Exzessive Computerspielenutzung aus medienpädagogischer Perspektive

Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. (DKHW), die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) haben am 5. Juni 2014 im Rahmen des Sommerforums Medienkompetenz der mabb und der FSF den medius vergeben. Der Preis würdigt wissenschaftliche und praxis­orientierte Abschlussarbeiten aus dem deutschsprachigen Raum, die sich mit innovativen Aspekten im Medienbereich, in der Pädagogik oder dem Jugendmedienschutz auseinandersetzen.

Michaela HauenschildMit dem medius 2014 ausge-
zeichnet wurde unter anderem Michaela Hauenschild von der Universität Hamburg für ihre Masterarbeit Genese und Verlauf exzessiver Computerspiele-
nutzung unter besonderer Berücksichtigung der Eltern
‐Kind‐Beziehung.

„Ab wann ist man denn süchtig?“ Eine Frage, die beim Thema der exzessiven Computerspiele-
nutzung wohl so manchem unter den Nägeln brennt. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist jedoch bislang weder geklärt, ob es sich um eine Sucht handelt, noch erscheint es sinnvoll, ein gewisses Zeitmaß als Indikator heranzuziehen. Das Risiko einer Über- oder Unterschätzung und damit einhergehender unangemessener Reaktionen ist in Bezug auf das Phänomen der exzessiven Computerspielenutzung groß. Eine intensive Hinwendung zu Medien ist nicht zwangsläufig als problematisch einzustufen und kann ebenso als relevant für Identitätsbildungsprozesse in der Jugend interpretiert werden. Neben dem zeitlichen Ausmaß sind bei der Diagnose daher weitere Kriterien zu beachten, wie beispielsweise die gedankliche und verhaltensbezogene Vereinnahmung, eine starke Fokussierung auf das Spiel, der Kontrollverlust und schließlich die Fortsetzung der exzessiven Nutzung trotz psychosozialer Probleme (vgl. APA 2013)

Risikofaktoren

Auf der Suche nach den zentralen Ursachen für die Entstehung einer exzessiven Nutzung von digitalen Spielen werden Risikofaktoren auf Seiten der Person, des Mediums und des sozialen Umfelds identifiziert. Die am häufigsten untersuchten personenbezogenen Merkmale bilden wohl das Geschlecht und das Alter, wobei männliche Jugendliche als besonders gefährdet gelten. Darüber hinaus werden Zusammenhänge mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und psychischen Störungen wie geringem Selbstwert, ADHS oder sozialer Ängstlichkeit belegt. Von Seiten des Mediums sind es insbesondere die MMORPGs, also Onlinerollenspiele, die im Multiplayermodus gespielt werden, denen ein besonders hohes Suchtpotenzial zugesprochen wird. Dies wird an Kennzeichen wie der Belohnungsvergabe und der Dauerhaftigkeit der Spielewelten festgemacht. Bezüglich des sozialen Umfeldes spielt die Familie als primäre Sozialisationsinstanz von Jugendlichen eine besondere Rolle.

Die Rolle der Familie

Eine der ersten Studien, die die Bedeutung der Familie bei exzessiver Internetnutzung im Jugendalter untersuchte, ist die EXIF-Studie (Kammerl et al. 2012). Anhand einer Sekundäranalyse des hier entstandenen repräsentativen Datensatzes von 1744 Eltern-Kind-Dyaden konnte ich in meiner 2013 an der Uni Hamburg entstandenen Masterarbeit zeigen, dass in betroffenen Familien übermäßig oft ein dysfunktionales Familienklima vorherrscht. Die Problematik tritt zudem signifikant häufiger in unteren Sozialschichten und in Familien mit alleinerziehenden Elternteilen auf. Im Rahmen qualitativer Interviews mit exzessiv spielenden Jugendlichen wurde darüber hinaus die Unterschiedlichkeit der Problemverläufe und -ausprägungen deutlich, wobei ein schwieriges Verhältnis von Autonomiestreben und Autonomiegewährung in den Familienbeziehungen als ursächliche Bedingung in Bezug auf die Entstehung eines ausufernden Computerspielegebrauchs in Erscheinung trat. Umgekehrt zeigte sich, dass eine sichere Eltern-Kind-Bindung zur Überwindung der Problematik beitragen kann und somit als wichtige Ressource fungiert.

 

Literatur:
APA – American Psychiatric Association (2013): Diagnostic and statistical manual of mental disorders. DSM-5. Washington, D.C: American Psychiatric Association.

Kammerl, Rudolf; Hirschhäuser, Lena; Rosenkranz, Moritz; Schwinge, Christiane; Hein, Sandra; Wartberg, Lutz; Petersen, Kay Uwe (Hg.) (2012): EXIF – Exzessive Internetnutzung in Familien. Zusammenhänge zwischen der exzessiven Computer- und Internetnutzung Jugendlicher und dem (medien-)erzieherischen Handeln in den Familien. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Über Michaela Hauenschild

Michaela Hauenschild ist am Arbeitsbereich für Medienpädagogik und ästhetische Bildung an der Universität Hamburg tätig und schrieb ihre Doktorarbeit zum Thema Smartphone-Fotografie im Jugendalter.