Von wegen, man hätte es nicht wissen können

Alle, die angesichts der durch Edward Snowden enthüllten digitalen Spionagepraktiken so erstaunt tun, möchte man fragen: Seht Ihr denn überhaupt kein Fernsehen?

Wie die diesbezügliche Praxis aussieht, das kann man mit Blick auf zahlreiche fiktionale Film- und Fernsehproduktionen schon lange sehr anschaulich studieren.

In der Actionserie Strike Back: Project Dawn jagt die geheime MI6-Spezialeinheit „Section 20“ bösartige Terroristen zwischen dem Hindukusch und dem Kap der Guten Hoffnung. Währenddessen die Elitekämpfer Damien Scott und Michael Stonebridge am Boden die Drecksarbeit erledigen, werden sie von ihrer Chefin Eleanor Grant per Satellitenverbindung vom Heimatbüro aus sicher geführt. Tausende Kilometer entfernt erscheinen auf den Monitoren in der Zentrale detailgenaue Bilder von den Handlungsorten der agierenden Soldaten, die es ermöglichen, ihnen jederzeit Hinweise über versteckte Gegner oder andere Unannehmlichkeiten zu geben.
In der seit 2005 ausgestrahlten US-amerikanischen Fernsehserie Criminal Minds löst ein Spezialteam des FBI besonders komplizierte Kriminalfälle. Zum Team gehört völlig selbstverständlich das Computergenie Penelope Garcia. Bei Bedarf surft sie in Windeseile und ohne vorher um Erlaubnis zu bitten durch jede beliebige Datenbank. Sie ortet Mobiltelefone, listet Telefonverbindungen interessierender Personen auf und dechiffriert lange gelöschte Festplatten.

In Transporter fungiert eine Frau von ihrem Wohnzimmer aus via Internet als Auge und Ohr des Superheros Frank Martin, dessen Aktionsraum sich über ganz Europa erstreckt. Auch in der Serie Navy CIS: L.A., geht es bei der Abwehr aller möglichen Feinde der amerikanischen Gesellschaft nicht ohne geniale IT-Spezialisten. Da werden Verkehrskameras manipuliert, detaillierte Bewegungsprofile erstellt und mit aller Selbstverständlichkeit nicht nur fremde Computernetzwerke, sondern auch Satelliten geknackt und bei Bedarf umprogrammiert.

Ich habe nicht gehört, dass es hinsichtlich solcher Sendungen signifikante Zuschauerbeschwerden gegeben hätte, weil hier weder der Datenschutz eine Rolle spielt, noch die Privatsphäre geachtet wird. Ganz selbstverständlich werden Bürgerrechte, die unsere Zivilgesellschaft ausmachen, mit Füßen getreten.

Nun ja, in den Filmen und Serien geht es ja ausschließlich gegen die Bösen, so kann sich der brave Steuern zahlende oder Rente beziehende Zuschauer beruhigen. Doch wie wir jetzt sehen, lässt sich die Büchse der Pandora, wenn sie einmal geöffnet ist, nur schwer kontrolliert wieder schließen. Unter präventivem Verständnis wird alles an Daten eingesammelt, was irgendwann einmal von Bedeutung sein könnte. Insofern sollten wir das, was Snowden in die Öffentlichkeit gebracht hat, weniger moralisierend als temporären Skandal behandeln, sondern eher zum Anlass nehmen, grundsätzlich über unser Selbstverständnis zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheit nachzudenken.

Mehr zum Thema in Die vernetzte Welt: Eine Herausforderung an tradierte gesellschaftliche Normen und Werte  (in: 16. Buckower Mediengespräche, erweiterte Dokumentation 2012).

Über Klaus-Dieter Felsmann

Studium der Germanistik und Geschichte. Klaus-Dieter Felsmann ist freier Publizist, Medienberater und Moderator sowie Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).