Warum Filme größtenteils von Männern gedreht werden
Frauen sind auf Deutschlands Regiestühlen deutlich unterrepräsentiert: Nur jeder fünfte Kinofilm stammt von einer Regisseurin; beim Fernsehfilm ist die Diskrepanz noch deutlicher. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen müssen Regisseurinnen also entweder talentierter sein oder die richtigen Beziehungen haben. Natürlich machen sie nicht automatisch die besseren Filme, aber sie erzählen Geschichten anders und außerdem andere Geschichten. Warum sie das so vergleichsweise selten tun dürfen, ist ein Rätsel: 50 Prozent der Filmhochschulabsolventen mit Regiediplom sind Frauen aber nur 14 Prozent arbeiten später tatsächlich im erlernten Beruf, sagt Doris Dörrie in der ARD-Dokumentation Superfrauen. Die kommerziell wie auch künstlerisch erfolgreichste deutsche Filmemacherin (Männer, Kirschblüten – Hanami) lehrt seit zwanzig Jahren an der HFF in München.
Dass so viele Regisseurinnen nie in diesem Beruf ankommen, hat vermutlich den gleichen Grund wie bei anderen Akademikerinnen: die Familienplanung. Janine Jackowski, gemeinsam mit Regisseurin Maren Ade Produzentin von Toni Erdmann, glaubt jedoch, dass die Ursachen vielschichtiger seien und beispielsweise mit früh geknüpften Seilschaften zu tun hätten.
Tatsächlich verabreden sich Männer bereits während des Studiums zu gemeinsamen Projekten; Frauen tun das offenbar deutlich seltener. Eine Kennerin der Hochschulszene stellt fest, Regisseurinnen kämen zudem mit weniger Selbstbewusstsein aus dem Studium: „vielleicht, weil sie in zu vielen Diskussionen mit selbstbewussten Männern den Kürzeren gezogen haben.“ In der Filmbranche herrsche ein raues Klima und das beginne schon während der Ausbildung: „Es gibt generell mehr Regisseure als Projekte, deshalb fängt der Konkurrenzkampf bereits im Studium an.“ In der Doku sagt Caroline Link, 2003 für Nirgendwo in Afrika mit dem OSCARS® ausgezeichnet, bei Männern spielten Hierarchien und Rangordnungen stets eine große Rolle. Frauen dagegen hätten es nicht nötig, sich als „großer Zampano“ aufzuspielen.
Aber womöglich lassen sich TV-Sender, Produktionsunternehmen und Fördergremien ja von solchen Zampano-Auftritten blenden. Tatsache ist jedenfalls, dass Filme mit großen Budgets in der Regel von Männern inszeniert werden. In Hollywood ist das nicht anders: OSCARS®-Preisträgerin Kathyrin Bigelow (Tödliches Kommando – The Hurt Locker) ist eine der wenigen Ausnahmen. Margarethe von Trotta (Rosa Luxemburg, Hannah Arendt) erzählt eine Anekdote, die zwar vierzig Jahre alt, aber typisch ist: Als sie ihren ersten Film drehen wollte, musste ihr damaliger Ehemann Volker Schlöndorff hinter ihrem Rücken versichern, dass er das Projekt beenden würde, falls sie scheitern sollte. Einige Jahre später bekam sie als erste Frau für Die bleierne Zeit den Goldenen Löwen in Venedig (1981). Solche Premieren sind auch heute noch möglich: Vor zwei Jahren wurde Maren Ade wiederum als erste Regisseurin für Toni Erdmann mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.
Lesenswert ist in diesem Zusammenhang die soeben erschienene Interviewsammlung Die Logik des Filmemachens von Thomas Wiedemann (Herbert von Halem Verlag), selbst wenn das Geschlechterverhältnis – sieben Regisseure, fünf Regisseurinnen – auch hier nicht ausgewogen ist. In den Gesprächen geht es zwar vor allem um Karrierewege und Selbstverständnisse, aber es auch um die sozialen Bedeutungen der Gesellschaftsbilder, die ein Film vermittelt, und die sehen in Werken von Frauen oftmals anders aus. Das hängt nicht zuletzt mit weiblichen Themen zusammen, wie zwei Dramen von Anne Zohra Berrached verdeutlichen: Zwei Mütter behandelt den Kinderwunsch eines lesbischen Paares, 24 Wochen befasst sich mit dem Tabuthema der Spätabtreibung von Kindern mit Fehlbildungen. Trotz diverser Preise beklagt die Regisseurin, dass Frauen im Filmgeschäft nach wie vor „weniger ernst genommen“ würden.
Dörrie erzählt in dem Buch, dass sie sich nach der Geburt ihrer Tochter völlig überfordert hat, weil sie ohne Pause weiterarbeiten wollte – aus Angst, bei einer Pause den Wiedereinstieg in den Beruf nicht zu schaffen. Dass die Dinge auch anders laufen können, wenn Frauen das Sagen haben, belegt erneut Toni Erdmann: Ade hat den Schnitt des Films täglich um 15 Uhr beendet, damit sie und ihre Cutterin die Kinder aus der Kita abholen konnten. Wenn Julia von Heinz (Ich bin dann mal weg) dennoch bemängelt, dass vielen Frauen die Erziehung im Weg stehe, ist das vor allem aufs Verhalten am Set gemünzt: Frauen wollten „niemanden verärgern“, aber das passe „überhaupt nicht mit dem Regieberuf zusammen“, da sei es im Gegenteil „absolut gefragt“, dass man Leute vor den Kopf stoße: „Das müssen wir Frauen noch klarer lernen.“ Das Netzwerken hingegen beherrschen zumindest einige schon recht gut: Ade und Jackowski haben bereits vor 18 Jahren an der HFF die gemeinsame Produktionsfirma Komplizenfilm ins Leben gerufen. Auch Yasemin Şamdereli (Deutscher Filmpreis für Almanya – Willkommen in Deutschland) ist dank der mit ihrer Schwester Nesrin und Anja-Karina Richter gegründeten Firma S2R ihre eigene Chefin, hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Finanzierung von sperrigen Stoffen dadurch nicht leichter werde. Frauen müssen ihrer Ansicht nach aber ohnehin „tougher“ werden, um mit Männern um Budgets in Höhe von 10 oder 20 Millionen Euro konkurrieren zu können. Vielleicht sollten Regisseurinnen doch öfter mal den großen Zampano spielen.