Den Blickwinkel ändern

Schlanker, erfolgreicher, besser. Social Networks und die Folgen des ständigen Vergleichens für jugendliche Nutzer – wer könnte zu diesem Thema besser schreiben, als ambitionierte Jungautoren!?
Das dachten sich auch Prof. Joachim von Gottberg und Barbara Weinert (Chefredakteur und Redakteurin tv diskurs), die im Wintersemester 2017/18 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Studiengang „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ gemeinsam das Seminar „Schreiben für die Medien“ leiteten. Die Studierenden schrieben tolle und äußerst vielseitige Texte zum Thema. Einige davon veröffentlichen wir im FSF-Blog. Den Anfang machte Laura Schimming mit Entschuldige, ich kann gerade nicht leben – ich muss posten, gefolgt von #goals – Propagierte Ideale im Netz, verfasst von Stefanie Barth. Hier die Fortsetzung der Reihe:

Warum wir uns von außen betrachten und welche Rolle die sozialen Medien dabei spielen

Von Elisa Hoth

Bisher war ich der festen Überzeugung, dass ich keinem sozialen Vergleichsdruck durch Facebook, Instagram und Co unterliege. Ich bin wenig in sozialen Netzwerken aktiv und vor meinen Freunden betone ich regelmäßig, dass ich da voll drüber stehe. Nur weil ich jetzt irgendwas mit Medien studiere, unterliege ich nicht diesem „Mitmachdruck“. Doch zum ersten Mal beobachte ich mich genau: Lade ich bei Facebook ein Bild hoch, bin ich aufgeregt und aktualisiere innerhalb der nächsten zwanzig Minuten regelmäßig die Internetseite, um zu schauen, wie viele Likes ich schon bekommen habe. Ich frage mich, ob Fred, den ich kaum kenne, tatsächlich mein Bild toll findet, oder vielleicht einfach mich persönlich mag? Nach 20 Minuten habe ich acht Likes. War’s das jetzt schon? Am Ende des Tages habe ich 40 Likes für mein Bild erhalten. Im ersten Moment bin ich zufrieden und rede mir selbst ein, dass es keine Rolle spiele. Aber schon im nächsten Moment frage ich mich, wie Lisa das immer macht? Jedes ihrer Bilder hat mindestens 300 Likes. Auf ihrem Profil entdecke ich, dass sie beinahe 1.000 Freunde hat, das erklärt alles. Im Vergleich zu meinen 300 Freunden ist damit unser unterschiedliches Like-Verhältnis wieder relativiert. Doch warum ziehen wir diese Vergleiche?

Ich glaube, auch wenn wir es ungern zugeben, so sind wir doch stärker dem Druck des Vergleichs innerhalb der sozialen Medien ausgesetzt, als uns lieb ist.

Schlanker, erfolgreicher, besser. Social Networks und die Folgen des ständigen Vergleichens für jugendliche Nutzer, Beitragsreihe FSF © FSF
Schlanker, erfolgreicher, besser. Social Networks und die Folgen des ständigen Vergleichens für jugendliche Nutzer, Beitragsreihe FSF © FSF

Auch wenn ich weiß, dass auf Lisas Bildern drei Filter liegen und sie höchstwahrscheinlich nicht im Alltag mit einem kurzen Kleid durch eine Winterlandschaft läuft, so ist es doch ein schönes Bild und ich frage mich, warum es nicht von mir so ein schönes Foto gibt? Ob wir wollen oder nicht, täglich schauen wir uns bei Instagram und Co schöne Bilder von schönen Menschen an, belächeln die Künstlichkeit des Moments und sind dennoch genau Teil dieser Kunstwelt. Wir verdrehen die Augen, wenn jemand mal wieder sein super healthy Frühstück mit uns über Instagram teilt, aber schicken Freunden per Snapchat, wie wir gerade eine selbstgemachte Pizza in den Ofen schieben. Und jedes Mal, wenn wir einen dieser unbeschreiblichen Momente erleben, machen wir ein Foto und überlegen, wo wir es mit wem am besten teilen können.

Ein Zitat aus dem Beitrag Nur für den Klick (ZEIT Magazin) hat mich zum Nachdenken gebracht. Darin heißt es: „Allein darüber nachgedacht zu haben, wie die Schlittenfahrt bei anderen ankommen könnte, hat dem Moment seinen Kern geraubt – seine Gegenwärtigkeit. Statt dich darin zu verlieren, hast du dich von außen betrachtet.“ Plötzlich fühle ich mich ertappt. Auch wenn ich letztendlich kaum Bilder bei Facebook hochlade, so betrachte ich dennoch viele Momente durch eine Kameralinse, bearbeite sie im Nachhinein, gestalte sie noch eindrucksvoller und denke darüber nach, ob ich diesen Moment mit anderen teilen möchte. Ich prüfe jedes Foto von mir auf mögliche Profilbildkompetenzen und ändere regelmäßig meinen WhatsApp-Status, weil ich immer wieder ein Bild finde, das mich noch authentischer, natürlicher und hübscher zeigt. Wie das Zitat sagt: Wir verlieren uns nicht mehr im Moment. Wir fertigen von uns täglich Instagram- oder Snapchat-Storys an und halten damit den kleinsten Moment fest, ohne ihn tatsächlich zu durchleben.

Soziale Medien haben uns weiter gebracht, sie erleichtern uns den Alltag und ermöglichen eine weltweite Vernetzung. Sie bieten uns einen Einblick in den Alltag unserer Freunde und geben uns die Chance, sie z.B. auf einer Reise visuell begleiten zu können. Wir dürfen aber nicht unser reales Leben aus dem Blick verlieren. Wenn ich zu Freunden gehe, lasse ich mittlerweile bewusst mein Handy zu Hause liegen. Bin ich im Urlaub, schalte ich es manchmal aus oder versuche zumindest, nicht das WiFi zu aktivieren. Das fällt anfangs extrem schwer, aber es befreit für kurze Zeit vom medialen Druck und der ständigen Erreichbarkeit. Dadurch habe ich es geschafft, meinen Blickwinkel wieder auf den Moment zu richten. Ich bin vom Outsider wieder zum Insider meines eigenen Lebens geworden und habe die Schlittenfahrt vollkommen genossen.

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Und zum Phänomen Instagram, Selbstoptimierungswahn, Likes und Co.: #LikeMich! und Insta-What?

Über Elisa Hoth

Nach ihrem Bachelorabschluss an der Martin-Luther-Universität Halle entschied sich Elisa Hoth noch weiter zu studieren und begann in Merseburg ihren Master in Angewandte Medien- und Kulturwissenschaft. Nebenbei ist sie als Medienpädagogin tätig und betreute schon diverse Projekte mit Kindern und Jugendlichen. Sie hat eine Leidenschaft für Audioproduktionen, beteiligte sich an Radiosendungen und mag es, neben der Arbeit mit Menschen auch kreative und musikalische Projekte umzusetzen.