Auf dem Familientreffen der Klassifizierer

Welcome der Veranstalter (v.l.): Claudia Mikat (FSF), Christiane von Wahlert (FSK), Otto Vollmers (FSM), Felix Falk (USK) © photothek.net/Thomas Koehler
v.l.: Claudia Mikat (FSF), Christiane v.Wahlert (FSK), Otto Vollmers (FSM), Felix Falk (USK) © photothek.net/Thomas Koehler

Es ist zu einer schönen Tradition geworden: Jedes Jahr im Herbst treffen sich Vertreter zahlreicher Institutionen, die mit dem Bewerten von Filmen, Spielen und anderen Medieninhalten zu tun haben, zu einer zweitägigen Konferenz und tauschen sich zu aktuellen Themen und Entwicklungen aus. Zum zwanzigsten Jubiläum dieses Formates hatten FSF, FSK, FSM und USK nun nach Berlin eingeladen. Und gleich mal den bisherigen Namen der Veranstaltung über Bord geworfen, denn aus der International Film Classifiers Conference wurde kurzerhand ICC – International Classifiers Conference. Das fanden allerdings nicht einmal die Traditionalisten unter den Filmklassifizierern schlimm, zu vielfältig sind mittlerweile die Aufgaben der „rating bodies“.

Die Atmosphäre der Konferenz ist schon seit langer Zeit ein echter Selbstläufer. Sie ist nicht nur ausgesprochen kollegial, sondern zwischen vielen der Teilnehmer fast schon als freundschaftlich zu bezeichnen. Man kennt sich halt, man mag sich. Dabei spielt es interessanterweise kaum eine Rolle, aus welchem Regulierungsregime der einzelne kommt, ob er eine staatliche Einrichtung repräsentiert, von der Industrie finanziert wird oder gemeinnützig tätig ist.

ICC Berlin 2015 © FSF
ICC Berlin 2015 © FSF

Jeder, der schon einmal das Vergnügen hatte, eine internationale Konferenz mit meinungsstarken und mitteilsamen Teilnehmern aus den verschiedensten Ecken der Welt zu konzipieren, weiß, dass sich auch die beste Stimmung in einen schalen Nachgeschmack verwandeln kann, wenn die Agenda nicht stimmt, nicht die Richtigen zu Wort kommen, das rechte Maß an Interaktivität verfehlt wird oder schlicht „das Neue“ fehlt. Die deutsche ICC war in diesem Jahr nun ein Experiment, bei dem kurzweilige Dialoge auf der Bühne Hand in Hand gingen mit der Diskussion über die „richtigste“ Jugendschutzbewertung von Praxisbeispielen, angereichert mit (erfrischend wenigen) Fachvorträgen. Es darf, nicht ohne einen gewissen Stolz, als gelungen bezeichnet werden.

Die programmatische Frage „Media Regulation: Moving from Diversity to Harmonisation in Media Classification?“ lässt sich nach den zwei Tagen mit einem entschiedenen “Tja” beantworten. Die gemeinsam bewerteten Medienbeispiele deuteten bereits daraufhin, dass es zwar bei einigen Themen (Darstellung von Gewalt oder von Angst erzeugenden Inhalten) durchaus Übereinstimmungen gibt, in anderen Bereichen jedoch nur schwer überbrückbare Meinungsverschiedenheiten bestehen (z.B. bei der Darstellung von Nacktheit oder der Verwendung „schlechter“ Sprache). Auf diese Herausforderung scheint es perspektivisch zwei Antworten zu geben. Die eine besteht aus Bewertungstools (z.B. YouRateIt oder IARC), die aus den Antworten auf standardisierte Fragebögen je nach System bzw. Land unterschiedliche Ratings generieren.

ICC Berlin 2015: Romain Kohn (Autorité luxembourgeoise indépendante de l'audiovisuel) © photothek.net/Thomas Koehler
Romain Kohn © photothek.net/Thomas Koehler

Die andere wurde von Romain Kohn, Direktor der Autorité luxembourgeoise independante de làudiovisuel, sehr anschaulich illustriert: In Luxemburg gelten das deutsche und das französische System für die jugendschutzrechtliche Bewertung von Filmen gleichwertig nebeneinander, es herrscht quasi Wahlfreiheit. Je nach Perspektive ist dies ein Idealzustand oder eine Katastrophe. Oder beides. Diese Uneinigkeit im Kleinen lässt aber darauf schließen, wie schwer eine Harmonisierung von Jugendschutzstandards in Europa sein muss.

Eine weitere Erkenntnis: Die Eltern sind die wichtigsten Verbündeten der Bewertungseinrichtungen. Ihnen ausreichend Informationen und Hilfestellungen an die Hand zu geben und sie zu aufgeklärten Entscheidungen für die Mediennutzung ihrer Kinder zu befähigen, wird praktisch einhellig als wichtigster Auftrag an die Klassifizierer verstanden. Dass es einen entsprechenden Bedarf gibt, bestätigen Umfragen aus den Niederlanden, Großbritannien, Schweden und Norwegen.

In der nächsten tv diskurs (Ausgabe 74) gibt es zusätzlich einen ausführlichen Tagungsbericht. Und hier gelangen Sie zu weiteren Informationen, Bildern und der Pressemitteilung zur ICC 2015 Berlin.

Über Martin Drechsler

Martin Drechsler ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e.V.). Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und der FernUniversität Hagen sowie dem Referendariat arbeitete er als Rechtsanwalt. Bei der FSM ist er seit 2008 zuständig für rechtliche und technische Fragen des Jugendmedienschutzes und u.a. verantwortlich für das Altersklassifizierungssystem, die Beratung der FSM-Mitglieder bei der Kennzeichnung von Webinhalten, die internationale Vernetzung sowie Vorträge über Jugendschutz und Medienrecht.