I am going to tell you who I am

„Magical realism is defined by what happens when a highly detailed, realistic setting is invaded by something too strange to believe.“

Narcos 1.1

 Als erstes werden die Blätter zerkleinert. Zunächst trennt das Kerosin die Droge vom Blatt, dann destilliert Schwefelsäure diese und im Anschluss wird das Ganze mit Gasolin vermischt. Danach wird die Ware im Grunde genommen aus der Flüssigkeit gezogen und getrocknet. Was am Ende übrig bleibt, ist eine breiige Paste. Um diese Paste zu erhalten, wird Ammoniak verwendet. Und das ist auch schon fast alles. Pures Kokain – reinstes, weißes Gold. „Here is the prize. It’s like the kitchen in your house. Like baking a cake. Only a much better cake than you’ve ever had“, so spricht der Entwickler in Narcos über sein Produkt.

Der magische Realismus wird als Verschmelzung von realer Wirklichkeit, die greifbar und sichtbar ist, und magischer Realität, jene Welt der Träume und Halluzinationen, verstanden. Er sei eine „dritte Realtität“, eine Synthese aus geläufigen Wirklichkeiten (Alejo Carpentier). Pablo Emilo Escobar Gaviria hat solch etwas geschaffen. Vom jugendlichen Kleinkriminellen zum Schmuggler, zum Drogenbaron, zum Politiker, zum Volksheld, zum Staatsfeind Nr. 1. In den Siebziger- und Achtzigerjahren industrialisierte er mit seinem Medillín-Kartell den Drogenschmuggel und wurde zu einem der reichsten Männer der Welt. Escobar machte Miamis Partyszene mit Kokain bekannt und zwang die Polizei, ihren Fokus von Strandpromenaden und Hippies auf Seidenhemden und düstere Seitengassen zu verlegen. Sein Lebenswerk schuf jenen Drogenkrieg in Südamerika und den USA, der die Welt bis heute verändert hat. Sein Wirken schädigte nachhaltig dem weltweiten Ansehen Kolumbiens, das als „Narco-Republik“ geschmäht wurde.

Narcos – ein Stoff für endlose Geschichten, eine glitzernd-bröckelnde Dystopie, die Wirklichkeit geworden ist. Der Streaming und Video-on-Demand Sender Netflix bringt eine solche „dritte Realität“ zum Endverbraucher. Es erzählt vom wahren sisyphos’schen Krieg gegen die Drogen, in dem ein einzelner Mann (Wagner Moura als Pablo Escobar) zum erfolgreichsten Drogenhändler der Welt wird und fast achtzig Prozent des Kokainmarktes in Kolumbien unter Kontrolle hält. Und da es eine Geschichte ist, die ihren Ursprung in der Realität hat, vermischen sich im Laufe der Episoden Bilder realer Ereignisse dieser Zeit mit den Kompositionen der Fiktion an Originalspielstätten. Der blutige Konflikt findet seine Narrative im faktenlastigen kritisch-essayistischen Voice-Over des DEA (Drug Enforcement Administration) Steve Murphy (Boyd Holbrook), der zu Beginn der Serie durch idealistische Ziele getrieben von Miami nach Kolumbien wechselt, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Das Entwicklerteam rund um den Produzenten und Regisseur José Padilha will gemeinsam mit Netflix durch Narcos die wahre Geschichte der Droge Kokain erzählen und wie diese zu solch einem Problem für die USA und Europa werden konnte. Doch überlassen wir Escobar selbst die letzten Worte, mit denen er uns in seine Geschichte des Misstrauens ziehen wird:

„Gentlemen, I am going to tell you who I am. I am Pablo Emilio Escobar Gaviria. My eyes are everywhere. That means you guys can’t move a finger […] without me knowing about it. […] One day, I’m going to be president of the Republic of Colombia. […] Now, you can stay calm and accept my deal or accept the consequences. Silver or lead you decide.“

Weitere Beiträge zum Thema Drogenkrieg finden sie im tv diskurs-Artikel von Sonja Hartl Der „War on Drugs“ im amerikanischen Film und hier im Blog zur Vorstellung der Serie Prófugos – Auf der Flucht.

Über Tabea Dunemann

Tabea studierte Theaterwissenschaft und Ethnologie an der Universität Leipzig. Dank wohlgesonnener Professoren konnte sie außerdem viele andere Disziplinen erkunden und war u.a. lange Zeit für das Studierendenradio mephisto 97.6 tätig. In ihrer Freizeit textet Tabea Dunemann gern für den fsf blog und war auch als Redakteurin für die tv diskurs tätig.