Erste Schritte im Netz gemeinsam gehen oder warum das Internet Landau ist

Eltern brauchen keinen weiteren Abend, bei dem es ausschließlich um die Darstellung der Gefahren und Risiken im Netz geht, um das perfekte Filterprogramm oder um Horrorstories aus der Nachbarschaft. Ich möchte einen Elternabend konzipieren, mit dessen Hilfe es bei den Eltern klick macht. Ich wünsche mir, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden und gleichzeitig erkennen, dass es gar nicht so schwer ist, die ersten Schritte im Netz mit dem Kind richtig anzugehen. Wie kann ich ihnen begreiflich machen, dass die Netzwelt nichts anderes ist als ein menschgemachter Spiegel dessen, was in der physischen Welt existiert, mit allen Licht- und Schattenseiten? Und wollen die Eltern das wirklich hören?

Mein Plan ist etwas, sagen wir mal, ambitioniert. Einerseits will ich konkrete Tipps mit nach Hause geben, z.B. wie Kindersuchmaschinen funktionieren, wie man Google durch Blinde Kuh ersetzt, wie man klick-tipps.de zur Startseite macht, welche Infos klicksafe.de für Eltern und Lehrkräfte bietet oder welche Familienregeln fortan den Alltag erleichtern können. Der Klassiker eben, da gibt es ja schon viele Anknüpfpunkte. Außerdem  möchte ich – und das ist die Herausforderung –, dass die Eltern motiviert, zuversichtlich und gestärkt nach Hause gehen. Mehr noch: Sie sollen weniger Angst vor der unsicheren Größe „Internet“ haben.

Netzgemüse (c) Eva Borries
Netzgemüse (c) Eva Borries

Durch Zufall lese ich zeitgleich das 2012 erschienene Buch „Netzgemüse“ von Tanja und Johnny Haeusler und finde darin die Methode für meinen ambitionierten Plan, genauer gesagt im Kapitel „Das Internet ist Bielefeld“. Darin stellen die Autoren die durchaus provokante These auf, „das Internet“ ließe sich mit der Stadt Bielefeld vergleichen.
Inwiefern?
Zum Beispiel, weil das Internet – genau wie Bielefeld – menschengemacht ist. Weil man im Internet – genau wie in Bielefeld – Zeit und Ruhe braucht, um sich zu orientieren und um die schönen und sicheren Ecken kennenzulernen. Weil es im Internet – genau wie in Bielefeld – Unis, Schulen, Spielplätze, Flohmärkte und Kinos gibt, aber eben auch Kriminelle, düstere Gestalten, hässliche Ecken und Freaks. Ein Eingeborener, also jemand, der in und mit Bielefeld aufgewachsen ist, bewegt sich in der Stadt ganz selbstverständlich. Wie jemand, der mit und im Internet aufwächst, wie ein „Digital Native“ eben. Als Zugezogener oder als Migrant in Bielefeld dauert alles etwas länger und man kann Hilfe gut gebrauchen. Das gilt ebenso im Netz – für die sogenannten „Digital Immigrants“. Wer sich in Bielefeld und im Netz nicht um Anschluss bemüht, für den wird es nie richtig interessant, sondern eher unsicher und einsam. Und der kann dann auch den kleinen neuen Bewohnern keine Orientierung bieten. Spannendes Bildnis, finde ich.

Das Kapitel will ich unbedingt in Landau einsetzen, aber es fehlt für meine Grundschuleltern noch ein Feinschliff. Also wage ich ein Experiment. Zum einen passe ich den Text auf die Lebenswelt meiner Zuhörer vor Ort an, indem ich das Internet mit der Stadt Landau vergleiche – auch wenn Landau nicht so groß ist wie Bielefeld. Kleiner Haken, aber das wird mir verziehen. Es entsteht die Version „das Internet ist Landau“. Außerdem ergänze ich den Text um eine wichtige Botschaft für die Eltern von Grundschulkindern:

„Ihre Kinder bewegen sich als „digitale Eingeborene“ mit derselben Selbstverständlichkeit im Netz, mit der sie als Einheimische durch Landau flitzen, ohne je einen Stadtplan gesehen zu haben. Als Eingeborene in Landau kennen Ihre Kinder die Bolzplätze, auf denen man keinen Ärger bekommt, sie wissen in welcher Apotheke man Traubenzucker abstauben kann und wo der schräge Typ wohnt, um den man besser einen Bogen macht. Das wissen Ihre Kinder aber nur, weil Sie – die Eltern – ihnen diese Orte gezeigt haben. In der physischen Welt führen Sie als Erwachsene die Kinder an jene Orte, erst im Kinderwagen, später auf wackeligen Beinchen, ob beim Schul- oder Familienausflug. In den ersten Jahren begleiten Sie sie in die Parks und ins Schwimmbad, bringen sie bis zur Kindergarten- oder Schultür, später bis an die nächste Ecke, und lassen sie erst peu à peu ohne Aufsicht ziehen. Nämlich dann, wenn Sie sicher sind, dass die Kleinen soweit sind, sich orientieren können, um mögliche Gefahren wissen und bereit sind, allein zu gehen. Genau das sollten Sie auch im Netz tun.
Und wie?
Das schauen wir uns heute Abend an. Zeigen Sie Ihren Kindern sichere, witzige und lehrreiche Seiten. Machen Sie am Rechner die „Stützräder“ fest, bevor es losgeht. Klären Sie die Verkehrsregeln im Netz, und legen Sie fest, auf welchen Straßen Ihr Kind vorerst surfen darf und prüfen Sie, wo es noch zu hektisch zugeht. Gehen Sie die ersten Schritte im Netz gemeinsam. Setzen Sie sich daneben, schauen Sie zu, machen Sie mit. Nach und nach probieren sie gemeinsam die Suchmaschine für die Großen aus und ziehen Sie sich zurück, verlassen mal den Raum. Allerdings erst, wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind soweit ist. Wie im echten Leben.“

Die adaptierte Version des Kapitels „Das Internet ist Bielefeld“ habe ich übrigens – ganz old school – vorgelesen. Die anwesenden Eltern und Lehrkräfte haben minutenlang gelauscht und waren danach für einen Moment ganz still. Und da hörte ich es … – klick. „Sie haben mir echt die Augen geöffnet“, sagt in der Abschlussrunde eine Mutter zu mir. Und die anderen Eltern nicken zustimmend. Der Einsatz dieser etwas ungewöhnlichen Methode wird also fortgesetzt. Tanja und Johnny Haeusler waren von der Neuinterpretation ihres Kapitels ebenfalls angetan.

[1] Haeusler, J. & Haeusler, T. (2012). Netzgemüse. Aufzucht und Pflege der Generation Internet. München: Goldmann Verlag.

Über Eva Borries

Eva Borries ist Diplom-Medienpädagogin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Empirische Pädagogische Forschung (zepf) an der Universität Landau. Außerdem arbeitet sie deutschlandweit als Referentin für Medienkompetenz. Sie entwickelt individuelle medienpädagogische Fortbildungen, Vorträge und Workshops: Webseite Eva Borries.