Während der durchaus humorvolle aber respektlose Spruch des genannten Zitats in einem Film wie Charlie und die Schokoladenfabrik, der sich vornehmlich an ein jüngeres Zielpublikum wendet, eher deplatziert wirken würde, wäre er in den anderen Lösungsvorschlägen durchaus denkbar gewesen. Bei Deadpool würde er als ergänzender Witz auf eine seiner eigenen grausamen Gewalttaten passen, bei Fack ju Göhte und Stromberg wohl eher als Diffamierung einer Minderheit – in diesem Fall körperlich Behinderter. Um eine besonders extreme Form der körperlichen Behinderung geht es auch in dem Film, aus dem das Zitat letztlich tatsächlich stammt, denn die richtige Lösung lautet diesmal:
D Ziemlich beste Freunde (2011)
Philippe, ein reicher und gebildeter Herr mittleren Alters, ist durch einen Gleitschirmunfall vom Hals ab querschnittsgelähmt und dauerhaft auf pflegerische Hilfe angewiesen. Driss ist ein junger Erwachsener afrikanischer Herkunft, der in einem Pariser Vorort in ärmlichen Verhältnissen lebt. Philippe ist auf der Suche nach einem neue Pfleger und als sich Driss bei ihm nur einen Stempel für das Arbeitsamt abholen möchte, lernen sich die beiden kennen. Driss wird zunächst auf Probe, dann später fest als Pfleger angestellt. Da Philippe kein Mitleid für seine Situation ertragen kann und Driss keines für andere übrig hat, verstehen sich die beiden trotz der unterschiedlichen Charaktere und Lebensweisen im Laufe der Zeit immer besser und werden sogar zu Freunden.
Der Film Ziemlich beste Freunde war 2011 ein absolutes Kinophänomen. In Frankreich war er mit 19 Millionen Zuschauern nach Willkommen bei den Sch’tis (2008) der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten. Auch in Deutschland strömten über 9 Millionen in die Kinosäle und machten ihn vor dem James-Bond-Film Skyfall zum erfolgreichsten Film des Jahres, nachdem er über zehn Wochen an der Spitze der Kinocharts stand – einem Zeitraum, in dem die meisten Filme schon in die Zweitverwertung wandern. Zuschauer aller Generationen waren gleichermaßen begeistert. Und das über einen Film, der ohne Stars auskommt und keinen Comichelden zur Grundlage hat.
Political Correctness spielt keine Rolle
Auf der Suche nach einer Erklärung für diese Begeisterung stößt man neben dem offensichtlichen Wohlfühlcharakter des Films zuerst auf die Erzählweise der Geschichte. Verkürzt gesagt geht es darum, dass einer der beiden sein Verantwortungsbewusstsein entdeckt und der andere das wahre Leben. Die Botschaft, man brauche Freunde, um mit ihnen die Freuden des Lebens zu genießen, wird nicht subtil, sondern eher „mit dem Holzhammer“ erzählt – kaum ein Film kommt dabei so lustig, lässig, flott, aber gleichzeitig auch emotional berührend daher.
Dazu kommt, dass der Film völlig unvoreingenommen mit Philippes Behinderung umgeht – Political Correctness ist zu keiner Zeit ein Thema. Driss macht sich über die Folgen der Behinderung von Philippe genauso lustig („Keine Arme, keine Schokolade.“), wie dieser sich über Driss‘ Leben als Schwarzer in einfachen Verhältnissen („Beruhigen Sie mich, Driss, und sagen Sie mir, dass Sie lesen können.“). Für die meisten Zuschauer hat dieser fast schon zynisch humorvolle Umgang miteinander etwas Befreiendes und letztlich Toleranzförderndes.
Kritiker werfen dem Film dagegen gerade einen zu humorvollen Umgang mit dem Thema vor und meinen, dass die beschwerlichen Seiten des Leben mit einer Behinderung zu stark ausgeklammert werden, sowohl auf Seiten des in gut situierten Verhältnissen lebenden Betroffenen als auch bei Driss, der mit den beschwerlichen Seiten der Pflege wie Darmentleerungen, Nachtwachen und Phillippes Panikattacken erstaunlich schnell zurechtkomme. Jede ernsthafte filmische Alternative zum Alltag von Behinderten wirke angesichts von Komödien wie Ziemlich beste Freunde wie ein Spielverderber.
Während es in den letzten Jahrzehnten üblich gewesen sei, Behinderte entweder als bedauernswerte Geschöpfe oder als Hilfebedürftige mit einer außergewöhnlichen Leistung auszustatten (z.B. Forrest Gump oder Rain Man) und sie dadurch als gehandicapte Superhelden darzustellen, gäbe es heute durchaus positive Beispiele, wie man das Thema ernst nehmen könne und trotzdem nicht in Mitleid versinke oder ein Spaßprogramm daraus mache. Gemeint sind hier Filme wie An ihrer Seite oder Still Alice über an Alzheimer erkrankte Frauen oder Schmetterling und Taucherglocke über einen vollständig gelähmten Journalisten.
Die Musik als Grundstein des Erfolges
Ein weiteres Erfolgsrezept des Films ist die Musik, die es durch ihre verschiedenen Stile schafft, den Zuschauer in einem Augenblick tief zu berühren und ihn im nächsten Moment zum Lachen bringt. Die Musik steht dabei als zentrales verbindendes Element zwischen den beiden konträren Lebenswelten. Zum einen gibt es die Leitmotive des Komponisten Ludovico Einaudi, die meist einen Aufbruch bzw. Wendepunkt in der Geschichte markieren und den Wechsel zwischen den beiden Lebenswelten umschreiben. Auch in neutralen Bildern, wie z.B. der Verabschiedungsszene zwischen Driss und Phillippe, die ohne ergreifende Gesten auskommt, beschreiben sie die Stimmung in der Szene und geben die Gefühlslage der Protagonisten wieder.
Das Thema Musik spielt zum anderen aber auch im Verhältnis zwischen Phillippe und Driss eine Rolle und so werden bekannte Musikstücke aus den Bereichen Klassik, Jazz, Blues, Funk und Soul eingesetzt. Vor allem die Stücke im „on“, also Stücke, die auch von den Protagonisten im Film selbst bewusst gehört werden, haben stets einen inhaltlichen Bezug, zu sehen z.B. bei einem gemeinsamen Opernbesuch, in dem beide die Arie Nein, länger trag’ ich nicht die Qualen aus dem Freischütz hören.
„Basierend auf einer wahren Begebenheit“
Filme, deren Geschichten auf wahren Begebenheiten basieren, erfahren im Kino noch einmal ein zusätzliches Maß an Aufmerksamkeit. Die fiktionale Story wird als real, glaubwürdig und weniger kitschig empfunden. Man sieht „echtes Leben“ ohne sich durch einen bedrückenden Dokumentarfilm quälen zu müssen.
Im Falle von Ziemlich beste Freunde war das nicht anders. Tatsächlich gibt es einen echten, nach einem Gleitschirmunfall Querschnittsgelähmten: Philippe Pozzo di Borgo, früherer Chef der Champagner-Dynastie Pommery. Und Abdel Sellou ist der Kleinkriminelle aus der Vorstadt, der sein Pfleger und Freund wurde. „Wie im Film, hat er auf meine Anzeige nur geantwortet, um weiter Arbeitslosengeld zu bekommen, dann hat er sich gedacht, mein Stadtpalais sei wohl ein Tresor, der leicht zu knacken ist. Am Schluss ist er zehn Jahre geblieben“, erzählt Pozzo di Borgo.
Menschen, die behaupten, der Film würde die Geschichte der beiden Freunde verherrlichen und Behinderte nicht ernst genug nehmen, entgegnet er: „Unser Leben ist der Film mit so manchem Bonus, der sich nicht erzählen lässt. Das ist keine Geschichte über Behinderte. Eher eine allgemeine Lehrstunde über zwei Verzweifelte, die sich unterstützen“. Bei einer der letzten gemeinsamen Reisen lernte di Borgo seine zweite Frau kennen, mit der er heute in Marokko lebt. Auch Abdel Sellou hat geheiratet, ist Vater dreier Kinder und betreibt eine Hühnerfarm. Auf die Frage, ob der Film den wahren Begebenheiten entspreche, antwortet er: „Zu 98 Prozent. Aber ich bin kein schwarzer, gut aussehender Athlet, sondern klein und dick. Und ich kann nicht gut tanzen“. Den Spruch „Keine Arme, keine Schokolade“ habe er auch nie gesagt, dafür aber andere Witze gemacht, wie z.B. diesen: „Weißt du, wo man einen Querschnittsgelähmten findet? Da, wo man ihn abgestellt hat“.
Reinschauen in Ziemlich beste Freunde: Trailer auf YouTube.