Atlanta – das Showreel einer Stadt und seiner Bewohner

Die US-amerikanische Serie Atlanta, ein Mix aus Drama und Comedy, von und mit Donald Glover läuft heute um 21.00 Uhr in deutscher Erstausstrahlung bei FOX an.

Glover war bereits 2008 einer der Writer von 30 Rock und entwickelte später mit einigen Kollegen aus dem Comedygenre die Serie Mystery Team. Der auch unter dem Namen Childish Gambio bekannte Rap-Artist hat sich nun an seine eigene Serie gemacht und man merkt, dass es ein Herzensprojekt ist.

Innerhalb der Vielzahl an groß produzierten Serien mit bekannten Namen und Faces zeigt sich Atlanta erstaunlich unaufgeregt. Episch aufgeladene Bilder und Szenen scheinen wie ausradiert. Als Zuschauer schwimmt man eher auf einer anderen Welle mit, der Gelassenheit der Bewohner. Nichts für fette Schlagzeilen oder heroische Plakate sollte man meinen? Es zeigt sich, zumindest in Amerika, dass dies genau die ‚erfrischende‘ und ‚authentische’ Art von Alltagserzählung ist, die sich die Menschen dort wünschen und damit Kritiker und Fans berauscht. (Guardian, Rotten Tomatoes, Metacritic)

Besonders wichtig schien gewesen zu sein, dass fast alle Autoren Atlanta kennen, dort gelebt haben und der Stadt somit ein echtes Gesicht geben können. Warum das nicht unerheblich ist? Vielleicht weil man es sonst nicht glauben will, welchen Zwiespalt die Figuren in der Serie hinnehmen und wie doch alles irgendwie okay zu sein scheint.

Aber worum geht es eigentlich?
Vordergründig begleitet man Earn (Donald Glover) – eigentlich Earnest Marks – durch den Tag und verfolgt, wie er immer wieder auf die gleichen Probleme trifft: Streit mit seiner Ex-Freundin Van (Zazie Beetz), bei der er untergekommen ist und die eigentlich nie aufgehört hat, seine Freundin zu sein; Streit mit seinen Eltern, die sein ‚in den Tag leben’ nicht mehr unterstützen möchten; verpasste Gelegenheiten, Zeit mit seiner kleinen Tochter zu verbringen, statt sie bei den Großeltern abzuladen und ein an ihm heftender chronischer Geldmangel. Letztendlich gründet alles in einem: Earns Versagen darin, sein Leben auf die Kette zu bekommen.

Einen Ausweg sucht er, in dem er das Management seines Cousin Alfred Miles alias Paper Boi (Brian Tyree Henry) übernimmt. Paper Poi hat sich in der Rap-Szene Atlantas schon einen Namen gemacht, ist allerdings selbst gut darin, mit seinem Kumpel Darius (Keith Stanfield) richtig Mist zu bauen.

Ein ungefährliches Pflaster ist Atlanta nicht und gerade Earn schwankt zwischen den Welten hin und her. So lebt er auf der einen Seite mit der anständigen und selbstbewussten Lehrerin Van zusammen, wiegt sein Töchterchen in den Schlaf und versucht, mit Van elegant essen zu gehen. Auf der anderen Seite sitzt er kiffend bei Alfred und Darius, während diese ihre Knarren säubern oder hockt als Zeuge eines Mordes im Wartebereich des staatlichen Gefängnisses und beobachtet, wie ein psychisch beeinträchtigter Insasse vom Wachpersonal verprügelt wird. Ob Earn dieses tut oder jenes – scheint seine Grundstimmung kaum zu verändern. Es wird durch sein unmittelbares Umfeld jemand erschossen, aber die Alltagsprobleme streift es nur – und irgendwie ist dann doch alles völlig normal.

In Atlanta scheinen die Kontraste zu verschwimmen – zumindest nimmt man das als stiller Zuschauer dem Takt der Kamera folgend an. Wir werden ganz nah an die Figuren herangelassen, wandern mit ihnen durch den Tag und die Stadt. Die Schauspieler verkörpern ihre Rollen überzeugend und selbst in den absurdesten Situationen wirkt ihr Humor und Sarkasmus nicht übertrieben. Kriminalität, Rassismus und Diskriminierung sind Themen, die einen nicht mit einem Holzhammer erschlagen, sondern einem wie ehemalige Klassenkameraden unverhofft über den Weg laufen. Die Widmung des Alltags in Atlanta ist das, was die amerikanischen Fans wollten, denn es ist ehrlich.

Ob die Serie in Deutschland auch ohne Lokalbonus ebenso durchstartet, hängt womöglich ganz davon ab, wie übersättigt man von Hochglanzserien mit ausfüllender Filmmusik ist, denn ohne den Drang einmal kräftig durchzuatmen, mag diese Serie auch einige Längen besitzen. So ist Atlanta vielleicht keine Serie, an der man auf ewig hängenbleibt, vielleicht ist es auch keine Serie, die einen jede Minute spannend ans Sofa fesselt – es gibt kein offensichtliches Ziel, auf das die Serie hinläuft und auch keine Cliffhänger, nur die Hoffnung, dass Earn irgendwann mal sein Leben in Ordnung bringt und mit Paper Boi durchstartet. Wer Lust hat, sich für eine halbe Stunde nach Atlanta zu beamen, um ein wenig abzuhängen und dem weisen Sidekick Darius zu lauschen, sollte hier mal reinschauen.

Freigegeben ab

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSFDie Serie zeichnet für deutsche Zuschauer eine alltagsferne Lebenswelt in einem US-Milieu voller Drogenkonsum, -handel und Waffenpräsenz auf. Ansprechend für Kinder und Jugendliche dürfte die sich durch die Serie ziehende Hip-Hop-Musik sein. Jüngeren Zuschauern werden jedoch keine Identifikationsfiguren geboten und auch Setting und Problemdarstellungen der handelnden Figuren vermitteln ausreichend Distanz zum Geschehen. Das Spannungsniveau ist insgesamt nicht hoch, einzelne Gewaltspitzen können jüngere Kinder aber ängstigen. Ab 12-Jährigen wird dagegen zugetraut, die ironischen Brechungen von Gewalt und in derber Sprache ausgedrückten Diskriminierungen zu verstehen und einzuordnen, zumal der Gesamtkontext explizit gegen Diskriminierung steht. Einer Platzierung im Hauptabendprogramm steht daher nichts entgegen.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehpramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Henrike Rau

Henrike Rau studierte Architektur an der Universität Kassel und danach Digitale Medienkultur und Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Neben Uniprojekten wie Sehsüchte, der Kinderfilmuni oder Kooperationen mit dem Filmmuseum Potsdam haben Praktika beim UFALab und bei der FSF ihre Ausbildung mit Praxis belebt.