Liebesgrüße aus Moskau

Teil II

The Americans ist die zurzeit wohl komplexeste Serie, die es zu sehen gibt und das, obwohl sie in einem Jahrzehnt spielt, in der die Gut-und-Böse-Rhetorik Hochkonjunktur hatte. Gestern erschien bereits Teil I des Beitrags Liebesgrüße aus Moskau. Heute die Fortsetzung.

Wer sind DIE titularen Amerikaner aus dem Serientitel? Sind es die Jennings, die fast amerikanischer als die Amerikaner selbst sind, weil sie es sein müssen in ihrem Simulakrum von Leben? Oder ist es die Familie von gegenüber, die, wie es der Zufall so will, die Familie des FBI-Agenten Stan Beeman (Noah Emmerich) ist. Dieser glaubt ebenfalls, die Bösen zu jagen und die Welt zu verbessern. Im Gegensatz zur Kluft zwischen ihm und seiner Frau, die durch seine Arbeit hervorgerufen wird, entwickelt sich zwischen ihm und seiner Informantin, der KGB-Agentin Nina Sergeevna (Annet Mahendru), eine sehr natürlich scheinende emotionale Verbindung, die gerade darauf basiert, dass sie quasi denselben Job haben. Er ist dennoch ein Sympathieträger, eine Figur mit verhältnismäßig klaren moralischen Werten und Hingabe an seinen Job. Jemand, der für die Menschen, die er liebt, alles tun würde. Genauso wie der Familienvater und ausgebildete Killer Philip Jennings. Die Frage, wer die Bösen sind, wird nie gestellt und gleichzeitig oft beantwortet. Beeman tötet aus Rache und Trauer um seinen Partner einen völlig unbeleckten KGB-Mitarbeiter, der noch gar nicht lange genug ein solcher gewesen ist, um wirklich jemandem zu schaden. Philip und Elisabeth töten in jeder zweiten Folge jemanden; hin und wieder auch Menschen, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Etwas, was beiden im Laufe der Zeit immer schwerer fällt und auch nicht mehr vom Mantra „Es ist Krieg, er fordert Opfer“ gerechtfertigt werden kann. Wer hier wofür welche Opfer bringt, ist genau die Frage. Denn alle Figuren zahlen den Preis für die sie umgebende ideologische Verblendung und Verbissenheit.

Handgemachte Spionagearbeit

Dabei wird Ideologie in The Americans nie gepredigt, sondern meist auf einer sehr persönlichen Ebene verhandelt. Man lernt im Laufe der Zeit drei Generationen von russischen Spionen kennen. Die älteste Generation hat den Krieg erlebt, teils als Soldaten und ist entschlossen, dem Land zu dienen und es mit allen Mitteln zu schützen. Schon die Motivation der nächsten Generation ist nicht mehr ganz so gradlinig und die jüngsten haben teils einfach nur sehr persönliche Gründe, beim KGB zu arbeiten. Ein aufstrebender junger Botschaftsmitarbeiter – Oleg Burov, gespielt von Costa Ronin – will zum Beispiel genau den guten Beziehungen seines hochangesiedelten Vaters entfliehen, die ihm den begehrten Posten in den USA überhaupt erst verschafft haben.

Das historische Umfeld der Serie erlaubt es außerdem, handgemachte Spionagearbeit auf die Bühne zu bringen. Denn, wie Emily Nussbaum ebenfalls schrieb, als sie einmal mehr die Werbetrommel für die Serie rührte, „Zunächst einmal, sind da die Perücken“. So viele, dass man sich manchmal fragt, wie Philip und Elisabeth eigentlich den Überblick behalten. Die Perücken sind ein äußerliches Ausdrucksmittel der Scharade, die die Figuren miteinander spielen. Die beiden sehen nur in ihrem Privatleben so aus, wie sie tatsächlich aussehen. Es ist wohl den Maskenbildnern der Serie hoch anzurechnen, dass die Verkleidungen nicht zu einer Farce verkommen. Hinzu kommen im Wald vergrabene Ausrüstungen, doppelte Böden in Aktenkoffern und Wanzen mit sehr begrenzter Reichweite. Das alles gibt dem Geschehen eine Unmittelbarkeit und sehr greifbare Bedrohlichkeit. Es erlaubt der Serie, sich sehr langsam zu entfalten und den Missionen mindestens genauso viel Raum zu geben, wie der Auslotung der Figuren. Gleichzeitig sind auch die technologischen Entwicklungen der Zeit in die Handlung eingeflochten. Es kommt einem Paukenschlag gleich, als das erste Mal jemand die Bezeichnung ARPANET ausspricht. Der einzige, der die Bedeutung dieser Technologie, die später einmal das Internet wird, jedoch ermessen kann, ist der junge KGB-Agent Oleg. Wie auch in Mad Men sind die historischen Ereignisse dieser Zeit sehr kunstvoll und subtil mit den persönlichen Schicksalen und Geschichten der einzelnen Figuren verwoben.

Teils reale Ereignisse

Doch The Americans steht auch auf andere Weise in Verbindung mit realen Ereignissen. 2010 wurde in den USA genau ein solcher Spionagering aufgedeckt. Und überdies wurde die Serie vom ehemaligen CIA-Agenten Joseph Weisberg entwickelt. Einige der Ereignisse haben so oder ähnlich tatsächlich stattgefunden. Keri Russell erzählte in dem schon im ersten Teil des Beitrags zitierten Interview, dass jedes der Skripte vom Geheimdienst gelesen und genehmigt werden muss. In den USA ist gerade die zweite Staffel von The Americans zu Ende gegangen. Was mich außerdem an der Serie positiv überrascht hat, ist der banale Fakt, dass die Russen alle Russisch sprechen. Gerade den 80er-Jahren haben wir eine Film- und TV-Tradition zu verdanken, die eine nicht enden wollende Reihe angeblich russischsprachiger Figuren hervorgebracht hat, die eine Sprache sprechen, die auch für einen Muttersprachler kaum zu identifizieren ist oder mit einem so hanebüchenen Akzent daherkommen, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Auch das ist ein Zeichen des hohen Anspruchs der Serie an ihre Figuren.

Die Prämisse von The Americans könnte denen bekannt vorkommen, die sich noch an den Thriller Little Nikita mit Sidney Poitier und River Phoenix erinnern können. Wobei in The Americans mehr die Geschichte der Eltern denn die der Kinder erzählt wird. Ob den Jennings-Kindern ein ähnliches Schicksal blüht wie Nikita, ist eine der großen Fragen der Serie und die größte Angst ihrer Eltern. Eine Angst, mit der sie immer wieder konfrontiert werden, nachdem ein befreundetes Agentenpärchen ermordet wird und einen nichtsahnenden Sohn zurücklässt. Dass sich die Führung hinreichend um ihre Kinder kümmert, wenn den Eltern etwas zustoßen sollte, ist der Punkt, dem beide am wenigsten vertrauen. Doch am Ende der zweiten Staffel müssen sie feststellen, dass diese größte Angst noch bei Weitem übertroffen werden kann.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.