Thrill im Tagesprogramm

Fachtagung für Prüfende und Geprüfte der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) am 10. Oktober 2014 in Berlin.

Im Kreis der üblichen Verdächtigen ging es im Schwerpunkt um Fernsehbilder, die Kinder unter 12 Jahren übermäßig ängstigen können und deshalb aus dem Tagesprogramm (06.00 bis 20.00 Uhr) verbannt werden müssen. Das klingt zwar einfach, ist es im konkreten Fall aber eher nicht.

Als Input stellte Sabrina Unterstell eine noch unveröffentlichte Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) vor, in der es um Erinnerungen an ängstigende Filmerlebnisse geht und die am 10. Dezember 2014 veröffentlicht wird. Die Studienergebnisse belegen die Dünnhäutigkeit von Kindern im Vorschulalter: Figuren, die böse aussehen, wirken schon bedrohlich, bevor sie sich überhaupt rühren. Auch die moralische Haltung einer bösen Figur kann Angst auslösen, ebenso die Filmgeschichte selbst, sofern sie reale Gefahren aufgreift oder an kindliche Sorgen anknüpft. Schnell zu aufregend wird es für kleine Zuschauer auch, wenn ihre „Anschlussfigur“ in Gefahr gerät. Hier liegen das dramaturgisch intendierte Mitfiebern („Thrill“) und eine nachhaltige Verunsicherung nahe beieinander. Zwar reagieren auch Kinder gleichen Alters unterschiedlich, doch ein „Thrill-Erleben“ gelingt ab 7-Jährigen im Regelfall schon deutlich besser als den Jüngeren. Grundschulkinder brauchen für die Verarbeitung von Spannungssituationen und Filmgefahren noch die Gewissheit des guten Ausgangs, der im Idealfall nicht nur dem Zufall, sondern der Pfiffigkeit der „Anschlussfigur“ zu verdanken ist. Als konkreten Hinweis für die Prüfpraxis konnte man Sabrina Unterstells Ausführungen zum Thema „Körperangst“ verstehen – also Angstreaktionen auf Bilder von Verletzungen und Schmerzen. Ein Zusammenschnitt der in 2013 und 2014 verfügten Schnittauflagen der FSF für das Tagesprogramm belegte, dass hier bereits eine hohe Sensibilität besteht.

Prüferfortbildung FSF 2014 © FSF
Prüferfortbildung FSF 2014 © FSF

Claudia Mikat, Leiterin der FSF-Programmprüfung, ließ die Prüfpraxis der vergangenen 20 Jahre mit Blick auf die Risikodimension der übermäßigen Angsterzeugung Revue passieren, bei deren Bewertung auch das Zeitgeschehen und das „persönliche Angstkonzept“ der Prüfenden eine Rolle spielen. Ebenfalls interessant war die Diskussion eines exemplarischen Prüfausschusses (Nils Brinkmann, Eva Hanel, Christian Nitsche, Roland Rosenstock, Petra Schwarzweller). Er bewertete verschiedene Programmbeiträge, bevor das Publikum zu Wort kam. Im Fall einer Zaubershow mit Leiche gingen die Urteile von Tagesprogramm bis zu Nachtprogramm – und die Krux war, dass sämtliche Entscheidungen begründbar und nachvollziehbar erschienen.

Fachtagung für Prüfende und Geprüfte der FSF; Schwerpunkt: Fernsehbilder, die Kinder unter 12 Jahren übermäßig ängstigen können © FSF
Fachtagung für Prüfende und Geprüfte der FSF; Schwerpunkt: Fernsehbilder, die Kinder unter 12 Jahren übermäßig ängstigen können © FSF

Am Rande der Tagung ging es um Rowe – Sextipps vom Profi, ein neues Erotikformat, das Sexpraktiken erläutert. Dabei ist die Darstellung so deutlich, dass sich die Frage stellt, ob die Grenze zur Pornografie hier nicht überschritten ist. Darüber wird noch gestritten werden.
Auch die Diskussion um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geht weiter, aber kaum voran. Der aktuelle Stand der Dinge wird in der nächsten tv diskurs nachzulesen sein.

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.