Und was schauen Sie, Herr Conrad?

(c) Michale ConradSie sind Prüfer der FSF – schauen Sie auch privat Fernsehen? Wie oft schalten Sie zuhause Ihren Fernseher an?

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ – Antworten frei nach dem Theaterstück von Christian Dietrich Grabbe (1801 bis 1836), oder was ich schon immer mal sagen wollte, mich aber leider keiner gefragt hat.

Ja – ich schaue auch privat Fernsehen und auch Privatfernsehen.

Es geht morgens los – die nächtlichen Fernsehformate im Schlaf gerade weggedöst und verarbeitet und schon gibt es Frühstücksfernsehen. Im Büro schließt sich dann die Programmbeobachtung an. Interessant: Das Tagesprogramm bis zum Mittag der Öffentlich–Rechtlichen (ÖR) ist von den Privaten auf der formalen Ebene nur noch schwer zu unterscheiden. Nachmittags geht dann der Zoobetrieb mit kleinen und großen Tieren in der ARD los, im ZDF eröffnet der „Kochzoo“ und bei den führenden Privaten kann der „Menschenzoo“ beobachtet werden. Falls es Redakteuren gelingt, diese drei Formate zu einem zu amalgamieren, wäre das der absolute Quotenbringer. Im Zoo wird gekocht, die Menschen der Scripted-Reality-Formate könnten im Freigehege ihre kleinen und großen Konflikte austragen und den munteren Affen unter Anleitung von lustigen Köchen beim Zubereiten von leckeren Mahlzeiten zuschauen.

Wann und in welchen Situationen schalten Sie den Fernseher an und was schauen Sie regelmäßig?

Was ich möglichst nicht versäumen möchte:

Fußball live, wobei die Privaten früher lockere und profundere Kommentatoren hatten. Die Champions League war besser bei SAT. 1 aufgehoben. Das ZDF hat jedoch das Geld durch den demokratiefördernden Rundfunkbeitrag. Nicht regelmäßig, leider, aber immer wenn es etwas Neues vom großartigen Dominik Graf gibt. Leider hat es Graf auch schwer, sein Geld für die stilbildenden und den üblichen Rahmen des Fernsehens sprengenden Produktionen zusammenzubekommen. Die Kritik am Umgang der ARD mit Im Angesicht des Verbrechens muss hier nicht wiederholt werden. Die Mehrzahl der Intendanten der ÖR kümmert Kritik bei ihrem Schielen auf die Quote scheinbar nur wenig. Hier offenbart sich die Dialektik und die Absurdität der deutschen Fernsehlandschaft. ARD und ZDF fixieren sich auf die Quote als abstrakte Größe, die Privaten haben den Zuschauer als Kunden im Blick, denn sie wissen, dass die Zuschauer die Quote bringen.

Die beste Einladung zum abwechslungsreichen Kindergeburtstag ist Schlag den Raab. Bis 2 Uhr nachts zieht sich das dahin und gibt dabei die Möglichkeit, die eigene Infantilität zu testen. Die Show von Raab ist originell und manchmal überraschend. Die Kindergeburtstage, die Pilawa, Lanz und Hirschhausen und wie sie alle heißen anbieten, werden ignoriert.

Natürlich schaue ich auch aus beruflichen Gründen (Jugendmedienschutz) einzelne Sendungen gezielt. Wer etwaige Verstöße gegen das „seelische und leibliche Wohl“ von Kindern sehen will, sollte jedoch nicht das Privatfernsehen beobachten, sondern sich den öffentlich-rechtlichen Sendern zuwenden. Um kurz nach 17.00 Uhr geht es schon los. „Trashformate“ wie Brisant und Hallo Deutschland bieten so manches, was jüngere Zuschauer nachhaltig ängstigen (vgl. § 31 Abs. 3 Nr.2 PrO-FSF) könnte. Da werden Unfallopfer über die Autobahn getragen, darauf hingewiesen, dass ganze Familien umgekommen sind. Spektakulär und voyeuristisch werden die Schrecken vorgeführt und schon wird von Moderatorinnen im Triviallook, mit Betroffenheitsmiene zum nächsten Klatsch und Tratsch übergeleitet. Väter löschen ihre Familien aus und Kindermörder und Kindesmisshandlungen werden natürlich auch abgehandelt. Diese Formate nennen sich ja Boulevard und auf dem Boulevard ist natürlich immer was los. Da gab es schon Inszenierungen, die ein Kind zeigten, das von der Kamera (subjektiver Blick des Täters) im Laufen verfolgt wurde um vordergründigen Nervenkitzel zu provozieren. Wir, die im Jugendmedienschutz tätig sind, wissen, umso alltagsnäher und realistischer die Themen und Darstellungen sind, umso mehr Wirkungsmacht wird entfaltet. Noch ein Tipp für professionelle Gaffer: wer die Schreckensbilder von Brisant noch einmal sehen will, switche schnell zu Hallo Deutschland. Die Chance, den gleichen Unfall mit fast identischen Bildern geboten zu bekommen, ist groß.
Sonntags, Punkt 20.15 Uhr ist häufig der Höhepunkt der Programmbeobachtung. Jeder Privatsender würde so manches Mal bei der Ausstrahlung vom Tatort in Schwierigkeiten kommen. Die KJM würde sich, wenn es die Gelenkigkeit der Damen und Herren zulassen würde, zu recht zu einem drohenden Ausrufezeichen formieren. So zum Beispiel beim Tatort – Es ist böse. Da treibt ein von Uwe Bohm dargestellter Prostituiertenmörder sein Unwesen. Der Tatort, eine Wohnung, ist blutverschmiert und wird spekulativ in Szene gesetzt. Da wären selbst die Experten von CSI: Miami erschrocken. Die Sprache, insbesondere die Statements des Mörders, sind hart und brutal und explizit, mit anderen Worten: ein wunderbarer Beitrag für das Spätabendprogramm.
Interessant auch die Beobachtungen rund um den engagierten und von der ARD als Premiumproduktion ausgelobten Fernsehfilm Operation Zucker. Die Geschichte um Kinderhandel und Kinderprostitution wurde vom Produzenten bei der FSK für die DVD-Kennzeichnung vor der Fernsehausstrahlung eingereicht und erhielt in allen Instanzen offensichtlich wohlbegründet das Kennzeichen „Freigegeben ab 16 Jahren“. Da war man als Beobachter des Jugendmedienschutzes natürlich gespannt, ob die geplante Sendezeit von der ARD, um 20.15 Uhr, aufrecht erhalten wird. Sie wurde, aber nicht ohne eine umfassende Kürzung. Ein Privatsender hätte den Film nochmals bei der FSF vorlegen müssen, das konnte der verantwortliche Sender der ARD wegen des Sendetermins einen Tag nach der Prüfung nicht mehr realisieren,aber muss er nach den gesetzlichen Realitäten auch nicht. Die Operation Zucker ist ein ambitionierter, aber nach meiner Einschätzung ein von der Kritik überschätzter Fernsehfilm, der sich teilweise in aufdringlicher und unglaubwürdiger Form dem Thema annimmt. Eine Woche später lief ein Fernsehfilm mit dem großartigen Ronald Zehrfeld in der Hauptrolle. Mord in Eberswalde, ein ruhiger und präziser Film um einen Ermittler, der einem Kindermörder in Eberswalde, DDR, nachspürt – beeindruckend und spannend, ohne aufgesetzte Effekte. Über Zehrfeld komme ich natürlich abermals zu Dominik Graf, der mit Das unsichtbare Mädchen einen weiteren Film zu dem Thema Kinderprostitution ablieferte, der weit über die Oberflächenreize und zu erwartenden dramaturgischen Muster von Operation Zucker hinausgeht.

Wird der „On-Knopf“ gedrückt, weil Sie ein bestimmtes Programm sehen wollen oder zappen Sie sich durch die Kanäle, bis Sie etwas Passendes finden, und wann betätigen Sie den „Off-Schalter“? Wie verbringen Sie Ihre Zeit vor dem Fernseher – sind Sie ein aufmerksamer Zuschauer oder erledigen Sie beim Fernsehen Dinge nebenbei?

Der Fernseher läuft Tag und Nacht. Zusehen brauche ich nicht. Das Tagesprogramm kann zumeist auch als Hörfunk konsumiert werden. Nur bei einer FSF-Prüfung wird durchgängig zugeschaut. Ansonsten ist die ästhetische Welt des Fernsehens manchmal – außer bei Serien, Dokumentationen, Fernsehfilmen und Spielfilmen – eine Beleidigung für Menschen, die noch wissen wer Godard, Visconti und John Ford sind. Fernsehen ohne Ton kann auch ganz schön sein. Einfach Ton weg und eine CD von Jerry Jeff Walker (Pissin` In The Wind) oder MC5 (Kick out the Jams) einlegen und durch die Lautstärke die Nachbarn erschrecken.

Sind Sie durch Ihre Prüftätigkeit bei der FSF auf bestimmte Programme aufmerksam geworden, die Sie nun auch in Ihrer Freizeit interessieren – und die sie sich gar auf DVD besorgen?

Klar, es gibt tolle Fernsehserien, die ich bei der FSF geprüft habe und von denen ich Folgestaffeln auf DVD gekauft habe. Spartacus gefällt der Freundin und dem Kater aber nicht – zu blutig und zu muskulös…
Homeland
umso mehr!
Gibt es Formate oder Programme, die sich Ihrer Meinung nach im Fernsehprogramm zu wenig oder gar nicht wiederfinden? Wie kompensieren Sie diese „Lücken“?

Lücken gibt es bei mir nicht – siehe oben.

Bei welchem Format, welchem Film hatten Sie das letzte Mal das Gefühl wirklich gut unterhalten zu werden? Was war Ihr letztes gutes Fernseherlebnis?

Kommissarin Lund – Das Verbrechen ist großartig und darf nicht versäumt werden.

Über FSF

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist ein gemeinnütziger Verein privater Fernsehanbieter in Deutschland. Ziel der FSF ist es, einerseits durch eine Programmbegutachtung den Jugendschutzbelangen im Fernsehen gerecht zu werden und andererseits durch Publikationen, Veranstaltungen und medienpädagogische Aktivitäten den bewussteren Umgang mit dem Medium Fernsehen zu fördern. Seit April 1994 lassen die Vereinsmitglieder ihre Programme bei der FSF prüfen, seit August 2003 arbeitet die FSF als anerkannte Selbstkontrolle im Rahmen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV).