In der Mitte der fünften und damit finalen Staffel der US-Serie Breaking Bad ist die Verabredung mit dem Zuschauer, eine Hauptfigur wenn schon nicht identifikatorisch so doch wenigstens mit Empathie begleiten zu dürfen, vollständig durchbrochen. Der Zuschauer kann für die Gewalttaten des Walter White alias Drogenboss „Heisenberg“ zu diesem Zeitpunkt der Serienerzählung keine moralische Rechtfertigung mehr erkennen. Und doch gelingt es den Machern der Serie, das moralische „Ansehen“ ihres Antihelden bis zum Ende der Serie zu erretten und sogar ein Finale zu schaffen, dessen Akzeptanz beim Publikum im US-Fernsehen sensationell war. Mit welchen Erzählstrategien und Moraltransfers gelingt dies? Dieser Frage geht die tv diskurs-Artikelreihe zu Gewalt und Moral in TV-Serien nach. In drei Beiträgen widmet sich Werner C. Barg, in den nächsten Tagen, der US-Serie Breaking Bad.
Vom Durchschnittsbürger zum Massenmörder
Am Beginn im unteren Bereich der Quotenskala des US-Fernsehens mit 1 bis 2,2 Mio. Zuschauern angesiedelt, entwickelte sich die Serie Breaking Bad bis hin zu ihrer Finalfolge zum Quotenrenner und schaffte mit über 10 Mio. Zuschauern sogar einen Überraschungserfolg, der im US-Fernsehen einmalig ist. Mittlerweile ist Breaking Bad zur Kultserie avanciert, gehört weltweit zu den Hits im DVD-Verkauf und -Verleih sowie im Video-on-Demand-Segment, in den USA besonders über Netflix.
Bezogen auf die Erzählinhalte dürfte ein Faktor für den Erfolg der Serie eine besonders große Rolle gespielt haben: die fiktionale Wunscherfüllung. Das heißt: Eine Figur, mit der sich viele Zuschauer identifizieren können, durchlebt, was sich viele vielleicht auch einmal für ihr Leben wünschen, in Wirklichkeit aber niemals realisieren würden. Walter White (Bryan Cranston), die Hauptfigur der TV-Serie Breaking Bad, ist eine solche Persönlichkeit.
Zu Beginn der Serie wird Walter White als liebevoller Familienvater eingeführt, der sich zusammen mit seiner Frau Skyler (Anna Gunn) rührend um den behinderten jugendlichen Sohn kümmert. Walter jr. (RJ Mitte) liebt besonders seinen Vater abgöttisch. Skyler erwartet ein zweites Kind. Auch dadurch wächst der ohnehin hohe finanzielle Druck, der auf der Familie lastet, noch weiter. White verdient als Lehrer so mittelmäßig, dass er noch zusätzlich einen Job als Autowäscher in einer Waschstraße machen muss. Nicht selten wird er von einigen seiner Schüler, die aus reichem Hause kommen und ihre Protzschlitten in der Waschstraße waschen lassen, verächtlich gemacht und verspottet. Auch Walters Ehe- und Sexleben ist mehr als routiniert und verstärkt sein von Frustration und Deklassierung geprägtes Lebensgefühl. Die Familie lebt in der Wüstenstadt Albuquerque in New Mexico. Die Grenze ist nicht weit und das gesamte Gebiet ist ein reger Umschlagplatz für Drogen, die von amerikanisch-mexikanischen Banden über das Grenzgebiet eingeschmuggelt werden. Die Designerdroge Crystal Meth ist besonders beliebt. Sie wird u. a. von Jesse Pinkman (Aaron Paul) verdealt. Der Kleindealer Pinkman ist ein ehemaliger Schüler von Walter White. Zufällig begegnen sich die beiden wieder, als Hank Schrader (Dean Norris), ein Drogenpolizist, der mit Skylers Schwester Marie (Betsy Brandt) verheiratet ist, seinen Schwager Walter White mit auf eine Patrouillenfahrt nimmt. Während der Razzia von Hank und seinen Leuten kann Pinkman entkommen. Hierbei wird er von Walter beobachtet, aber nicht verraten. Walter, der erfahren hat, dass er unheilbar an Lungenkrebs erkrankt ist, fasst den Plan, mithilfe von Pinkman, den er erpresst, ins Drogengeschäft einzusteigen. Gemeinsam mit Pinkman beginnt er irgendwo in der Wüste in einem Campingbus, die rein chemische Droge Crystal Meth zu kochen. Dabei stellt sich heraus, dass Walter ein genialer Chemiker ist, der fast reines Methamphetamin herzustellen versteht, auf das nun alle Drogenkartelle scharf sind.
Im Verlauf der Handlung kommt heraus, dass Walter einst mit seiner damaligen Freundin Gretchen eine Reihe lukrativer chemischer Patente entwickelt hatte. Nach dem Bruch der Beziehung mit Walter heiratete Gretchen Elliott Schwartz. Gemeinsam booteten sie Walter aus und beuteten dessen Patente mit hohen finanziellen Gewinnen aus. Walter verabschiedete sich daraufhin aus der „freien Wirtschaft“ und wurde Lehrer.
Bis hierhin bietet die Figur des Walter White einem Massenpublikum eine Reihe von Identifikationsangeboten: Er steht als moralisch integre Figur dar, als ein Mann, der trotz seines Talents und seiner herausragenden Fähigkeiten aufgrund einer bösen Intrige um Erfolg und Reichtum gebracht wurde, ein genialer Chemiker, der ein frustrierendes Leben als Chemielehrer fristen muss und der nun auch noch mit einer lebensbedrohlichen Krebsdiagnose zu kämpfen hat. Besonders die Krebserkrankung ist für die Charakterzeichnung der White-Figur der entscheidende dramaturgische „Kniff“, um dem Zuschauer auch für Whites Verbindung mit der Unterwelt des Drogenhandels zunächst eine psychologisch wie moralisch glaubhafte Legitimierung geben zu können: Aufgrund der fehlenden sozialen Absicherung kann sich auch die White-Familie wie viele US-Mittelschichtsfamilien, denen die Deklassierung droht, die teure Antikrebsbehandlung kaum leisten. So verfällt Walt der Idee, seine chemischen Kenntnisse den Drogenbossen zur Verfügung zu stellen und unter dem Tarnnamen „Heisenberg“ zusammen mit Jesse Pinkman hochwertiges Crystal Meth herzustellen. Dabei verstrickt er sich aber sehr schnell zusammen mit Pinkman immer tiefer in kriminelle Machenschaften, die auch Totschlag und Mord einschließen.
Morgen folgt hier im Blog Breaking Bad – das Böse stirbt!? Die Doppelmoral des Walter White und am Donnerstag dann Teil drei der Fortsetzung unserer Artikelreihe zu Gewalt und Moral in TV-Serien.