„Ich habe mir gewünscht, dass es kein Morgen mehr gibt“

Wie das Fernsehen über Ausländer berichtet

Von Dr. Thomas Hestermann, Medienwissenschaftler und Professor für Journalismus an der Hochschule Macromedia in Hamburg und Berlin.

Das Fernsehen hat den gewalttätigen Ausländer als Angstfigur neu entdeckt. Während sich die Zahl der aktuellen TV-Berichte über nicht deutsche Gewalttäter seit 2014 vervierfacht hat, sind Anschläge auf Flüchtlinge und Zugewanderte kaum ein Thema. Politik und Behörden bestimmen die Debatte, Ausländer selbst kommen kaum zu Wort.

Es ist ein lauer Frühlingsabend, als eine 23-jährige Studentin mit ihrem 26-jährigen Freund in den Wiesen an dem Flüsschen Sieg bei Bonn ein Zelt aufschlägt. Die beiden lachen miteinander, hören Musik aus ihrer JBL-Box. Es wird dunkel, sie werden müde und kriechen in ihre Schlafsäcke. Kurz nach Mitternacht bricht das Grauen über sie herein. Es ist eine wahre Geschichte, geschehen in der Nacht zum 2. April 2017. Aber es ist so, als hätte sie jemand erfunden, um einer Angst Gestalt zu verleihen, die bereits in den Alltag eingedrungen ist. Ein Erzähler mit gnadenlosem Sinn für jedes schreckliche Detail, selbst wenn es noch so klischeehaft erscheint. Ein Erzähler ohne jede Scheu vor der giftigen Wirkung seiner Geschichte.
Die 23-Jährige studiert in Freiburg. Kurz zuvor ist dort eine Kommilitonin vergewaltigt und ermordet worden. Der Fall hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt – erst recht, als ein afghanischer Asylbewerber unter dringenden Tatverdacht geriet. Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke erwehrte sich in einem Facebook-Chat der wütenden Kritik, dass die Tagesschau nur deshalb nicht berichtet habe, um das wahre Ausmaß der Gewalt von Eingewanderten und Geflüchteten zu verschleiern. Unsinn, entgegnete Gniffke, die Tagesschau berichte nicht über einzelne Verbrechen, seien sie noch so grausam, und habe das ja auch anfangs nicht getan, als über den Tatverdächtigen noch gar nichts bekannt war. Diese Geschichte wird wieder wach, als die 23-jährige Studentin und ihr Freund in der Bonner Siegaue zelten. Sie offenbart, wie sie im Dunkeln am Fluss die Angst beschleicht. Ihr Freund versucht, sie zu beruhigen. Dann hören sie einen Mann in gebrochenem Englisch fluchen. Mit einer gekrümmten Astsäge zerfetzt er das Zelt, brüllt und verlangt Wertsachen. Er zwingt die junge Frau, nach draußen zu kommen, beschimpft sie als „bitch“ und vergewaltigt sie. Der 31-Jährige ist, wie sich später herausstellt, ein abgelehnter Asylbewerber aus Ghana. Ein Reporter von Focus Online rekonstruiert die Tatnacht. Die Tat wird in den sozialen Netzen vielfach als Folge einer verfehlten Flüchtlingspolitik diskutiert. Fantasien der Selbstjustiz und Kritik an einer verharmlosenden Lügenpresse machen sich breit. „Keine Meldung im Radio oder Fernsehen, fast niemand berichtet über diesen Ekelfall, dabei gehört er eigentlich in die Tagesschau – mindestens“, heißt es in einem fremdenfeindlichen Portal am Tag nach der Tatnacht. Tatsächlich wird kurz darauf über die Gewalttat in zahlreichen Fernsehsendungen berichtet, nicht aber in den Hauptnachrichten von Tagesschau und heute. Die Mehrzahl der TV-Nachrichten zeigt das Phantombild der Polizei.

Was sprach dafür, was dagegen, die Tat zu vermelden und den mutmaßlichen Täter zu zeigen? Wie befördert eine Berichterstattung über spektakuläre Straftaten, die von nicht deutschen Gewalttätern begangen werden, eine fremdenfeindliche Stimmung? Und stellt sich Medienverantwortlichen diese Frage überhaupt oder zählen allein Relevanz und Publikumsinteresse? In unserer nunmehr zehnjährigen Forschung an der Hochschule Macromedia zur Gewaltberichterstattung des deutschen Fernsehens, unterstützt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) (Hestermann 2010; 2016), gehört die Thematisierung sowohl ausländischer Tatverdächtiger wie ausländischer Gewaltopfer zu den forschungsleitenden Fragen. In diesem Jahr haben wir erstmals den Blick auf die gesamte Berichterstattung der Fernsehnachrichten und TV-Boulevardmagazine über Zugewanderte und Geflüchtete in Deutschland erweitert und um eine Analyse der Zeitungsberichterstattung ergänzt.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag, der in der Printausgabe der tv diskurs (Ausgabe 82) Mehr als Kommunikation. Mediennutzung in der digitalen Welt erschienen ist, unter http://tvdiskurs.de/. Unter diesem Link erhalten Sie den Beitrag als PDF zum Download.

Über tv diskurs

Die Fachzeitschrift tv diskurs – Verantwortung in audiovisuelle Medien informiert wissenschaftlich, pointiert und verständlich über aktuelle Entwicklungen im Bereich des Jugendschutzes, der Medienforschung und der Medienpädagogik. Sie erscheint viermal im Jahr und bietet ein Forum für unterschiedliche Positionen. Es werden nicht nur aktuelle Entwicklungen im Medien- und Jugendschutzbereich aufgegriffen, sondern auch grundlegende, philosophische Fragestellungen diskutiert.