„Es ist höchste Eile geboten“

Sender, Produzenten, Schauspieler und Filmtechniker wollen solidarisch der Krise trotzen und fordern einen Ausfallfonds für TV-Produktionen

 

Krisen sind immer auch eine Zeit der Bewährung. Als im März der „Lockdown“ ausgerufen wurde, mussten Hunderte von Film- und Serienproduktionen von heute auf morgen eingestellt werden. Die notorisch zerstrittene Branche hat jedoch große Solidarität bewiesen und ist – natürlich nur bildlich – eng zusammengerückt. Der Stuttgarter Christoph Palmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Produzentenallianz, hebt vor allem den Anteil der Berufsverbände und Gewerkschaften hervor: „Es gab bis zu Beginn der Krise keine tarifvertragliche Regelung für die Kurzarbeit, weil diese Maßnahme in unserer Branche mit ihren Produktionszeiträumen von wenigen Wochen nicht vordringlich war. Im März haben wir mit ver.di und dem Berufsverband Schauspiel innerhalb von wenigen Tagen einen Kurzarbeitstarifvertrag mit entsprechenden Aufstockungen ausgehandelt.“ Die Beschäftigten haben dabei deutliche Einschnitte akzeptiert.

„Die Branche hat die erste Corona-Phase im Frühjahr noch irgendwie überstanden.“

Dank dieser Regelung konnten die jeweiligen Crews bis zur Wiederaufnahme der unterbrochenen Dreharbeiten gehalten werden; laut Palmer ein erster wichtiger Baustein im Rahmen der Bewältigungsmaßnahmen. Der zweite war ein spezieller Hygienekatalog für Dreharbeiten unter Pandemie-Bedingungen, den die Produzentenallianz gemeinsam mit der für die Filmwirtschaft zuständigen Berufsgenossenschaft erarbeitet hat. Mittlerweile wird wieder in großem Umfang gedreht. Trotzdem sei man noch weit vom Normalzustand entfernt, betont Palmer: „Die Zeiten bleiben äußerst anspruchsvoll.“ Außerdem führten die diversen Auflagen „natürlich zu einem ganz erheblichen zeitlichen und finanziellem Mehraufwand, der alle Beteiligten – die Beschäftigten wie auch die Produzenten – vor große Herausforderungen stellt.“ Über jedem Projekt schwebe zudem das Damokles-Schwert eines möglichen Abbruchs, weil jederzeit ein regionaler Lockdown ausgerufen werden könne: „Die Branche hat die erste Corona-Phase im Frühjahr noch irgendwie überstanden. Würde sich so etwas im gesamten Bundesgebiet wiederholen, hätten viele Firmen aufgrund ihrer Eigenkapitalschwäche nichts mehr zuzusetzen.“

Durch die Pandemie sind seit Mitte März über 300 Kino- und TV-Produktionen unter- oder abgebrochen worden, der entstandene Schaden beträgt laut Palmer bis zu 100 Millionen Euro. Er wäre noch größer, wenn sich die Sender nicht bereit erklärt hätten, sich an den Mehrkosten zu beteiligen. ARD und ZDF zum Beispiel zahlen pauschal 50 Prozent. Das höre sich zwar toll an, sagt Palmer, „aber auf den restlichen 50 Prozent bleiben die Produzenten sitzen, und das stellt für kleinere und mittlere Firmen eine echte Herausforderung dar.“ Der Schaden werde zudem erst ersetzt, wenn ein Dreh abgeschlossen sei. Laut Christine Strobl, Geschäftsführerin der ARD-Tochter Degeto, dem mit Abstand größten deutschen Auftraggeber für Fernsehfilme, liegt die entsprechende Summe pro Film im mittleren fünfstelligen Bereich. Bislang hätten über fünfzig Degeto-Produktionen gestoppt oder verschoben werden müssen: „Wir sprechen bereits heute von zusätzlichen Kosten in Millionenhöhe.“

Beim ZDF legte Corona allein in den Monaten April und Mai ein Drittel der Jahresproduktion still. Die Mainzer gehen derzeit von Mehr­kos­ten von wenigs­tens fünf­zig Millio­nen Euro aus. Bei RTL, im fiktionalen Bereich weit weniger engagiert als ARD und ZDF, war die Produktion von Serien wie Alarm für Cobra 11Der Lehrer oder St. Maik betroffen. Alle Sender versichern jedoch, sie hätten kein fiktionales Projekt abgesagt. Nach Angaben eines ZDF-Sprechers gebe es allerdings Produktionen, „die wir wegen ihrer Komplexität und ihres hohen Finanzrisikos geschoben haben“, etwa den Drehstart für die Frank-Schätzing-Verfilmung Der Schwarm. Gleiches gilt für geplante RTL-Großproduktionen wie Der König von Palma oder einen Film über das Leben von Boris Becker, die mit ihren großen Massenszenen derzeit kaum realisierbar seien.

Weil eine Film- und TV-Produktion nicht gegen die Folgen einer Pandemie versichert werden kann, appellieren die Verbände (…), einen Ausfallfonds für pandemiebedingte Schäden bei TV-Produktionen einzurichten.

Dass Sender und Produktionsfirmen dieses Risiko scheuen, hat einen speziellen Grund. Die Filmbranche, erläutert Palmer, „ist ein Projektgeschäft. Die Grundkosten sind in der Regel überschaubar, aber in der Produktionsphase sind hohe Investitionen nötig. Die Absicherung von Risiken ist bei uns daher ein weit größeres Thema als in anderen Branchen mit vergleichsweise linearen Geschäftsmodellen.“ Weil eine Film- und TV-Produktion nicht gegen die Folgen einer Pandemie versichert werden kann, appellieren die Verbände der Branche an die Bundesländer, einen Ausfallfonds für pandemiebedingte Schäden bei TV-Produktionen einzurichten.

Anderswo gibt es solche Töpfe bereits; britische Kino- und TV-Produktionen zum Beispiel können mit einer staatlichen Unterstützung von insgesamt 500 Millionen Pfund (circa 550 Millionen Euro) rechnen. Hierzulande hat die Bundesregierung einen derartigen Fonds (50 Millionen Euro) bislang nur für Kinofilme und hochwertige Serien eingerichtet. Die Ausgaben für TV-Filme und Alltagsserien sind laut Palmer mit rund 1,9 Milliarden Euro jedoch gut dreimal so hoch wie das Produktionsvolumen für Kinofilme (600 Millionen Euro). Da Fernsehen in Deutschland Ländersache ist, arbeite die Produzentenallianz derzeit mit Hochdruck daran, dass sich die Länder auf einen gemeinsamen Topf verständigen. Angestrebt wird ein Ausfallfonds in Höhe von wenigstens 50 Millionen Euro. Für Palmer ist diese Absicherung die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wieder ein halbwegs normaler Filmbetrieb stattfinden kann: „Es ist höchste Eile geboten.“

Über Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Allensbach am Bodensee. Als freiberuflicher Medienfachjournalist sowie Fernseh- und Filmkritiker arbeitet er für Fachzeitschriften wie epd medien, Blickpunkt:Film, tv diskurs, das Internetportal tittelbach.tv und diverse Tageszeitungen. Schwerpunktgebiete seiner Arbeit sind Fernsehfilme, Programmentwicklung, Formatfernsehen, Jugendmedienschutz und Kinderprogramme.