Hass auf der Haut – kein Tabula rasa, sondern ein Prozess

H A T E steht auf den Fingerknochen seiner rechten Hand. Ein Pfeil – eine nordische Rune – flankiert sein rechtes Auge und versinnbildlicht in der Auslegung der White-Power-Ideologie die kriegerische Bereitschaft, für die eigene Rasse zu töten. Auf der Innenseite seiner Elle – ein SS-Zeichen. Zahlreiche andere rassistische und gewaltstilisierende Symbole sowie Namen von Skinhead-Organisationen zeichnen seinen gesamten Oberkörper – selbst sein Gesicht.

Der Träger dieser Tattoos ist nicht einer der Darsteller von American History X. Der Träger dieser Tätowierungen ist der ehemalige US-amerikanische Skinhead Bryon Widner. Ein Mann, der den Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene des Mittleren Westens geschafft hat und nun in der US-amerikanischen TV-Dokumentation Hass auf der Haut (orig. Erasing Hate, 2011) bei der Entfernung seiner Tätowierungen auf Gesicht, Hals und Händen begleitet wird. Ein Prozess, der entgegen der ursprünglichen Annahme von acht Laserbehandlungen letztlich 25 schmerzhafte Sitzungen umfassen wird und mehr als 18 Monate dauern soll.

Im ersten Drittel der Dokumentation schildern Widner und seine Ehefrau Julie Larsen, die früher selbst Rassistin war, ihre biografischen Vorgeschichten, ihre einstigen Überzeugungen und Lebenseinstellungen. Im weiteren Verlauf liegt der Fokus auf den Laserbehandlungen und den damit verbundenen Folgen. Begleitend hierzu beschreiben Widner und Larsen die Motive und Schwierigkeiten ihres Ausstiegs aus der rechtsradikalen Szene und wie sie heute auf ihre Vergangenheit blicken.

In den USA, wo die Dokumentation von Bill Brummel bereits 2011 auf MSNBC ausgestrahlt wurde, sind innerhalb der Zuschauerbewertungen (u.a. IMDb; SPLC) zwei markante Lesearten zu erkennen. Die einen zweifeln an der Glaubwürdigkeit Widners, unterstellen ihm die soziale Unverträglichkeit der White-Supremacy-Ideologie nicht über seine persönlichen Belange hinausgehend verstanden zu haben, sich nicht tatsächlich von der rassistischen Ideologie distanziert zu haben (vgl. IMDb; deadendfollies). Die überwiegende Mehrheit hingegen sieht in Erasing Hate die authentische Darstellung eines fehlerhaften Ehepaars, das einen für ihre Familie und für die Gesellschaft wertvollen, inspirierenden Lebenswandel beschritten hat, sozusagen „A skinhead’s story of redemption“. Über die Leistung Widners und seiner Familie hinausgehend wird insbesondere die beachtenswerte Unterstützung der Bürgerrechtsbewegungen betont, die dem Ehepaar zu diesem Wandel verholfen hat– „Earsing Hate […] illustrates a powerful reminder that love and acceptance from people you didn‘t expect it from can make all the difference.“ (Erika Miller).

Diese beiden Rezeptionsmuster schließen sich sicherlich nicht gänzlich gegenseitig aus. Die Dokumentation, die sich dem Neonaziproblem nicht aus der Opfer-, sondern Aussteigerperspektive nähert, liefert gewiss keine allgemeine kritische Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Szene der USA, relativiert diese aber auch in keiner Weise. Vielmehr werden anhand des Beispiels Widners kontroverse Fragen der Reintegration aufgeworfen. Wie die Rezeption in Deutschland ausfällt, bleibt abzuwarten:
Am 7. August 2014 zeigt N24 Hass auf der Haut um 22.05 Uhr in der deutschen Free-TV-Premiere.

Die Rezeption des FSF-Prüfausschusses viel zumindest in Hinsicht von Jugendmedienschutzbelangen folgendermaßen aus: Für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren gab es grünes Licht. Durch die Rezeption dieser Dokumentation sei bei der Altersgruppe weder eine sozialethische Desorientierung noch eine nachhaltige Ängstigung zu befürchten. Die Naziideologie würde erkenntlich abgelehnt, die Bilder der Laserbehandlung seien zwar intensiv, für 12-Jährige jedoch auszuhalten, da ihnen ist der Hintergrund dieser OP hinreichend verständlich sei.

Zur ausführlichen ProgrammInfo der Dokumentation Hass auf der Haut auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Mareike Müller

Mareike Müller studierte Kulturanthropologie und Rechtswissenschaften (BA) sowie European Studies (MA) an der Georg-August Universität Göttingen und Europa Universität Viadrina. Nach verschiedenen Erfahrungen in der politischen und kulturellen Vermittlungsarbeit im In- und Ausland war sie von 2012 bis 2014 als studentische Mitarbeiterin bei der FSF redaktionell und im Projektmanagement tätig. Seit 2015 schreibt sie als freie Autorin für der FSF-Blog.