„Werbung ist ein Spiegel der Zeit!“

Über klassische Geschlechterstereotype und neue Rollenbilder in der Werbung

„Sie wissen ja, eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“ Dieses Zitat stammt aus einer Werbung für Pudding der Marke Dr. Oetker aus den 1950er-/1960er-Jahren. Keine Frage, wer heute diesen Werbespot anschaut, wird sich irgendwo zwischen schallendem Gelächter und Kopfschütteln wiederfinden, so fehl am Platz wirkt das hier offerierte Rollenbild. Aber wie sieht es eigentlich mit den Geschlechterbildern in unserer heutigen Werbewelt aus? Wie haben sich die Bilder von Mann und Frau in der Werbung verändert? Werden noch immer alte Klischees bemüht oder sind sie modernen Rollenbildern gewichen? Dieser Frage ist Dr. Susanne Stark mit Studenten in einer Untersuchung nachgegangen. Zu den Forschungsschwerpunkten der Professorin für Marketing an der Hochschule Bochum zählt die Kommunikationspolitik von Unternehmen im öffentlichen Wandel. Barbara Weinert sprach mit Susanne Stark über klassische und neue Rollenbilder in der Werbung.

Sie haben 2011/2012 eine inhaltsanalytische Untersuchung zum Thema „Werbung“ durchgeführt. Ganz kurz: Ist die Werbung besser als ihr Ruf?

Sagen wir mal so, die einseitigen Vorwürfe funktionieren auf keinen Fall mehr. Man muss es wirklich differenzierter betrachten, denn über die Jahre hat sich einiges verändert. Werbung ist Kommunikation – und jegliche Form von Kommunikation, egal ob Massenkommunikation oder das persönliche Gespräch, ist immer Spiegel und Gestalter von Werten und Normen einer Gesellschaft. Wenn sich also das Rollenverständnis gewandelt hat, dann spiegelt sich dies auch in der Werbung wider.

Wie sind Sie zu dieser Untersuchung gekommen, was genau haben Sie gemacht?

Ich bin immer wieder auf das Thema „Sexismus in der Werbung“ gestoßen, wo oft anhand von Einzelbeispielen argumentiert wird. Keine Frage, jedes sexistische Plakat ist ein Plakat zu viel, aber ich habe mich gefragt, welchen Prozentsatz diese Werbungen wirklich ausmachen. Das wollte ich empirisch überprüfen. Also habe ich mit Studenten der Hochschule Bochum eine Analyse von über 1.000 Werbeanzeigen aus Zeitschriften und 80 Werbespots aus dem Fernsehen durchgeführt. Mithilfe einer inhaltsanalytischen Erfassung von weiblichen und männlichen Personendarstellungen hinsichtlich verschiedener Kriterien wie Alter der Personen, Rollenvielfalt, Mimik und Kleidungsstil haben wir überprüft, inwieweit sich die Rollenbilder inzwischen angeglichen haben. Das heißt, wir haben die Werbung nicht in ihrer Gesamtheit bewertet, sondern die Bilder regelrecht seziert und nach Einzelkriterien beurteilt, um so auch möglicherweise versteckte Klischees aufdecken zu können. Die Stichproben wurden zufällig aus den vier Branchen „Textil“, „Automobil“, „Lebensmittel“ und „Banken/Versicherung“ ausgewählt. Wir haben uns für diese Segmente entschieden, da hier Frauen und Männer gleichermaßen als Konsumenten angesprochen werden. Dabei sind wir von der Grundthese ausgegangen, dass es in der Werbung kaum noch Unterschiede in den Bestimmungsmerkmalen und der Differenziertheit der Personendarstellungen gibt. Das mag erst einmal gewagt klingen, aber in unserer Gesellschaft ist die Gleichstellung von Mann und Frau in weiten Teilen zum Alltag geworden; und wenn man davon ausgeht, dass Werbung ein Spiegel der Zeit ist, dann sollte dies auch dort Standard sein.

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse Ihrer Analyse …

Die Ergebnisse zeigen ein durchaus gemischtes Bild: Wir haben sowohl moderne Rollenbilder als auch alte Stereotype entdecken können. Mit den ganz plumpen Geschlechterstereotypen haben wir es allerdings recht wenig zu tun. Doch es scheint trotzdem so, als könne man auf die leicht bekleidete Frau, die sich lasziv auf einer glänzenden Motorhaube rekelt, nicht völlig verzichten. Bei etwa 10 % der analysierten Anzeigen und Spots handelt es sich um das Bild der Verführerin. Was wir ganz häufig gefunden haben, ist das Bild des liebevollen Vaters, der sich genauso um die Kinder kümmert wie die Mutter. Die traditionelle Hausfrau, die am Herd steht und kocht, wie wir sie von früher kennen, ist aus den von uns analysierten Bereichen fast verschwunden. Stattdessen finden wir neben dem Geschäftsmann heute auch die Geschäftsfrau. Das bedeutet: Die Anzahl der Rollenbilder ist einfach gestiegen, die reine Reduktion der Rolle der Frau auf Haushalt und Familie ist aufgebrochen worden.

Was haben Sie bei näherer Betrachtung der einzelnen Kriterien herausgefunden? Lassen Sie uns vielleicht mit dem Alter der Personen beginnen.

Hier sind wir von der These ausgegangen, dass Männer und Frauen im gleichen Verhältnis und in den gleichen Altersstrukturen gezeigt werden. Sowohl für die Zeitschriften als auch für das Fernsehen traf dies nicht zu. Bei der Gruppe der unter 35-Jährigen dominieren die Frauen mit zwei Drittel zu einem Drittel. Das ändert sich ganz drastisch bei den über 50-jährigen Personen. In dieser Altersgruppe sind 86 % männlich. Das zeigt, dass die ältere Frau mit Falten in der Werbung nur wenig beliebt zu sein scheint, während sich der Mann mit grauen Schläfen recht großer Beliebtheit erfreut.

Ein weiterer Aspekt Ihrer Analyse waren die dargestellten Emotionen …

Als Indikator von Emotionen gilt vor allem die Mimik der Personen. In der Printwerbung haben wir eine große Anzahl unterschiedlicher Gesichtsausdrücke gefunden. In einem Drittel der Fälle haben wir bei Männern und Frauen dieselben genretypischen Mienen: freundlich, begeistert, stolz. Dann jedoch gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Bei Frauen dominieren verführerische, sinnliche, erwartungsvolle oder beschützende Gesichter, während es bei Männern eher dominante, fragende, ernste oder zufriedene Gesichtsausdrücke sind. In TV-Spots wechseln die Mimiken häufig, weshalb eine Analyse schwieriger ist. Hier herrschen bei beiden Geschlechtern begeisterte, freundliche Gesichter vor.

Sie sprachen davon, dass Männer heute verstärkt auch in der Rolle des liebevollen Vaters und fürsorglichen Ehemannes dargestellt werden. Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Cowboy geblieben, der mit der Zigarette im Mund durch unberührtes Land reitet?

Dazu muss man sagen, dass zwar aus dem Pferd an der einen oder anderen Stelle ein Motorrad geworden ist, aber insgesamt ziehen diese alten Bilder einfach nicht mehr. Werbung kann nur dann wirken, wenn sie den Nerv einer Gesellschaft trifft und auf der Höhe der Zeit kommuniziert. Der klassische Westernheld ist einfach out, das sehen wir auch in anderen Branchen wie im Kino oder in der Literatur. Aber die typisch männlichen Attribute wie Wettbewerb, Kampf und Sieg gibt es natürlich immer noch. Sie manifestieren sich in der aktuellen Werbung im Bild des Sportlers. Der Cowboy ist verschwunden, seine Nachfolge hat der Sportler angetreten.

Das Interview führte Barbara Weinert und ist in voller Länge in unserem Medienarchiv abrufbar, sowie in der der tv diskurs 66 erschienen.

Über Barbara Weinert

Barbara Weinert studierte Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte an der TU Dresden. Von 2006 bis April 2018 lebte und arbeitete sie in Berlin und war seit 2008 zehn Jahre in der FSF als Redakteurin der Fachzeitschrift tv diskurs - Verantwortung in audiovisuellen Medien tätig.