Popcornkino oder Melodramatik?

Zwei Regisseure und ihr Umgang mit dem Thema Tod

Oft beginnt es schleichend ‒ mal eine Verstimmung hier, ein Tränentag da. Kein Drama. Doch manchmal wird es schlimmer ‒ ausweglos. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt einer aktuellen Studie zufolge die Zahl der jährlich weltweit vollzogenen Suizide auf etwa eine Million. Andere Menschen wollen leben ‒ und dürfen es nicht. Die WHO gibt die Zahl der Krebstoten weltweit pro Jahr mit etwa 8,2 Millionen an ‒ Tendenz steigend. Tragödien ‒ und keineswegs Randerscheinungen. Denn wohl jeder war zumindest indirekt schon einmal mit todbringenden Krisen konfrontiert.

Da liegt der Schritt aufs Zelluloid nahe: Tragödie und Komödie liegen dort oft eng beieinander. So wie in A Long Way Down (2014), der britischen Verfilmung des gleichnamigen Bestsellerromans von Nick Hornby aus dem Jahr 2005. Regisseur Pascal Chaumeil schildert ‒ gespickt mit einer ordentlichen Portion schwarzen Humors ‒ die gesamte Bandbreite depressiver Verstimmung: ein in Ungnade gefallener, alkoholkranker Star-Moderator (Martin: Pierce Brosnan); die vereinsamte und überforderte alleinerziehende Mutter eines behinderten Sohnes (Maureen: Toni Collette); eine verwöhnte, aber unglückliche Politikertochter (Jess: Imogen Poots); der erfolglose, hypochondrische Musiker und Pizzalieferant J.J. (Aaron Paul). Vier Menschen also, die unterschiedlicher wohl nicht sein könnten, treffen sich zufällig am Silvesterabend auf dem Londoner Topper’s Tower ‒ fest entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Stattdessen erzählen sie sich ihre Lebensgeschichte und beschließen, bis zum Valentinstag zu überprüfen, ob das Leben nicht doch lebenswert sein kann.

Die Antwort nimmt Regisseur Pascal Chaumeil bereits vorweg: Er überzeichnet seine Protagonisten durch jene Ironie, jenen Sarkasmus, den man sicherlich nicht zuerst bei Selbstmordkandidaten suchen würde. Die Ausweglosigkeit der vier Charaktere tritt im Laufe des Films hinter die Hoffnung ‒ ja fast die Gewissheit ‒ zurück, dass das Leben doch etwas zu bieten hat. Die so erzeugte Sympathie mit der Vierergruppe kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Protagonisten quasi gegenseitig ‒ ohne die nötige professionelle Hilfe ‒ therapieren und letztendlich keiner von ihnen den Suizid vollzieht. Dies lässt den Film zu unterhaltsamem Popcornkino verkommen, das jedoch der eigentlichen Dramatik nicht durchgängig gerecht wird.

Auch in The Broken Circle (2012; OT: The Broken Circle Breakdown) des belgischen Filmemachers Felix van Groeningen geht es um den Tod. Doch im Gegensatz zu den vier Suizidkandidaten will Maybelle (Nell Cattrysse) leben ‒ immerhin ist sie gerade erst sechs Jahre alt. Ihre Eltern, der Musiker Didier (Johan Heldenbergh) und die Tattookünsterin Elise (Veerle Baetens), verbindet eine leidenschaftliche Beziehung, bis sie ungewollt schwanger wird ‒ und sich für das Kind entscheidet. Von der Chronologie entbunden und umrahmt von live dargebotenen, den roten Faden spannenden Country-Balladen erzählt der Regisseur das Leben der kleinen Familie vor und nach der niederschmetternden Krebsdiagnose. Entgegengesetzt zu Pascal Chaumeil begegnet er dem bevorstehenden Tod seiner Protagonistin mit schonungsloser Wucht. Allein die musikalische Umrahmung spendet etwas Trost.

Wo Ironie und Sarkasmus in A Long Way Down die eigentliche Dramatik der Protagonisten sanft abfedern und zuweilen ins Komische verkehren, trifft The Broken Circle ungebremst direkt ins Mark. Nicht nur Eltern wird die verzweifelte Suche von Didier und Elise nach einem Lebenssinn nach der persönlichen Katastrophe an den Rand des Erträglichen treiben. „Wenn ihr euch eines Tages auf dem Topper´s Tower“ wiederfindet ‒ man könnte es verstehen!“, möchte man ihnen zurufen. Glaubhaft vermittelt der Regisseur, dass der Verlust des eigenen Kindes vermutlich die größte anzunehmende persönliche Tragödie darstellt ‒ beschönigen lässt sich das ohnehin nicht. Dabei übernimmt der Krebs quasi die Kontrolle über das Leben der drei Protagonisten. Sie müssen die eigenen Handlungsfäden aus der Hand geben.
Pascal Chaumeil hingegen wehrt sich in seiner Begegnung mit dem Todesmotiv gegen diese Hilflosigkeit ‒ auch wenn der entscheidende Vorteil seiner Protagonisten sicherlich die Wahlmöglichkeit ist. Er stellt die Menschen in den Mittelpunkt, die sich mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen müssen.

Welcher Film für Sie am besten passt, das müssen Sie selbst entscheiden. Denn für den Umgang mit Tod und Trauer, ja, für den Umgang mit Trauernden, gibt es kein Schema F. Trost spenden können beide Filme ‒ wenn auch auf ziemlich unterschiedliche Weise …

Mehr zu den Themen Tod und Trauer finden Sie in der tv diskurs 73, 3/2015: Ausnahmezustand. Unser Umgang mit medialen Darstellungen von Krisen und Katastrophen.

Über Cornelia Klein

Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.