Weckruf der Gegenwart

Es gab Zeiten, da konnte man sich fragen, welche Kraft können dokumentarische Formate eigentlich noch verbreiten. Wer will das sehen? Natürlich haben die Macher/-innen von doxs! und ich immer daran geglaubt, weil wir es wollten. Aber dennoch begleiteten uns die allgemeinen Zweifel bezüglich dieses Genres im Kino.

Seit über zehn Jahren begleite ich nun dieses Festival und es ist wunderbar zu beobachten, wie sich hier eine Festivalkultur immer weiter verbreitet. doxs!, die Sektion des Kinder- und Jugenddokumentarfilms ist längst kein Rahmenprogramm der Duisburger Filmwoche mehr. Die Veranstaltungen in Duisburg, Bochum, Essen und vielen Städten mehr füllen Kinosäle. Sicher, hier werden Schulklassen eingeladen und dann füllt sich sehr schnell ein Raum, aber es funktioniert: Die Schulen wollen, die Schüler/-innen kommen wieder und sie spüren, dass es in den Filmen um etwas geht. Und genau das verspürte auch die Jugendjury beim Siegerfilm Black Sheep von Christian Cerami, der die GROSSE KLAPPE – den Filmpreis für politischen Kinder- und Jugenddokumentarfilm der Bundeszentrale für politische Bildung – gewann.

Jugendjury 2016 mit Christian Cerami (Preisträger GROSSE KLAPPE), Hannah Lotte Stragholz & Simon Steinhorst (Lobende Erwähnung der GROSSE KLAPPE) © doxs!/Sven Neidig
Jugendjury 2016 mit C. Cerami (Preisträger GROSSE KLAPPE), H.L. Stragholz, S. Steinhorst (Lobende Erwähnung der GROSSE KLAPPE) © doxs!/Sven Neidig

Der Filmemacher begleitet einen Jugendlichen und seinen Bruder beim Besuch einer Anti-Islam-Demonstration der rechtsradikalen English Defence League. Sehr zufällig, rau und intuitiv wirken zunächst die Bilder und der Erzählstil, aber der Filmemacher ist nicht naiv und weiß sehr genau, was er will. Er erzählt eine klar strukturierte Geschichte von der Kraft der Verführung, wenn eine solche Bewegung familiäre Bindungen ersetzt und gleichzeitig die Möglichkeiten bietet, die eigene Wut und Unzufriedenheit zu kanalisieren. Der jüngere Bruder scheut am Ende den direkten Besuch der Demonstration, hält sich zurück, zeigt Respekt vor der Wucht der Wogen von Hass und Aggression, die diese Veranstaltung spürbar verbreitet. Aber man fragt sich, wie lange noch. Und so funktioniert dieser Film in seiner Verstörung wie ein Weckruf, dass wir uns damit beschäftigen müssen – nicht nur theoretisch. Und das passt ja nicht zuletzt in unsere politische Gegenwart, in der uns dieses Gedankengut auch in Schlips und Kragen begegnet.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Die Jury schreibt: „Dem Film gelingt es, ein gesellschaftliches Problem auf einer persönlichen Ebene zu erzählen und eröffnet dadurch eine neue Perspektive auf eine eigentlich weitgehend bekannte Thematik: die Konflikte um Religion, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Bilder nationalistischer Demonstrationen sind bedrückend und zeigen die Bedrohung, die fremdenfeindliche Parolen auslösen.“

Auch bei der lobenden Erwähnung für die deutsche Produktion Ein Aus Weg von Simon Steinhorst und Hannah Lotte Stragholz bewies die Jugendjury ein Gespür für die Verbindung von künstlerischer Ästhetik und sozialpolitischer Brisanz. Der erstmals vom europäischen Verband für Kinder- und Jugendfilm (ECFA: European Children’s Film Association) vergebene Preis für den besten europäischen Kinderdokumentarfilm ging an Dans for livet/Tanz für das Leben des norwegischen Regisseurs Erlend E. Mo.

Ein weiterer Trailer sowie Informationen zur Verleihung des 2016 ins Leben gerufenen Preises ECFA Documentary Award, der inhaltlich und ästhetisch hochwertige dokumentarische Produktionen für die junge Zuschauergruppe der Sechs- bis Zwölfjährigen würdigt, ist hier abrufbar:
http://www.do-xs.de/wettbewerbe.html

Logo GROSSE KLAPPE 2016 © doxs!
doxs! feiert in diesem Jahr  sein 15. Jubiläum. Aus diesem Anlass sprach Barbara Felsmann mit der Festivalleiterin Gudrun Sommer über die Bedeutung von doxs!, seine Entwicklung und seine Ziele. Das Interview mit dem Titel Unterm Strich weiß man immer, es geht hier um etwas! ist abrufbar auf tvdiskurs.de.

Über Leopold Grün

Leopold Grün arbeitete ein Jahr als Grundschullehrer in der DDR, absolvierte anschließend ein Studium der Sozial- und Medienpädagogik in München. An der Humboldt-Universität Berlin studierte er Sozial- und Politikwissenschaften und schloss 2001 an der TU Berlin als Diplom-Medienberater ab. Langjährige Tätigkeit als Medienpädagoge bei der FSF und ab 2004 auch gleichzeitig als freier Filmemacher tätig: Der Rote Elvis und Am Ende der Milchstraße sind unter seiner Regie entstanden. Aktuell arbeitet Leopold Grün als Geschäftsführer bei Vison Kino.