt Jack Torrence sie im Film quer durch das verlassene Hotel, um sie mitleidslos umzubringen. Die Furcht wird allgegenwärtig. Jeder, auch Jacks kleiner Sohn Danny, ist hier auf sich selbst gestellt. Damit wirken die Ängste beim Publikum viel existenzieller und vielschichtiger.

Die Mondlandung hat nie stattgefunden

Wer sich selbst als einen Freund von Verschwörungstheorien bezeichnen würde, dem sei als Ergänzung zu Shining Rodney Ashers Dokumentarfilm Room 237 dringend empfohlen. Die hier vorgestellten Fans von Stanley Kubricks Film als obsessiv oder besessen zu bezeichnen, wäre stark untertrieben. Ganze Jahre haben die fünf Personen damit zugebracht, den Film in seine Einzelteile zu zerlegen, um geheime Botschaften zu entdecken, versteckte Nachrichten zu decodieren und um Hinweise für ihre eigene, alleingültige Interpretation zu finden. Der Film Shining dient ihnen als Schlüssel zur absoluten Wahrheit.
Stanley Kubrick war berühmt dafür, dass in seinen Filmen nichts dem Zufall überlassen blieb. Was hat es also zu bedeuten, wenn man in zwei Szenen im Hintergrund eine Dose Backpulver namens „Calumet“ stehen sieht, auf der das Konterfei eines Indianers mit Federschmuck zu sehen ist? Und warum wirft Jack Nicholson einen Tennisball mehrmals gegen einen indianischen Wandteppich? Für Bill Blakemore ist das eine klare Sache: Er ist überzeugt, dass der Film in verklausulierter Form den Völkermord an den nordamerikanischen Indianern verarbeitet.
Der Geschichtsprofessor Geoffrey Cooks hat jedoch eine ganz andere Theorie und glaubt, stichhaltig beweisen zu können, dass Kubrick in seinem Film den Holocaust thematisiert. Dafür hat er sich „Shining“ nicht nur unzählige Male, sondern auch mehrmals Einzelbild für Einzelbild angeschaut und z.B. entdeckt, dass Jack auf einer alten deutschen Schreibmaschine tippt. Darüber hinaus läuft im Fernsehen der Film „Summer of ‘42“ und Jacks Sohn Danny trägt nicht nur ein T-Shirt mit der Aufschrift 42, sondern er wiederholt auch genau 42 Mal das Wort „Redrum“. Wer jetzt weiß, dass 1942 die Nationalsozialisten die Vernichtung der Juden beschlossen, kann eins uns eins zusammenzählen.
Doch die sonderbarste Theorie vertritt Jay Weidner, der Shining als Beweis dafür sieht, dass die Mondlandung der Apollo 11 im Jahre 1969 nie stattfand und in Wahrheit von Stanley Kubrick im Studio nachgestellt und gedreht wurde. Warum sonst sollte Danny in einer Szene ein T-Shirt mit der Aufschrift Apollo 11 tragen? Weshalb sieht das Muster des Hotelteppichs genauso aus wie die „Apollo“-Startrampe? Und wenn diese sich von einer Szene zur nächsten um 180 Grad dreht, müsste doch auch dem letzten Zuschauer klar sein, dass Kubrick uns hier eine Anspielung auf seinen Apollo-Fake förmlich auf dem Tablett präsentiert.
P.S. Der Autor des Artikels war übrigens genau 42 Jahre alt, als er Shining zum ersten Mal sah. Zufall?