Fortsetzung der Artikelreihe zu Gewalt und Moral in TV-Serien, am Beispiel der US-Serie Breaking Bad. Gestern erschien bereits Teil eins Breaking Bad – das Böse stirbt!? Vom Durchschnittsbürger zum Massenmörder. Dieser endete mit dem Absatz: Besonders die Krebserkrankung ist für die Charakterzeichnung der White-Figur der entscheidende dramaturgische „Kniff“, um dem Zuschauer auch für Whites Verbindung mit der Unterwelt des Drogenhandels zunächst eine psychologisch wie moralisch glaubhafte Legitimierung geben zu können: Aufgrund der fehlenden sozialen Absicherung kann sich auch die White-Familie wie viele US-Mittelschichtsfamilien, denen die Deklassierung droht, die teure Antikrebsbehandlung kaum leisten. So verfällt Walt der Idee, seine chemischen Kenntnisse den Drogenbossen zur Verfügung zu stellen und unter dem Tarnnamen „Heisenberg“ zusammen mit Jesse Pinkman hochwertiges Crystal Meth herzustellen. Dabei verstrickt er sich aber sehr schnell zusammen mit Pinkman immer tiefer in kriminelle Machenschaften, die auch Totschlag und Mord einschließen.
Heute nun die Fortführung unter der Überschrift:
Die Doppelmoral des Walter White
Walt gerät hierdurch in starken Konflikt mit seinem bisherigen Leben. Er muss seine Handlungen als Drogendealer „Heisenberg“ vor seiner Familie, vor Skyler und Walter jr., aber auch vor seinem Schwager Hank geheim halten, der als Drogenpolizist langsam beginnt, „Heisenberg“ und dessen Machenschaften auf die Spur zu kommen.
In der Moral des Walter White war die Herstellung eines „anständigen Lebens“ aber nur durch seinen Gang in die Unterwelt möglich geworden. Damit hat sich die zunächst sehr realistisch gezeichnete Figur des frustrierten Durchschnittsamerikaners im Verlauf der Serienhandlung zu einer Genrefigur gewandelt: Während die schillernden Figuren des US-Gangsterfilms wie „Edward G. Robinsons Little Caesar“ oder Paul Munis „Scarface“ glaubten, nur als Gangster „ein Stück vom Kuchen“ in der Gesellschaft abbekommen zu können (vgl. Seeßlen 1977), sieht auch Walter White in einer kriminellen Karriere die Chance, seine und die gesellschaftliche Position seiner Familie halten zu können. Die mit dieser genrespezifischen Botschaft verbundene Kritik am Zustand der US-Gesellschaft, die ihren Mittelstand vor Deklassierung nicht schützt, wird dadurch verstärkt, dass Skyler, als sie von Walts „Doppelexistenz“ erfährt, nach einigem Zögern und mit großen Skrupeln und starkem Schuldgefühl dennoch zu ihm hält und sich von ihm sogar in seine kriminellen Aktionen verstricken lässt: Durch den Ankauf der Waschstraße, in der Walt früher gearbeitet hatte, wäscht sie einen Teil von Walts Drogengeld (vgl. Episode 11, Staffel 3). Zuvor hatte Walt gegenüber Skyler seine Handlungen in der Unterwelt, deren enorme Gewalttätigkeit und Brutalität er ihr gegenüber stets nur andeutet, damit gerechtfertigt, dass er dies alles nur für seine Familie getan habe, damit sie nach seinem nahenden Krebstod finanziell abgesichert sei. Immerhin hat er als Drogenboss „Heisenberg“ 80 Mio. Dollar angehäuft, die er seiner Familie hinterlassen möchte.
Walter White präsentiert sich somit über weite Strecken der Serienerzählung in seinem Selbstbild als typischer American Hero, der seine Taten moralisch damit rechtfertigt, dass er dies alles nur für den Schutz und das Wohlbefinden seiner Familie getan habe. Dabei spaltet er sein Dasein und Handeln als krimineller Gewalttäter von der ursprünglichen bürgerlichen Existenz deutlich ab. Die Serienmacher belassen es nicht dabei, Walt in seinem Selbstbild als „Held“ mit US-amerikanischen Familienidealen vorzuführen. Vielmehr zeigen sie mit nicht selten absurdem und schwarzem Humor, wie bigott und doppelmoralisch ihre Hauptfigur agiert. Der Biedermann White hat durchaus Spaß daran, sich perfide Pläne auszudenken, um mit diabolischer Lust alle Gegner aus dem Weg zu räumen, die ihm gefährlich werden könnten. Im Gespräch mit Walt bringt Jesse in der Folge Blutgeld (vgl. Episode 9, Staffel 5) das Motiv von „Heisenbergs“ Handeln auf den Punkt: „Du müsstest Dich sehr in Acht nehmen. Das ist nicht Deine Art, dies so zu regeln.“ Zum Handwerkszeug eines Lehrers gehört es, durch argumentative Überzeugungsarbeit seine Schüler zu bestimmten Lernzielen zu führen. Walter White als „Heisenberg“ ist die böse Variante eines Lehrers, der seine didaktischen Fähigkeiten dazu nutzt, alle Menschen in seiner Umgebung im Sinne seiner verbrecherischen Zwecke zu manipulieren. Einerseits durchaus immer wieder von Gewissensbissen gequält, genießt Walter White aber andererseits seine Rolle als „Heisenberg“; ja, die böse Seite in sich als Drogendealer auszuleben, schafft für ihn möglicherweise sogar therapeutischen Erfolg. Zwischenzeitlich verschwindet Walters Krebs, kann er die Krankheit, die ihn zum Gang in die Unterwelt veranlasste, besiegen.
Kritik am Bürgertum
Doch durch die Doppelbödigkeit der Moral ihrer Hauptfigur formulieren der Produzent, Autor und Regisseur der Serie, Vince Gilligan, und sein Breaking Bad -Team exemplarisch auch eine sehr fundamentale Kritik am Bürgertum. Sie führen an der Walter-White-Figur das Aggressionspotenzial und die Gewaltbereitschaft vor, die in frustrierten Mittelschichtsbürgern schlummern und zum Ausbruch kommen kann, wenn sie sozial deklassiert und gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden. Dieses Unbehagen in die potenzielle Brutalität von Teilen des Bürgertums wird aber nicht sauertöpfisch, sondern mit viel schwarzem Humor und großer Spannung erzählt. Dies ist nicht nur den hervorragenden Drehbüchern mit ihren doppelsinnigen Dialogen und den raffinierten Plotstrukturen zu verdanken, in denen die Autoren klassische Muster des Western, des Gangsterfilms und des Film Noir modernisieren, sondern in erster Linie auch Ergebnis des äußerst präzisen und differenzierten Schauspiels von Bryan Cranston, der zuvor auch schon in komischen Rollen Furore machte, aber auch von Aaron Paul, Anna Gunn und Dean Norris. Im Aufdecken der bürgerlichen Doppelmoral wie in der fundamentalen Kritik am Gewaltpotenzial bürgerlicher Kreise steht Breaking Bad in der Tradition etwa jener sarkastischen Schelte am Bürgertum, die der spanische Regisseur Luis Buñuel, einer der Hauptvertreter des surrealistischen Kinos, in seinen Filmen wie Das goldene Zeitalter (1930), Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972) oder Das Gespenst der Freiheit (1974) bis in die frühen 1970er-Jahre formuliert hatte*.
* In diesem Zusammenhang sei am Rande erwähnt, dass in Breaking Bad auch auf der visuellen Ebene sehr stark mit surrealistischen Elementen gespielt wird. Die Serie ist ein Fundus an Bildexperimenten, die die Grenzen und Möglichkeiten moderner Digitaltechniken mit ihren neuen, oft kleinen Kameras ausprobieren.
Morgen folgt der letzte Teil der Beitragsserie Breaking Bad – das Böse stirbt!? aus der tv diskurs-Artikelreihe zu Gewalt und Moral in TV-Serien.