Das Töten geht weiter

… Gangsterballade in sechs Episoden über den Fluch des Ersten Weltkriegs: Peaky Blinders.

Sky Atlantic HD zeigt die sechsteilige erste Staffel Peaky Blinders seit dem 2. Juni als deutsche TV-Premiere. Die historische Dramaserie ist montags, um 22.00 Uhr zu sehen.

Ein beinahe abstraktes Chinatown der exotischen Zeichen und der engen Gassen: Ein Reiter auf seinem Pferd taucht ein in diese Welt, deren Bewohner argwöhnisch zurückweichen und in schummrigen Hausfluren verschwinden. Wie ein Racheengel aus einem Sergio-Leone-Western gleitet der Mann an ihnen vorbei, um ein magisches Ritual zu beschwören und seinem Schicksal einen Sieg abzuringen. Sekunden später bläst eine junge Chinesin dem Tier das farbige Zauberpulver über die Nüstern. Das Pferd spielt eine wichtige Rolle in seinen Plänen für die Zukunft. Der Mann verdient sein Geld mit illegalen Wetten und anderen Verbrechen, und wir werden sehen, dass Thomas Shelby, wie ein Fluchbeladener gespielt von Cillian Murphy (28 Days Later), nicht nur auf sein Glück vertraut, um diese Zukunft zu gestalten. Und damit auch gleich die Vergangenheit abzustreifen, die nichts anderes für ihn bereithielt als die Gräuel des Ersten Weltkriegs.

Der Clou der neuen Serie Peaky Blinders ist die historische Folie, vor der sich die nicht immer unbedingt neuen Dramoletten rund um den Gangsterclan der Shelbys romanhaft entfalten und verkomplizieren. Ein gewisser Winston Churchill macht gerade als Kriegsminister gegen alles „Bolschewistische“ auch im eigenen Land mobil. Eine schöne Spionin wird auf Shelby angesetzt, um der IRA eine gestohlene Waffenladung vor der Nase wegzuschnappen. Prostitution, Aufstände, brutale Polizeiübergriffe –  dies ist nicht das England von Downtown Abbey, auch wenn die Zeit in etwa die gleiche ist. Keine fröhlich-neurotische Kutschenfahrt über grüne Hügel oder der erotische Fauxpas zum Vier-Uhr-Tee. Peaky Blinders nannten sich die Mitglieder einer historisch authentischen, äußerst gewalttätigen Straßengang, weil sie Rasierklingen in ihre Schiebermützen einnähten, was einem Gegner schon mal ein Auge oder ein Ohrläppchen kosten konnte. Thomas Shelby ist, obwohl nur der Zweitgeborene, der ungekrönte König dieser Unterwelt in der traurigsten Ecke von Birmingham, das Serienschöpfer Stephen Knight und seine Regisseure Otto Bathurst und Tom Harper als alptraumhafte Landschaft ausmalen: ein  von der Industrialisierung verseuchtes Niemandsland mit freudlosen Pubs, verrußten Hinterhöfen und Kanälen im Nebel, die zur Leichenentsorgung einladen.

Natürlich drängen sich Vergleiche auf mit all den anderen moralisch zweifelhaften  Aufsteigergeschichten, die dem 20. Jahrhundert seine dramaturgische DNA gaben, und die nun unermüdlich auch in amerikanischen Fernsehserien wieder aufleben. Doch Peaky Blinders findet seine ganz eigene Erzählform, mit Rissen und Sprüngen, aber doch  spannend und originell.

Vielleicht hat es auch mit den vielen machttrunkenen Potentaten zu tun, die uns die heutige Realität beschert. Fasziniert verfolgen wir immer wieder aufs Neue, welche Katastrophen eine narzisstische Störung unter ungünstigen Bedingungen hervorrufen kann. Um zu verstehen, wie sie ticken. Um mit einer gewissen moralischen Befriedigung zu erleben, wie alle, die dem schwarzen Loch zu nahe kommen, darin vergehen. Cillian Murphy bewegt sich als kalt intrigierender Clanchef manchmal wie ein Untoter aus einem expressionistischen Stummfilm der Weimarer Zeit. Obwohl die Figuren alle viel zu viel reden. Dabei sprechen die exaltierten Bilder, besonders die der traumatischen Kriegserinnerungen und ihrer abrupt ausbrechenden Nachbeben, deutlich genug. Auch Shelbys Gegenspieler, Chief Inspector Chester Campbell, wunderbar fanatisch von Sam Neill gespielt, ist so ein Kriegsgespenst, ein Golem, als Churchills Geheimwaffe gegen alle subversiven Elemente direkt aus den Straßen von Belfast herbeigerufen, um wie eine biblische Plage über die Menschen zu kommen.
Die Gewalt findet hier kein Ende, nur immer eine neue Richtung. Eine pessimistische Vision, die noch Potenzial für ein paar weitere dramatische Wendungen aus einem bislang unberührten Kapitel der englischen Geschichte in sich birgt. Die zweite Staffel wurde bereits angekündigt.

Die FSF prüfte bisher drei Folgen der ersten Staffel. Diese erhielten eine Freigabe für das Hauptabendprogramm (20.00 – 6.00 Uhr)/ ab 12 Jahren. Zur ProgrammInfo der Serie Peaky Blinders auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Jürgen Dünnwald

Studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Völkerkunde und Anglistik sowie Kunst an der FH Köln. Seit 1991 ist er Verfasser von Drehbüchern für Fernsehfilme und -serien, seit 2011 übernimmt er Museumsmoderationen und -workshops für Kinder und Jugendliche für die Kulturprojekte Berlin. Jürgen Dünnwald ist Prüfer bei der FSF.