WhatsApp auf dem Handy – bitte zum Wohle der Kinder deinstallieren!!

Die Eltern zweier Töchter, 10- und 15-jährig, müssen sich vor dem Amtsgericht Herford verantworten. Der Vorwurf – Gefährdung des Kindeswohls durch die unbeaufsichtigte Nutzung der internetbasierten  Messenger-App WhatsApp.

Zum Sachverhalt:

Die beiden Mädchen wachsen nach der Trennung der Eltern bei ihrem Vater auf. Die ältere Tochter S. fiel spätestens seit dem Alter von 3 Jahren durch eine Entwicklungsstörung mit besonderen Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung und in der Motorik auf. Dieses bedingte diverse ärztliche Untersuchungen und auch Klinikaufenthalte. Nach wie vor bedarf S. therapeutischer Hilfe. Der Vater besuchte im Zuge dieser Behandlungen mal mit einer oder beiden Töchtern einen alten Schulfreund. Dieser fing im Juni 2015 an, der älteren Tochter sogenannte Sexting-Nachrichten via WhatsApp zu schicken. Die Tochter vertraute sich zunächst ihrer Mutter an, die ihr daraufhin riet, den Kontakt zu blockieren. Bereits im Herbst suchte der Schulfreund jedoch erneut den WhatsApp-Kontakt. Wiederrum riet die Mutter, die Nummer zu sperren. Dies hätte ihr der Vater jedoch untersagt, entgegnete die Tochter. Ein die Situation aufklärendes Gespräch hat die Mutter mit dem Vater nicht geführt. Zu dieser Zeit hätte sich S. auch in der Schule zurückgezogen, bemerkte ihre Lehrerin im Rahmen der Ermittlungen. Erst im April 2016 vertraute sich S. dem neuen Lebensgefährten der Mutter an, der daraufhin die Lehrerin kontaktierte. Diese bezog die Kindesmutter mit ein; schließlich wurden Polizei und Jugendamt benachrichtigt. Der Vater gibt in der Verhandlung vollständig glaubhaft an, dass er von dieser prekären Situation nicht gewusst und auch nichts bemerkt habe. Er hätte zwar mit der Zeit schon mal mitbekommen, dass S. mit seinem Freund irgendwelche Nachrichten ausgetauscht hätte. Auf konkrete Nachfrage hätte S. aber beschwichtigt und stets nur geantwortet, dass sich nur über lapidare Dinge ausgetauscht werde.

WhatsApp auf dem Handy – bitte zum Wohle der Kinder deinstallieren!! © sh/fsf
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Der Beschluss:

Das Gericht entschied, dass beide Töchter durch die Vorfälle in ihrem seelischen Wohl beeinträchtigt worden seien. Insbesondere die durch die direkten Chatkontakte betroffene S. Aber auch ihre kleine Schwester T., welche von ihrer großen Schwester laufend über die Vorfälle informiert wurde und die Chatinhalte auch lesen konnte, sei dadurch involviert und in ihrem seelischen Befinden beeinträchtigt worden. Zu berücksichtigen sei auch die lange Dauer der Beeinträchtigung von über zwölf Monaten.
Beide Eltern beteuern, dass sie ihre Kinder künftig davor bewahren wollen, erneut schutzlos sexuellen Ansprachen oder in der möglichen Folge noch denkbar Schlimmerem ausgeliefert zu sein. So wurde durch den Kindsvater ausdrücklich erklärt, dass mit dem Schulfreund keinerlei Kontakt zu den Kindern mehr erfolgen soll. So das Bestreben für die „reale“ Welt. Das Gericht ist aber im Rahmen der Erörterung zu der Überzeugung gelangt, dass die Eltern in medienpädagogischer, vor allem in technischer Hinsicht große Wissensdefizite offenbaren. Außer der realen Kontaktsperre hätten beide keine weiteren Maßnahmen im Blick gehabt, ihre Kinder vor digitalen Gefährdungen zu schützen. Das Gericht ordnet daher zahlreiche Auflagen an, mit denen entsprechenden Risiken künftig begegnet werden kann.

WhatsApp – Technik der Zwangsvernetzung

Um die Ursachen der wiederholt möglichen Kontaktaufnahme durch den Schulfreund zu klären, analysiert das Amtsgericht zunächst anschaulich, mit welchen technischen Raffinessen die Messenger-App WhatsApp ausgestattet ist. WhatsApp verfüge über die Technik der sogenannten Zwangsvernetzung, die folgendermaßen funktioniere: „Unmittelbar nach Bestätigen der AGB und nach der Erstinstallation der Anwendung greift ‚WhatsApp‘ auf das gesamte digital gespeicherte Telefonbuch auf dem Gerät des Nutzers zu und kopiert unverzüglich alle hinterlegten Telefonnummern von dem Telefon des Nutzers auf seine eigenen ‚WhatsApp‘-Server (=Speicherorte) in Kalifornien. Weiter führt ‚WhatsApp‘ einen Abgleich (per technischer ‚Synchronisierung‘) der von dem neuen Nutzer preisgegebenen Telefonnummern/Kontakte mit allen übrigen für ‚WhatsApp‘ auf deren Server schon bekannten Telefonnummern/Kontakten durch, welche zuvor bereits von anderen Nutzern bei deren ‚WhatsApp‘-Erst-Installation und seither regelmäßig freiwillig an ‚WhatsApp‘ ausgeliefert wurden. ‚WhatsApp‘ nimmt sodann eine automatische Verknüpfung von übereinstimmenden Kontakten vor und hinterlegt diese vollautomatisch bei sämtlichen Nutzern, die die betreffenden Telefondaten in ihrem digitalen Smartphone- oder Tablet-Telefonbuch aufweisen.“

Diese automatisierte Vernetzung könne nicht einzeln unterbunden werden, auch der Ausschluss einzelner Nummern sei technisch nicht möglich, führte das Gericht weiter aus. Es verbleibe für den Nutzer vor der gänzlichen Deinstallation lediglich die Möglichkeit, unliebsame Kontakte zu sperren. Dies bewirke in technischer Hinsicht, dass der hinter der blockierten Nummer stehende Kontakt zwar weiterhin Nachrichten an den Nutzer schreiben könne, diese jedoch nicht mehr auf seinem Smartphone angezeigt würden. Eine solche Sperre könne aber von hartnäckigen Kontaktpersonen mit nur mäßigem Aufwand umgangen werden. Auch hierfür sei die bereits beschriebene Zwangsvernetzung ursächlich: „Der gesperrte Nutzer  nimmt schlicht ein neues Handy zur Hand, in welches eine andere SIM-Karte mit einer entsprechend anderen zugeordneten MobilfunkNummer eingelegt ist, oder aber er legt einfach eine solche andere SIM-Karte in dasselbe Gerät ein, und installiert bzw. aktiviert hiernach neu die Anwendung ‚WhatsApp‘, während zugleich die MobilNummer des ersten Nutzers im Telefonbuch seines Geräts hinterlegt d. h. gespeichert ist. So ‚findet‘ die App ‚WhatsApp‘ auf dem Gerät des zweiten Nutzers nach der (Neu-) Installation ebenfalls den ersten Nutzer über die diesem zugeordnete Mobiltelefon-Nummer, solange dieser erste Nutzer nur auch weiterhin die App ‚WhatsApp‘ auf seinem eigenen Gerät installiert hat.“
Auf den Fall übertragen bedeute dies, dass für den Schulfreund allein mit Kenntnis der Telefonnummer verbunden mit der Tatsache, dass die Töchter WhatsApp weiterhin installiert haben, immer wieder die Möglichkeit besteht, die Mädchen trotz Sperrung zu kontaktieren. Damit erscheint für das Gericht als erforderliche und angemessene Maßnahme, dem Vater die Auflage zu erteilen, WhatsApp von den Geräten seiner Töchter zu deinstallieren.

Mit Erfüllung der Auflage zur Deinstallation genüge der Vater darüber hinaus auch der Bedingung, die die App selbst bzgl. ihrer ordnungsgemäßen Nutzung zur Voraussetzung mache: In den AGB werde ausdrücklich vorgesehen, dass Personen, die jünger als 16 Jahre sind, den WhatsApp-Service in keiner Weise nutzen sollten. Nach Recherche des Gerichts findet jedoch eine entsprechende Kontrolle nicht statt.
Es ist der Auffassung, dass diese Altersgrenze einzuhalten sei, da die Nutzung des Dienstes für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren grundsätzlich eine Gefahr für ihre Privatsphäre und ihre Entwicklung bedeute. So stelle die umfängliche Preisgabe der Daten in die USA eine Entscheidung dar, die von Kindern unter 16 Jahren nicht überblickt werden könne. Die Zwangsvernetzung und die damit herausgegebenen Informationen (wie beispielsweise das Profilbild) beeinträchtigten die Privatsphäre jüngerer Kinder zudem massiv. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Kinder vor einer entsprechenden Nutzung einen verantwortungsvollen Umgang mit den Funktionen und den Risiken der Anwendungen aufgezeigt bekämen und eine besondere geistige Reife im Hinblick auf die Nutzung dieses umfassend vernetzten Kommunikationsnetzes aufwiesen.

Beides träfe in dem vorliegenden Fall nicht zu. Daher erteilt das Gericht dem Vater, parallel zur Deinstallation, die Auflage, anhaltend sicherzustellen, dass die Töchter auch keine anderen Messenger-Apps mit Zwangsvernetzungstechnik auf ihren Handys installieren. Zusätzlich wird er verpflichtet, alle drei Monate die Geräte samt Apps in Augenschein zu nehmen. Kurzmaschiger, nämlich einmal im Monat, soll er des Weiteren mit den Kindern Gespräche über die tatsächliche Nutzung ihrer Handys führen, um somit frühzeitig Gefahren und Problemen wie Cybermobbing, Abofallen oder jugendgefährdenden Inhalten vorzubeugen. Die Töchter würden durch diese Maßnahmen auch nicht vollständig in die „analoge Isolation“ verbannt, da ihnen die Möglichkeit verbleibe, Messenger-Dienste ohne Zwangsvernetzungstechnik zu nutzen. Hier böten sich nach eigener Recherche des Gerichts insbesondere folgende an: Hoccer, Threema und Wire. All diesen Diensten sei gemein, dass sie eine Nutzung entweder gänzlich ohne persönliche Daten oder aber nur mit einer (auch anonym gestalteten) Internetadresse ermöglichten. Diese Apps böten zudem hohe Rechtsstandards nach deutschem oder schweizerischem Recht. Auch bei diesen Diensten sei jedoch unbedingt darauf zu achten, dass der Aufforderung zur freiwilligen Angabe der Telefonnummer widersprochen werde, ansonsten werde auch hier ein Einfallstor für unliebsame Kontaktaufnahmen geschaffen. Das Gericht bietet den Eltern zum Ende der Verhandlung an, sich zum Zwecke der Stärkung ihrer Medienkompetenz an das Gericht zu wenden: Es würde über eine Liste mit für Eltern empfehlenswerten weitergehenden Informationen, Internetadressen sowie Büchern zu den Themen „Onlinenutzung durch Kinder und Jugendliche“, „digitale Medienerziehung“ sowie „Kinderschutz im Internet“ verfügen.

Die den Eltern in diesem Fall auferlegten Auflagen besäßen Allgemeingültigkeit, postuliert das Gericht: So sei es die Aufgabe besonnener und vernünftiger Eltern, die den Kindern netzfähige Handys überließen, laufend sicherzustellen, dass sich die Kinder mit den möglichen Risiken und Gefahren auskennen und auf diese jeweils adäquat reagieren können.

 AG Bad Hersfeld, Beschluss vom 22.07.2016 – AZ.: F 361/16 EASO

Erläuterungen:
Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls – § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): „§ 1666 (1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.“

Über Anke Soergel

Studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Im Rahmen ihres Referendariats arbeitete sie u.a. bei der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst sowie bei der Produktionsfirma Zieglerfilm Köln GmbH. Als Volljuristin nahm sie 2008 ihre Tätigkeit als Referentin für Jugendschutzrecht bei der FSF auf. Sie betreut u.a. den Rechtsreport in der tv diskurs.