Die Moral eines geheimen Krieges. Homeland – der Blick in eine paranoide Gesellschaft

Gestern erschien bereits der erste Teil des Vergleichs der Serien 24 und Homeland aus der tv diskurs-Artikelreihe Moral in Serien, die wir auch hier im FSF-Blog veröffentlichen.

Homeland – der Blick in eine paranoide Gesellschaft

Die gebrochene Persönlichkeit hat 24-Hauptfigur Jack Bauer (Kiefer Sutherland) durchaus gemeinsam mit der CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes), eine der Hauptfiguren der von Fox 21 für den Sender Showtime produzierten Dramaserie Homeland.

Wie schon der Vorspann der Serie verrät, kämpft Carrie seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegen den islamistischen Terror. Seinerzeit versagt zu haben, geht ihr nach. Sie hat im geheimen Krieg des Terrors seelischen Schaden genommen, ist traumatisiert, hat eine bipolare Störung ihrer Persönlichkeit entwickelt. Sie schluckt Pillen gegen ihre manisch-depressiven Gemütszustände. Gegenüber ihrem Vorgesetzten bei der CIA, David Estes (David Harewood), und auch gegenüber ihrem Mentor und Vertrauten, dem CIA-Sicherheitsexperten Saul Berenson (Mandy Patinkin), verschweigt sie ihre Krankheit. Ihnen erscheint Carrie als merkwürdig und sonderbar – besonders, als sie mit einer ganz besonderen Verschwörungstheorie daherkommt: Carrie hat unter dramatischen Umständen von einem Informanten in Bagdad den Hinweis erhalten, dass ein lange im Irak in der Kriegsgefangenschaft gehaltener US-Soldat von den Terroristen „umgedreht“ wurde.
Der Soldat würde nun bald freigelassen. Als Kriegsheld gefeiert, so das Kalkül der Terroristen, werde er schnell Zugang zu sensiblen Bereichen der US-Politik und des Militärs haben. Dadurch könnte er einen spektakulären Anschlag gegen die USA durchführen.

Als wenig später der Marine Nicholas Brody (Damian Lewis) tatsächlich unter mysteriösen Umständen befreit werden kann und sogleich als Kriegsheld im Heimatland gefeiert wird, sieht Carrie in ihm den besagten „Schläfer“ und mutmaßlichen Selbstmordattentäter. Berenson gibt ihr die Chance, illegal gegen Brody zu ermitteln, ist von Carries Ergebnissen und Hinweisen dann aber keineswegs überzeugt. Estes lehnt Carries Theorie sogar komplett ab. So kann Brody mit Unterstützung des US-Vizepräsidenten im Verlauf der ersten Staffel an einer politischen Karriere arbeiten, während Carrie mehr und mehr den Halt verliert.
Nicht alles, was sie zum Verhalten Brodys vorhersagt, tritt ein. Um sich zu vergewissern, ob Brody der ist, für den sie ihn hält, nähert Carrie sich Brody an. Sie verliebt sich in ihn. Es kommt zu einer kurzen Liebesaffäre, die abrupt endet als Brody von Carries Ermittlungen gegen ihn erfährt.
Als ein zweiter, für tot gehaltener US-Marine, ein Mithäftling Brodys, überraschend auftaucht und offensichtlich einen Anschlag auf den Vizepräsidenten plant, ist Carrie am Ende der ersten Staffel bei der CIA endgültig im Abseits. Dabei liegt Carrie mit ihrem Verdacht gegen Brody genau richtig.

Ähnlich wie die Heldenfigur Jack Bauer folgt auch der Carrie-Charakter einem klaren Wertekompass. Auch Carrie kämpft gegen die Bedrohung ihres Landes. Doch dieser Kampf ist seit den Verwerfungen der Bush-Ära noch komplizierter geworden und die Kämpfer drohen hieran zu zerbrechen. Die Fronten im Terrorkrieg sind verschwommen. Ein klassisches Gut-Böse-Schema gibt es nicht mehr. Wer Freund und wer der Gegner ist, kann nicht mehr so einfach ausgemacht werden. Dadurch wächst die Paranoia der Gesellschaft. Überall werden Feinde vermutet.

Die Reaktionen der CIA-Mitarbeiter auf Carries Verschwörungstheorie spiegeln diesen gesellschaftlichen Zustand, wenn sie Verfolgungswahn hinter Carries Anfeindungen des „Kriegshelden“ vermuten. Durchaus realistisch zeigen die Homeland-Macher, dass ein Alleingang von Carrie zu nichts mehr führt. Schließlich übermannt sie ihre Erkrankung. Sie flüchtet in die Depression, wo Jack Bauer in die Aggression auswich. Besser kann man den Umschwung von der Bush-Ära zur Obama-Zeit kaum in Fiktion personifizieren.
Mit dem Beginn der Präsidentschaft von Barack Obama gingen die Zeiten von „Mr. America“ als „Weltpolizist“ vorerst zu Ende. Obama lehnte militärische Abenteuer ab und verfolgte eine neue außenpolitische Strategie, die zwar die Führungsrolle der USA unterstreicht, den USA aber zugleich auferlegt, sich bei Weltkonflikten zunächst einmal im Hintergrund zu halten. Diese „leadingfrom-behind“-Doktrin, die der US-Präsident gerade im Mai 2014 mit einer Grundsatzrede in der Militärakademie West Point bekräftigte, führte zu manchen Verwerfungen und Irritationen in der US-Außenpolitik. Diese wiederum zogen auch manche Verunsicherung im militärischen Apparat und in den Geheimdiensten der USA nach sich. Auch diese Situation spiegelt Homeland und zeigt, dass die Aktionen von Carries CIA-Vorgesetzten, die strikt nach Vorschrift handeln, einen möglichen Anschlag nicht verhindern können.

Der „umgedrehte“ Wertekompass

Dass dieser Anschlag in der ersten Staffel nicht stattfindet, ist einzig und allein einem technischen Defekt an Brodys Sprengweste und den Gewissensbissen des Marines selbst zu verdanken, der sich – nachdem er die Sprengweste repariert hatte – zusammen mit dem US-Vizepräsidenten hätte in die Luft sprengen können. Er hat es nicht getan. Auch Brody folgt einem klaren Wertekompass. Zu seinen Werten zählen der Schutz der Menschenrechte, wie etwa das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Ähnlich wie Jack Bauer befolgt auch Brody einen Ehrenkodex, den Ehrenkodex der Marines. Doch diesen haben – in Brodys Augen – die USA selbst durchbrochen, als der US-Vizepräsident den Befehl zu einem Drohnenangriff auf eine Schule im Irak gab, wohlwissend, dass sich dort Kinder und Zivilisten aufhalten. Bei diesem Angriff starb ein irakischer Junge, mit dem Brody sich in der Haft angefreundet hatte. Brodys Hass auf den Vizepräsidenten wird nun zur Waffe des Terroristen Abu Nazir (Navid Negahban), der Brodys Rachegefühle benutzen möchte, um einen neuen schweren Anschlag auf die USA zu realisieren.

Doch Brody verhält sich nach seiner Rückkehr in die USA nicht wie ein fanatisierter „Roboter-Terrorist“, bei dem man nur auf den Knopf drücken muss, um die Bombe zu zünden. Brody kehrt zurück in sein familiäres Umfeld, sieht sich mit den Anforderungen und Hoffnungen auf einen Neuanfang seiner Frau Jessica (Morena Baccarin) konfrontiert. Sie hatte Brody schon aufgegeben und sich seinem Freund und Kollegen Mike zugewandt. Brody sieht seine Kinder wieder, erlebt, wie sie sich über seine Rückkehr freuen, aber auch, wie sie ihn als Familienvater fordern. In diesem emotionalen Beziehungsgeflecht einer Familie, die nach langer Trennung langsam wieder zueinanderfindet, fällt es Brody, der zum Islam konvertiert ist, zunehmend schwerer, seine Doppelexistenz zu verbergen.
Im Moment der Entscheidung, in dem Brody kurz davor ist, sich zusammen mit dem Vizepräsidenten in die Luft zu sprengen, erinnert ihn seine Tochter daran, dass er etwas zu verlieren hat, dass er Verantwortung trägt für seine Familie, für seine Kinder. Als „Clou“ für Brodys Entscheidungsfindung spielen die Homeland-Macher hier also wieder einmal die traditionellen, uramerikanischen Familienwerte aus und betonen deren Value im Vergleich zu den politischen Werten, aus denen heraus Brodys Rache erwachsen ist.

Aufgrund des „umgedrehten“ Wertekompasses verhält Brody sich unberechenbar. Das wiederum lässt Brody über weite Strecken glaubwürdig, Carrie, seine größte Widersacherin, dagegen unglaubwürdig erscheinen. Zum Glück weiß es der Zuschauer am Ende der ersten Staffel besser.

Fazit

Die beiden Produzenten Alex Gansa und Howard Gordon, die auch schon bei der Actionserie 24 (2001 – 2010) dabei waren, schreiben mit der Dramaserie Homeland (seit 2011) ihre (Fernseh-) Geschichte über den Krieg gegen den Terror fort. Dabei übertragen sie die Eigenschaften ihrer klassischen Heldenfigur aus 24 – klarer Wertekompass, aber zunehmend gebrochene Persönlichkeit – auf die beiden Hauptfiguren ihrer neuen Serie. Am Ende von 24 war der Wertekompass des Helden trüb geworden, die Deformation seiner Persönlichkeit unverkennbar. Hieran knüpfen Gansa/Gordon in ihrer Figurenkonstellation von Homeland an. Die weibliche Hauptfigur Carrie zerbricht hier in der ersten Staffel an ihrem Versuch, mit vermeintlich klarem Wertekompass erneut die USA retten zu wollen. Sie muss sich am Ende erst einmal selbst neu finden. Und die klassische (Kriegs-) Heldenfigur Brody ist von Anbeginn an eine zwielichtige Person, der der Zuschauer mit Zweifel begegnet.

Klare Identifikationsfiguren kann Homeland nicht mehr bieten – zu komplex, zu verwirrend ist der Krieg gegen den Terror geworden, vor dessen authentischem Hintergrund Gansa/Gordon auch ihre neue Seriengeschichte angelegt haben. Brody lebt in der Tat mit einem „verkehrten“ Wertekompass, weil auch das Handeln einzelner Mitglieder der Regierung, die ihn in denKrieg geschickt hat, „verkehrt“ war. Die Brody-Figur ist in ihrem Bemühen, ihre Doppelexistenz zu verbergen, der Breaking Bad-Hauptfigur Walter White durchaus ähnlich, doch werden Brodys Familienprobleme – zumindestam Ende der ersten Staffel – mit dem Verweis auf die traditionellen US-Familienwerte recht konservativ und konventionell gelöst, während die Breaking Bad-Macher hierfür weitaus innovativere Lösungen gefunden haben (vgl. Barg 2014, S. 80 ff.).

Der Beitrag Die Moral eines geheimen Krieges – Ein Vergleich der Serien 24 und Homeland aus der Artikelreihe Moral in TV-Serien erschien in tv diskurs 69/2014.

Über Werner C. Barg

Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Kino und Fernsehen. Außerdem ist er Regisseur von Kurz- und Dokumentarfilmen sowie Filmjournalist. Seit 2011 betreibt er als Produzent neben seiner Vulkan-Film die herzfeld productions im Geschäftsbereich der Berliner OPAL Filmproduktion GmbH. Zusätzlich engagiert sich Werner Barg als Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vertritt er die Professur „Audiovisuelle Medien“.