Überzeugung statt Zwang

Trotz Kennzeichnungspflicht für TV-Programme herrscht im finnischen Jugendmedienschutz viel Pragmatismus

Das finnische Filmboard, das heute „Centre for Media Education and Audiovisual Media“ – MEKU heißt, hat seit der Jahrtausendwende einschneidende Veränderungen erfahren. 2001 wurde die Zensur für Erwachsene abgeschafft, 2007 wurde die Filmbewertungsstelle zu einer Einrichtung umfunktioniert, deren Hauptaufgabe in der Registrierung ungeprüfter Bildprogramme lag (1). Seit 2012 fungiert die Stelle in Helsinki, die dem Erziehungs- und Kulturministerium untersteht, als Aufsicht in einem System der Ko-Regulierung, das erstmals auch die finnischen TV-Anbieter mit einbezieht. Als Gastgeber der diesjährigen internationalen Konferenz der Medienbewertungsstellen stellte das MEKU das neue System vor.

Das Aufgabenspektrum des finnischen MEKU ist breit gefächert: Es umfasst die Aufsicht über die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen bei allen audiovisuellen Programmangeboten und die Koordination und Unterstützung von Medienkompetenzprojekten. Dass diese vielfältigen Aufgaben durch eine schlanke Behörde mit nur 18 Angestellten bewältigt werden können, ist dem zugrundeliegenden Modell der Ko-Regulierung zu verdanken, das seit Juni 2011 im „Gesetz über audiovisuelle Programme“ festgeschrieben ist. Danach müssen Anbieter von Filmen, Fernsehsendungen, Spielen und On-Demand-Inhalten ihre Angebote beim MEKU registrieren und selbst mit einer Altersfreigabe versehen. Die Klassifizierung erfolgt auf der Grundlage eines Fragebogens, der in 37 Punkten die wesentlichen Kriterien abfragt. Für die Arbeit als Klassifizierer benötigt man eine Zulassung, die das MEKU nach entsprechenden Qualifizierungsprogrammen erteilt und regelmäßig überprüft. Die Freigaben, die mit den Inhaltesymbolen des PEGI-Systems kombiniert werden, müssen in Kinos und Videotheken gut sichtbar angezeigt bzw. im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen zu Sendebeginn ausgestrahlt werden.

MEKU

Neue Regelungen für das Fernsehen

Die wesentliche Änderung des im Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetzes ist die Einbeziehung des Fernsehens. Es gelten weiterhin die Sendezeitschienen – 12er-Inhalte dürfen nicht vor 17 Uhr, 16er-Inhalte nicht vor 21 Uhr und 18er-Inhalte nicht vor 23.00 Uhr ausgestrahlt werden -, darüber hinaus besteht die Pflicht, die Alterskennzeichen und die relevanten Inhalte auf dem Bildschirm sichtbar zu machen. Die Altersstufen und Inhaltspiktogramme wurden an das PEGI-System angepasst – die Freigaben 11 und 13 wurden durch die Freigabe 12 ersetzt, die Freigabe 15 wurde zu 16 umgewandelt. Sie müssen nun vor der Sendung und nach jeder Werbepause eingeblendet werden. Das ganze TV-Programm wird allerdings nicht klassifiziert, in der Regel werden nur fiktionale Angebote gekennzeichnet.

Mehr Transparenz, weniger Aufsicht

Das Fazit nach zwei Jahren Arbeit fällt für das MEKU durchaus positiv aus. „Ein einheitliches System für die verschiedenen Medien wurde entwickelt, die Transparenz im Jugendmedienschutz wurde erhöht und die Bedeutung der Medienerziehung wurde gestärkt – das sind natürlich Pluspunkte“, fasst Maarit Pietinen (seit 1990 Mitarbeiterin des Filmboards) zusammen. „Die Rolle des Fernsehens ist für das Verständnis des Systems ganz erheblich“ ergänzt Leo Pekkala (seit 2012 Direktor des MEKU), „denn obwohl PEGI (Pan European Game Information) für den Spielebereich seit 2003 etabliert ist, waren die Piktogramme bislang kaum bekannt.“ Eine erste Erhebung vor 6 Monaten hat nun ergeben, dass die Finnen mit der On-Air-Kennzeichnung sehr zufrieden sind und erst die Information über das Fernsehen die Symbole ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht hat – auch das, so Pekkala, ein Beitrag zur Medienerziehung.

Natürlich gibt es auch Kritikpunkte, vor allem mit Blick auf die knappen Mittel. „Auf der einen Seite sind wir gezwungen, mehr Überzeugungsarbeit zu leisten, und ein Mehr an Kooperation ist ja auch gewollt. Auf der anderen Seite setzen die knappen Ressourcen der Aufsicht über die Klassifizierer und die Anbieter sehr enge Grenzen“, meint Maarit Pietinen. Verstöße lassen sich schwer feststellen und nachweisen, Bußgelder sind gemessen am Arbeitsaufwand zu gering. Vor diesem Hintergrund ist die MEKU-Abgabenordnung, nach der ein Multiplex dieselbe Jahresgebühr zu entrichten hat wie ein kleines Stadtteilkino, nur schwer verständlich. Aus Sicht der Sendervertreter gilt die größte Kritik der vermeintlichen Ungleichbehandlung von Fernseh- und Onlineanbietern: Sie wollen die Sendezeitregelung abgeschafft wissen und verweisen auf Smartphones und das Internet, wo es zeitliche Beschränkungen nicht gibt und die Anbieter lediglich für 18er-Inhalte Altersverifikationssysteme bereithalten müssen.

Verantwortung der globalen Player

Dass Fernsehsender und Online-Anbieter zunehmend mit Video on Demand-Angeboten von global agierenden Unternehmen wie Netflix oder HBO in Konkurrenz geraten, für die nationale Regelungen nicht gelten, ist ein gesamteuropäisches Problem. Die Frage, wie die großen Player zur Verantwortung gezogen werden können, war entsprechend Thema verschiedener Präsentationen der Konferenz.

Für Leo Pekkala sind Information und Medienerziehung auf lange Sicht die einzige Chance in der weltweiten Entertainment-Industrie. Seine Prognose für den Jugendmedienschutz in fünf Jahren: „Das lineare Fernsehen wird sich komplett verändern und nur noch bei großen Sportereignissen oder vergleichbaren Events eine Rolle spielen. Alles wird online und auf Abruf bereit stehen. Altersbeschränkungen wird es weiter geben, aber nur für die höheren Altersgruppen. Der Akzent wird eher auf Elterninformation, Medienkompetenz- und Sensibilisierung der Öffentlichkeit liegen.“

Bis es so weit ist, steht dem MEKU allerdings noch eine andere Veränderung bevor: Es wird 2014 mit den National Audiovisual Archives zusammengelegt und dann National Audiovisual Institute (KAVI) heißen.

(1) Joachim von Gottberg im Gespräch mit Matti Paloheimo, Maarit Pietinen: Zensur für Erwachsene wird abgeschafft. Die Film- und Videoprüfung wird ab 2001 in Finnland liberalisiert. In: tv diskurs. Verantwortung in audiovisuellen Medien. 4. Jg., 4/2000 (Ausgabe 14), S. 4-11. Sven Petersen: Jugendmedienschutz in Finnland – mehr als nur Freigaben. In: tv diskurs. Verantwortung in audiovisuellen Medien. 13. Jg., 3/2009 (Ausgabe 49), S. 4-7.

Dieser Artikel ist gekürzt und in voller Länge ist in der aktuellen tv diskurs 1/2014 Bildung. Lernen in der Mediengesellschaft erschienen.

Über Claudia Mikat

Claudia Mikat ist seit 2019 Geschäftsführerin der FSF. Sie studierte Erziehungswissenschaften/Freizeit- und Medienpädagogik an der Universität Göttingen. Danach arbeitete sie als freiberufliche Medienpädagogin, als Dozentin und in der Erwachsenenbildung. Von 1994 bis 2001 leitete sie die Geschäftsstelle der FSF und wechselte dann in die Programmprüfung, die sie bis 2015 verantwortete.