Interview mit ProSieben zur Barrierefreiheit

Für den Artikel Barrierefreiheit im privaten Fernsehen haben wir mit Frederike Wissel, Manager Corporate Sustainability, und Jessica Lilienthal, Manager Governmental Relations & Regulatory Affairs, der ProSiebenSat.1 Media SE über die Produktion und Bereitstellung barrierefreier Angebote ein Interview geführt.

 

Wer entscheidet oder wie wird ermittelt, wie hoch der Bedarf an untertitelten Sendungen ist oder es eher Audiodeskription benötigt?

Frederike Wissel: Seit 2016 gibt es eine eigene Stelle für das Thema Barrierefreiheit in der Abteilung Programmeinkauf, diese Abteilung verantwortet den stetigen Ausbau unseres Angebots an Formaten mit Untertiteln, Audiodeskription und seit kurzem auch Gebärdensprachübersetzung. Zudem hat Barrierefreiheit einen festen Bestandteil in der Umsetzung unserer seit 2018 entwickelten Nachhaltigkeitsstrategie. Wir haben diese Strategie auf Basis der UN Sustainable Development Goals entwickelt, eines der Ziele: Weniger Ungleichheiten. ProSiebenSat.1 wird sich auch künftig weiter dafür engagieren, allen Menschen eine Teilhabe am Fernseherlebnis zu ermöglichen und wir haben uns das Ziel gesetzt, unser Angebot auch in den kommenden Jahren weiter auszubauen.

Welche Sendungen werden bevorzugt untertitelt oder mit Audiodeskription versehen?

Frederike Wissel: Wir bauen unsere Formate, die wir mit Untertiteln, Audiodeskription und seit kurzem auch Gebärdensprache anbieten können, beständig aus. Dabei stehen wir regelmäßig im Austausch mit Betroffenenverbänden und orientieren uns an Zuschauerinteresse sowie Reichweite der Sendungen.

Wer produziert die Audiodeskriptionen?

Frederike Wissel: Das Ein- und Ausschalten der Audiodeskription erfolgt über das Smartphone und die „ProSieben AD“ oder „SAT.1 AD“ Apps. Diese ist für iOS und Android verfügbar und wird durch den Dienstleister Audio 2 zur Verfügung gestellt. Über diese kann man die Tonspur inklusive der Kommentierung empfangen. Zurzeit können wir aus technischen Gründen nur Live-Audiodeskription anbieten. Diese wird von erfahrenen, speziell ausgebildeten AD Sprechern übernommen. Sobald wir für Spielfilme Audiodeskription vorproduzieren, wird in diesen Prozess jeweils ein sehbehinderter oder blinder Redakteur mit einbezogen.

Wer erstellt die Untertitel? Werden Menschen mit einer Hörbehinderung mit in den Prozess einbezogen?

Frederike Wissel: Die Untertitel werden zum größten Teil extern erstellt, es gibt keine eigene Untertitel-Redaktion. Die Produktion wird von speziell ausgebildeten Redakteuren übernommen, die sich an die allgemein gültigen Untertitel-Standards halten, die unter Einbeziehung von Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung erstellt wurden.

Gibt es besondere Anforderungen für Kinderfilme?

Frederike Wissel: Die Sender der ProSiebenSat.1 Group richten sich an eine Zielgruppe ab 14 Jahre. Daher haben wir keine Formate für Kinder im Programm und können hierzu keine Vergleichswerte heranziehen.

Welche Qualitätskriterien gibt es für Audiodeskriptionen bzw. woran orientieren sich die Standards bei der Erstellung/Darstellung von Untertitel?

Frederike Wissel: Auch für die Audiodeskription gibt es Standards, an die sich unsere Sprecher halten und die wir bei künftigen vorproduzierten Sendungen mit Audiodeskription ebenfalls berücksichtigen werden. Um beurteilen zu können, ob eine von externen Anbietern angelieferte Audiodeskription diesen Standards entspricht, wurde unsere Fachabteilung in einem mehrtägigen Workshop, auch von einem blinden Redakteur, geschult.
ProSiebenSat.1 arbeitet bei der Erstellung und Darstellung von Untertiteln grundsätzlich nach den gleichen Standards, die auch die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie ORF und SRF anwenden. Einzelne Anpassungen aus sender- oder formatspezifischen, redaktionellen Gründen sind möglich.

Geben Sie die audiodeskribierten bzw. untertitelten Sendungen vorab „zur Qualitätskontrollsichtung“ an Menschen mit Seh- bzw. Hörbehinderung, für die Sie diese Sendungen barrierefrei erstellen lassen?

Frederike Wissel: Das ist bei der Untertitelung, aufgrund der Menge, und bei der Audiodeskription, da diese live ausgestrahlt wird, nicht möglich.

Warum findet so selten – oder irre ich – Gebärdenübersetzung statt?

Frederike Wissel: Das liegt an den finanziellen sowie technischen Hürden, die im Zusammenhang mit der Umsetzung von Gebärdensprachübersetzung stehen. Wir haben uns in den letzten Jahren insbesondere auf den Ausbau des Untertitelangebots sowie den Start des Angebots von Audiodeskription in 2019 fokussiert. In 2021 konnten wir nun zum ersten Mal für mehrere Formate Gebärdenübersetzung anbieten: drei Sendungen des ProSieben Spezial Live. Das Kanzler-Kandidat:in-Interview sowie das Finale von Germany’s Next Topmodel am 27. Mai.

Werden Nachrichtenformate untertitelt? Wenn nein, wieso nicht?

Frederike Wissel: Bisher werden unsere Nachrichtenformate nicht mit Untertitelung angeboten, da dies bei Live-Formaten besonders kostenintensiv ist. Bei der Entscheidung zum Einsatz unserer finanziellen Mittel richten wir uns nach dem Zuschauerinteresse. Wir wollen mit unserem barrierefreien Angebot insbesondere einen Mehrwert neben dem breiten Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender schaffen und fokussieren auf reichweitenstarke Sendungen: Primetime-Shows, fiktionale Serien, Hollywood-Blockbuster. Auch für Leuchtturm-Formate im Bereich Information, wie beispielsweise ProSieben Spezial-Sendungen, ist uns wichtig, sie barrierefrei anzubieten.

Laut Monitoringbericht scheint die Audiodeskription bei den Privaten noch nicht sehr umfassend umgesetzt, ist diese kostenintensiver oder was steckt dahinter, dass Audiodeskription im Gegensatz zu Untertitelungen seltener abzurufen sind?

Frederike Wissel: Die größte Herausforderung zur Verbesserung der Barrierefreiheit unserer Sender ist weiterhin die Finanzierung besonders kostenintensiver Angebote, wie die Untertitelung von Liveformaten, Audiodeskription und Gebärdensprachübersetzungen, da barrierefreie Angebote vollständig von den Sendern finanziert werden und keine zusätzlichen Einnahmen gegenüberstehen. Als Wirtschaftsunternehmen setzen wir das zur Verfügung stehende Budget möglichst effizient ein. Hinzu kommen diverse technische Hürden. In Planungsprozessen zur Erneuerung der Sendetechnik wird das Thema Barrierefreiheit immer berücksichtigt.

Liegt der Unterschied im Ausbau der barrierefreien Inhalte zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern und den privaten an der Gebührenfinanzierung, die den Privaten fehlt?

Frederike Wissel: Es ist schwierig einen Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen Sendern zu ziehen, da wir unterschiedliche Voraussetzungen haben. Sowohl die Kosten als auch die technischen Voraussetzungen, die mit der Umsetzung von barrierefreien Inhalten verbunden sind, stellen sicherlich eine Herausforderung dar. Wir haben in der Tat nicht die Möglichkeit auf öffentliche Mittel zurückzugreifen, wie sie den Öffentlich-Rechtlichen zur Erfüllung ihres Inklusionsauftrages zur Verfügung stehen.

Welche Unterstützung würden Sie sich von der Medienpolitik wünschen?

Jessica Lilienthal: Entscheidend für ein breites Angebot barrierefreier Inhalte sind wirtschaftlich starke Medienunternehmen. Dazu müssen die Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer gleich sein. Gerade im Werbe- und Digitalmarkt sehen wir hier weiterhin große Unterschiede. Noch immer ist TV beispielsweise das am stärksten regulierte Medium, während für digitale Wettbewerber weniger strikte Regulierungen gelten, beispielsweise im Hinblick auf Werbeverbote. Das hat direkten Einfluss auf die Refinanzierungsmöglichkeiten auch barrierefreier Inhalte. Hier braucht es Entlastungen des Mediensektors.

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.