Lügenpresse

Wer die Medien beschimpft, hat meist etwas zu verbergen.

Der Begriff „Lügenpresse“ ist zu Recht zum Unwort des Jahres 2014 gekürt worden. Das Symptom kennen wir nicht nur von Pegida: Viele machen die Medien dafür verantwortlich, wenn in der Öffentlichkeit ein für sie negatives Bild entsteht, das zu unangenehmen Konsequenzen führen kann. Es ist die Aufgabe der Medien, Verfehlungen, Grenzüberschreitungen und Unstimmigkeiten im Verhalten oder in Äußerungen von Persönlichkeiten und Gruppen, die öffentlich agieren, aufzudecken, zu recherchieren und zu veröffentlichen. Die daraus resultierende Skandalisierung ist für diejenigen, die es trifft, allerdings äußerst unangenehm und nicht immer fair. So hat es beispielsweise Karl-Theodor zu Guttenberg empfunden, als er wegen der Plagiatsaffäre vom ehemaligen Medienliebling zur Persona non grata wurde. Auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff sah sich als Opfer einer medialen Hetzkampagne.
Beide mussten zurücktreten und gaben den Medien die Schuld dafür. Dabei hätten beide den Rücktritt wahrscheinlich abwenden können.

Der Verlauf ist immer ähnlich: Ein Sender oder eine Zeitschrift veröffentlicht einen Vorwurf, das Opfer bestreitet diesen reflexartig – und kurze Zeit später folgen Stellungnahmen aus den politischen Lagern und Kommentare der Presse. Nicht selten stellt sich heraus, dass die Vorwürfe berechtigt sind. Dann gibt es Meinungsumfragen und Spekulationen, z. B. darüber, ob ein Politiker noch zu halten ist. Die betroffene Person ist zu diesem Zeitpunkt meistens nicht nur ein Spielball der Presse, sondern auch der unterschiedlichen politischen Interessen und der öffentlichen Meinung. Allerdings hätten die Wahrheit und eine höchstmögliche Transparenz Karl-Theodor zu Guttenberg und auch Christian Wulff wahrscheinlich gerettet. Jemand, der wie sie jedoch alle Vorwürfe strikt zurückweist und sich dann als Lügner überführen lassen muss, verliert in der öffentlichen Meinung selbst bei kleineren Vergehen schnell seine Reputation. Der Fall Margot Käßmann zeigt dagegen, dass die Öffentlichkeit und auch die Medien „verzeihen“ können, wenn man schnell Reue zeigt und seine Schuld eingesteht. Wer aber nicht die Wahrheit sagt oder etwas zu verbergen hat, sollte sich nicht wundern, dass er zum Medienopfer wird.
Wenn also Pegida vorsichtshalber die Presse von vornherein als „Lügenpresse“ zum Feind erklärt, kommt leicht der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt und die Absicht besteht, möglichen Enthüllungen vorzubeugen. Wer sich so eindeutig gegen eine freie Berichterstattung wendet und diese ohne Argumente als „Lügenpresse“ diffamiert, ruft nicht nur böse Erinnerungen an Zeiten wach, in denen gezielt kritische Positionen abqualifiziert werden sollten, sondern muss sich auch nicht wundern, wenn er dadurch die Berichterstattung über sich selbst eher negativ beeinflusst. Gerade hier sollten die Medien aber Zurückhaltung üben. Sie genießen ohnehin nicht den besten Ruf und sollten schon deshalb gegenüber denen Sachlichkeit und Genauigkeit beweisen, von denen sie angegriffen werden. Zwar ist es berechtigt und nachvollziehbar, dass die meisten Medien eine eigene ethische Haltung in dieser Frage demonstrieren, dabei sollten sie jedoch die nötige Distanz einhalten. Die massive öffentliche Positionierung gegen Pegida (widerlich, heuchlerisch etc.) führt zwar die Menschen zusammen, die sich gegen Islamfeindlichkeit wenden – aber eben auch die, die aus sehr unterschiedlichen Gründen Angst vor den Folgen einer aus ihrer Sicht ungebremsten Zuwanderung haben. Vermutlich ist ihr politischer Hintergrund äußerst verschieden, aber die diffuse Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung schweißt sie zusammen. Und sie fühlen sich von der Presse abqualifiziert und falsch interpretiert.

Pegida kann man weder durch Ignorieren noch durch verbale Diffamierung oder Empörung aus der Welt schaffen. Was hilft, wäre eine Versachlichung der Diskussion und die Akzeptanz der Tatsache, dass in einer Demokratie unterschiedliche Meinungen möglich sind, auch wenn man diese aus tiefstem Herzen ablehnt. Die Verhärtung in der Auseinandersetzung, die sich gegenwärtig beobachten lässt, führt niemanden zusammen, sondern zementiert die Spaltung.

Der hier veröffentlichte Beitrag ist in der aktuellen tv diskurs (71. Ausgabe: Menschenwürde in den Medien) erschienen.

Über Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift tv diskurs. Von 1985 bis April 1994 war er als Ständiger Vertreter der OLJB bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig, von April 1994 bis 2019 führte er die FSF als Geschäftsführer. Daneben bekleidet Joachim von Gottberg seit 2006 eine Honorarprofessur für das Fach Medienethik/Medienpädagogik an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam und seit 2015 außerdem eine Vertretungsbefestigung für den Bereich Medien und Kommunikationswissenschaften in Halle.