Blumen, Mord und Einsamkeit

Unter Lilien – lebendig begraben

Auf die richtige Kombination kommt es an!

Und genau das ist es, was diese Serie ausmacht: Die richtige Kombination. Amerikanisch groß produziert und im Stil des Nordic Noir gedreht. So kreierte Robert ‚Bobby‘ Moresco ( L.A. Crash, The Black Donnellys) diesen zwölfteiligen Crime-Thriller nach dem Roman Merrick des Iren Ken Bruen mitten in Schweden. Und wenn man ehrlich ist, scheint da auch inhaltlich eine Kreation bereits bewährter Top of the Bests vorzuliegen:

Blonde, schöne, junge Frauen – ermordet. Zwei in jedem Wintermonat. Eine nimmt der Täter für sich, die andere ist für den Gott der Unterwelt Hades. So funktioniert das „Spiel“ des Serienmörders. Dem Akt liegt etwas Grausames und Bittersüßes bei, denn beide Opfer liegen unter Affodills – einer Lilienart – begraben, doch eine von ihnen ist noch lebendig und mit einem Atemschlauch versehen, bis dieser mit einer Affodill verschlossen wird.

Auf diesen Fall sind die zwei ungleichen Ermittler Mikael Eklund (Michael Nyqvist) und Tommy Conley (Dominic Monaghan) angesetzt, die durch ihren unterschiedlichen Arbeitsstil aufeinanderprallen und sich mit Skepsis gegenübertreten.

Tommy ist ein New Yorker Cop, den diese Mordreihe – sie begann in Amerika und scheint sich nun in Schweden fortzusetzen – nach Stockholm bringt. Er zeigt sich so schuldbeladen, dass er weit entfernt ist vom derzeitg in amerikanischen Thrillerserien anzutreffenden Typ „raubeiniger Antiheld“. Viel verletzlicher ist der junge, heroinsüchtige Sneakerträger. In besonders sentimentalen Momenten wird da schon mal das schöne Foto der verstorbenen Freundin gezogen, worauf schweigsame Sekunden folgen.

Auch Mikael hat seine Partnerin verloren und wirft gelegentlich reuevolle Blicke auf das Foto seiner kleinen Familie, als sie noch heil war. Er und seine Tochter Alena (Felice Jankell) scheinen sich immer weiter voneinander zu entfernen. Seinen Entschluss, den Job als Kommissar an den Nagel zu hängen und bei einer Sicherheitsfirma anzufangen, kann sie nicht verstehen. Niemand versteht das. Als ihm der Fall mit dem unkonventionellen Jungspund als Partner zugewiesen wird, begegnet er diesem mit kalter Ablehnung.

‚Schuld‘ ist nicht nur das, was Tommy und Mikael insgeheim verbindet. Die Frage nach der Schuld und wer sie trägt, scheint sich zum Motiv der Serie zu entwickeln.

In 100 Code begegnen uns keine unbekannten Komponenten: Man hat das erfolgreiche Konzept eines kreativen und zur Mythologie neigenden Frauenmörders, der eine Vorliebe für junge, schöne Geschöpfe einer bestimmten Haarfarbe besitzt, ein ungleiches Ermittlerpaar, das durch den Fall immer wieder mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert wird, während die Ermittler ihr jetziges Leben verdrängen, und ein gestörtes Familienverhältnis. Verfeinert wird dies mit einem vorgeschalteten Zitat, einem sehr ästhetischen, wenn auch zum Kitsch tendierenden Intro à la True Detective, guter Musik und einer Ermittlung, die sich bis in den Cyberspace ausweitet. Was kann da noch schiefgehen? Nicht viel, denn auch wenn man tatsächlich meint schon Vieles zu kennen, ist es dennoch hervorragend inszeniert. Es mag zwar berechnend gewesen sein zwei so bekannte und zugleich so unterschiedliche Gesichter auf der Mattscheibe zu vereinen, doch fühlte ich mich selten so schnell mit einem Ermittlerteam verbunden. Die zwei Schauspieler bringen durch ihre vorherigen Rollen (Mikael Blomqvist: Millennium-Trilogie; Charlie Pace: Lost) bereits einiges an Zuschauerempathie mit und können dort ansetzen, wofür andere sich die Nähe zum Rezipienten erst erarbeiten müssen.

Produziert wurde die Serie von 100 Code AB & Zen Productions. Die Idee stammt von Fabrik Entertainment, Red Arrow International und Strix Drama für Sky Deutschland und Kanal 5 Schweden. Damit ist 100 Code zwar keine reine Eigenproduktion von Sky, zeigt aber durch die Koproduktion den ersten Schritt des Senders, ein Stück weit in die tiefen Fußstapfen von HBO, Netflix usw. zu treten. Das weckt Hoffnung auch für einen deutschen High-Quality-Serienmarkt. Vielleicht wird in ferner Zukunft sogar der Mut erbracht für eine deutsche Produktion fernab von Krimis oder seichten romantischen Serien auf riesigen „Traumbooten“.

Ab heute, 19. März 2015, wird 100 Code jeden Donnerstag um 21.00 auf Sky Atlantic HD zu sehen und über Sky Go, Sky Online und Sky Anytime dauerhaft abrufbar sein.

Das inhaltlich erschreckende Szenarium in 100 Code, das gerade Mädchen in der Pubertät als belastende und intensive Horrorphantasie erreichen kann, wird weitgehend dialogbasiert erzählt. Im Vordergrund stehen die Ermittlungsarbeiten und die privaten Probleme der beiden Polizisten. Auch das Leid der zahlreichen jungen Opfer bleibt eher abstrakt, zumindest bis zur Schlussszene: Eine junge Frau wird lebendig mit einem Atemschlauch begraben. Die Darstellung erfolgte nicht drastisch, für 12-bis 15-jährige Zuschauerinnen wurde die Ausführlichkeit dieser Sequenz vom Prüfausschuss dennoch als nachhaltig belastend und übermäßig ängstigend bewertet, da sie dem Sujet Vergewaltigung und Mädchenmorde noch weniger Medien- und Lebenserfahrung entgegensetzen können als ältere. Diese Szene muss für eine Programmierung im Hauptabendprogramm entfallen.

Zur ausführlichen ProgrammInfo auf der FSF-Website geht es hier.

Der Sender Sky Atlantic HD darf die Sendung auch schon vor 20.00 Uhr ausstrahlen, weil er als Pay-TV-Anbieter eine Jugendschutzsperre aktivieren kann, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Henrike Rau

Henrike Rau studierte Architektur an der Universität Kassel und danach Digitale Medienkultur und Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Neben Uniprojekten wie Sehsüchte, der Kinderfilmuni oder Kooperationen mit dem Filmmuseum Potsdam haben Praktika beim UFALab und bei der FSF ihre Ausbildung mit Praxis belebt.