Abgründige „Schwedenhappen“ – mit Schnitten ins Hauptabendprogramm

Der spannende Thriller Verblendung (OT: The Girl with the Dragon Tattoo, USA 2011) fußt auf dem gleichnamigen Kriminalroman aus Stieg Larssons Millennium-Trilogie. Hauptfigur ist der Journalist Mikael Blomkvist, der – im Gegenzug zu brisanten Informationen – einen sehr speziellen Auftrag des Unternehmers Henrik Vanger übernimmt: Unter dem Vorwand, dessen Biografie zu schreiben, soll Blomkvist Nachforschungen über das Verschwinden von Vangers geliebter Großnichte Harriet anstellen, das schon eine ganze Weile her ist. Bei der detektivischen Arbeit erhält Blomkvist Unterstützung von der jungen Außenseiterin und genialen Hackerin Lisbeth Salander, die aufgrund ihrer aktenkundigen psychischen Auffälligkeit unter Vormundschaft steht. Ihr Vormund nutzt diese Abhängigkeit seit Jahren aus, um die junge Frau sexuell zu missbrauchen, wofür sie sich im Laufe der Geschichte bitter rächen wird. Gegen viele Widerstände kommen Blomkvist und Salander der Wahrheit näher und blicken dabei in den Abgrund einer düsteren Familiengeschichte, in der erzwungener Sex und vertuschte Morde eine wesentliche Rolle spielen.

Der Film wurde von der FSK ab 16 Jahren freigegeben. Das bedeutet, dass er erst ab 22.00 Uhr ausgestrahlt werden darf. Aber nun läuft er im Hauptabendprogramm um 20.15 Uhr! Ein Skandal? Nein, eine Schnittfassung! Aufgrund der FSK-Freigabe hatte der Sender den Film bereits mit 19 Schnitten gekürzt bei der FSF vorgelegt, und die FSF erteilte noch eine zusätzliche Schnittauflage – erst für die so erarbeitete Fassung war man sich einig, dass keine erhebliche Beeinträchtigung junger Zuschauer ab 12 Jahren mehr zu erwarten sei.

Die Schnittauflage betraf eine Vergewaltigung von Lisbeth Salander durch ihren widerlichen Vormund Bjurman. Diese Szene schätzte die FSF als extrem belastend ein, zumal Salander die Figur ist, die jungen Zuschauern emotional nahekommt. Denn mit ihrem Anderssein, ihrer Einsamkeit, der verborgenen Genialität und den massiven Konflikten beim Aufbau eines eigenen Lebens spiegelt sie typische Entwicklungsthemen der Pubertät. Bjurmans Verbrechen, das Salanders Rache erklärt, wird in der gekürzten Fassung noch ausreichend deutlich, sodass auch der massive Angriff auf ihn entsprechend einzuordnen ist.

Selbst in der Schnittfassung sind einige Gewaltszenen noch abschreckend grausam, aber im Kontext zum Verständnis der Geschichte und zur Einordnung der Personen und ihrer Beweggründe notwendig.

Die dichte und komplexe Handlung ist erkennbar fiktional und fern des Alltags, was als grundsätzlich entlastend eingeschätzt wurde. Zudem agiert Mikael Blomkvist völlig gewaltfrei und verlässt sich ganz auf die journalistische Recherche und seine Kombinationsgabe – und ist damit letztlich erfolgreich.

Fazit: In Stil und Inhalt ist Verblendung sicher kein Angebot für ältere Kinder im Alter von 12 und 13 Jahren, dennoch dürfte die vorliegende Schnittfassung bei entsprechender Medienerfahrung mit Kriminalgeschichten im Hauptabendprogramm verkraftbar sein. ProSieben zeigt den Thriller am Sonntag, 24. Januar um 20.15 Uhr.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehpramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.