Das Mädchen mit der Lizenz zum Töten: Wer ist Hanna?

Agentenfilme haben es so an sich, nicht besonders realitätsnah zu sein: es fliegt ein Kugelhagel durch die Luft, Autos überschlagen sich, Gebäude stürzen ein, Bomben fallen und der charismatische Held entsteigt meistens ohne Kratzer jeder brenzligen Situation. Hinzukommt ein ganzes Orchester an Soundelementen und Spezialeffekten, sodass die Ohren noch Stunden später klingeln. Die meisten Actionstreifen um taffe Agenten verlaufen häufig nach demselben Prinzip und vielleicht ist das Wissen um den sicheren Ausgang, eben dass die Welt gerettet werden kann, genau das, was diese Filme so beliebt macht. Ich habe sie gefühlt alle gesehen, reiste mit James Bond, Jason Bourne und Ethan Hunt um die Welt und verdrehte dabei so manches Mal die Augen. In guter Erinnerung geblieben ist mir hingegen die besondere Machart von Kingsman: The Secret Service und Codename U.N.C.L.E. – zu denen sich nun auch Wer ist Hanna? gesellt.

Frauen sind bekanntlich nur selten in der Hauptrolle der Agentin zu sehen – ich erinnere mich lediglich an Angelina Jolie in Salt, der jedoch Schwierigkeiten hatte, ihren Charakter glaubhaft und vielschichtig darzustellen. Aus diesem Grund war es besonders spannend, in die Welt der 16-jährigen Hanna Heller einzutauchen.

Hanna lebt mit ihrem Vater Erik fernab jeglicher Zivilisation im verschneiten Finnland und wird ohne Samthandschuhe angefasst, wenn es um ihre tägliche Ausbildung geht, denn sie soll optimal auf ihre geheime Mission vorbereitet werden. Dafür lernt sie nicht nur allerhand Kampftechniken, sondern auch verschiedene Sprachen und Identitäten. Doch das Aufwachsen im Exil hat bei ihr auch für eine soziale Unsicherheit und Unwissen gegenüber den Dingen des alltäglichen Lebens wie etwa Elektrizität gesorgt. Hauptdarstellerin Saoirse Ronan gelingt es schon in den ersten Minuten, gänzlich in der interessanten Figur aufzugehen und den Zuschauer mit ihrer glaubhaften Verkörperung zu fesseln. Sind die Würfel erstmal gefallen und die Mission eingeläutet, beginnt eine atemlose Reise durch halb Europa. Der Pfad der Rache, den Hanna dabei wählt, wird begleitet von einer ganz persönlichen Identitätssuche.

Auch die anderen Darsteller, mit denen der Film aufwartet, wissen zu überzeugen. Cate Blanchett mimt einmal mehr in ihrem Leben die Böse und brilliert darin: im Film ist sie als die CIA-Agentin Marissa Wiegler unterwegs, die Hanna umbringen will. Ebenfalls mit von der Partie sind der Australier Eric Bana als Hannas Vater und der Brite Tom Hollander, der Hanna jagen und zu Marissa bringen soll.

Regisseur Joe Wright, der sich mit Filmen wie Abbitte und Stolz und Vorurteil in der Branche bereits einen Namen gemacht hat, beweist mit Wer ist Hanna?, dass er auch Action sehr gut und vor allem individuell verarbeiten kann. So mischen sich Märchenelemente, Coming-of-Age-Erlebnisse, exotische Schauplätze und Chemical-Brothers-Elektrosound in die Handlung und ergeben ein spannendes Spektakel, dem man sich ganz hingeben kann. Aber auch der Humor fehlt nicht und kommt insbesondere durch Hannas Defizite in der zwischenmenschlichen Kommunikation zustande. Besonders die Begegnung mit dem Mädchen Sophie (Jessica Barden) und ihrer Familie in Marokko sorgt für witzige Momente und Situationen. Das große Geheimnis, das sich um Hannas Herkunft dreht, ist ebenso in Film und Literatur (Helix von Marc Elsberg) topaktuell. Hannas Identitätssuche gipfelt schließlich in einem spannenden Finale in Berlin und besticht durch seine Symmetrie. Definitiv sehenswert!

Wer ist Hanna? wird heute, 20.15 Uhr, und  morgen, 22.20 Uhr, auf ProSieben ausgestrahlt.

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSFFSF: freigegeben ab …

Die senderseitig um drastische Gewaltdarstellungen gekürzte Filmfassung zeigt eine recht unerschütterliche Heldin, die zwar aufgrund ihrer Jugendlichkeit Identitätsfigur sein könnte, allerdings in ihrer Künstlichkeit eine lebensferne Figur abgibt, die das Einfühlen schwierig macht. Ein klares Gut-Böse-Schema der Charaktere, das surreale Filmsetting, welches die alltags- und realitätsferne Handlung unterstreicht, und der Wechsel von längeren ruhigen Passagen auf spannende Szenen bieten ausreichend Distanzierungsmomente für Zuschauer ab 12 Jahren. Dargestellte Gewaltszenarien, in denen Hanna tötet, geschehen aus Notwehr und nicht aus der Lust am Töten. Eine Beeinträchtigung für die Altersgruppe der ab 12-Jährigen wird nicht gesehen, somit steht einer Platzierung im Hauptabendprogramm nichts entgegen. Eine Freigabe für das Tagesprogramm kommt aufgrund der Vielzahl an Gewalthandlungen und ängstigenden Momenten jedoch nicht in Betracht.

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Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Laura Carius

Laura Carius hat Kommunikations- und Medienwissenschaften in Halle und Leipzig studiert, sammelte Erfahrungen in der PR- und Onlinekommunikation, war Werkstudentin bei der Leipziger Buchmesse und gewann bei der FSF Einblicke in den Jugendmedienschutz. Aktuell arbeitet sie bei einem Digitalverband in Berlin.