Neue bundesgesetzliche Regelungen für Facebook, YouTube und Twitter
Am 1. Oktober 2017 ist das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) in Kraft getreten (Gesetz v. 01.09.2017, BGBl. I, S. 3.352). Es etabliert erhebliche Compliance-Pflichten für soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube oder Twitter. Netzwerkbetreiber mit mehr als zwei Mio. registrierten Nutzern müssen danach ein Beschwerdeverfahren errichten, eingehende Beschwerden über bestimmte strafbare Inhalte unverzüglich prüfen und reagieren. Sogenannte „rechtswidrige Inhalte“, die bestimmte Straftatbestände erfüllen, sind grundsätzlich innerhalb vorgegebener, enger Fristen zu entfernen oder zu sperren (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 NetzDG). Im Falle einer nicht richtigen Umsetzung des Beschwerdeverfahrens drohen Bußgelder bis zu einer Höhe von 50 Mio. Euro, welche von dem zuständigen Bundesamt für Justiz (BfJ) gegen die Netzwerkbetreiber verhängt werden können. Dies gilt auch und gerade dann, wenn die Netzwerkbetreiber rechtswidrige Inhalte nicht oder nicht fristgerecht löschen und dadurch das Beschwerdeverfahren „nicht richtig“ vorhalten. Die den Löschpflichten des NetzDG unterliegenden „rechtswidrigen Inhalte“ umfassen z.T. auch solche Angebote, welche zugleich in den Tatbeständen des § 4 Abs. 1 S. 1 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) als unzulässig normiert sind. Dies sind z.B. verfassungsfeindliche Kennzeichen (Hakenkreuze), volksverhetzende oder den Holocaust leugnende Inhalte oder Gewaltdarstellungen i.S.d. § 131 StGB.
Konsultation der „regulierten Selbstregulierung“ bei Inhaltsprüfungen
Ebenso wie im Jugendmedienschutz ist auch nach dem NetzDG eine (eingeschränkte) Möglichkeit der Konsultation einer Selbstkontrolleinrichtung durch den Anbieter eines sozialen Netzwerkes gegeben. Grundsätzlich muss gewährleistet sein, dass der Anbieter des sozialen Netzwerkes jeden rechtswidrigen Inhalt „unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt“. Diese Frist kann aber überschritten werden, wenn das soziale Netzwerk die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde einer vom BfJ anerkannten „Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung überträgt und sich deren Entscheidung unterwirft“ (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 3b NetzDG). Sofern kein Fall einer sogenannten „offensichtlichen“ Rechtswidrigkeit vorliegt, steht es den sozialen Netzwerken in eigenem Ermessen frei, eine anerkannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung zu konsultieren und damit die „Einschätzung eines Inhaltes auszulagern“ oder nicht (vgl. BT-Drs. 18/13013, S. 21).
Bindung der Aufsicht an Entscheidung der Selbstkontrolleinrichtung
Die Konsultation der Selbstregulierung für die Prüfung der Rechtswidrigkeit bestimmter Netzwerkinhalte hat zwar nach dem Wortlaut nur eine Fristenausnahme zur Folge, hingegen keine rechtliche Privilegierung der Selbstkontrollentscheidung, welche eine Bußgeldahndung im Falle einer entgegenstehenden Bewertung durch das Bundesamt für Justiz per se ausschließen könnte. Allerdings sollen nach den Gesetzesmaterialien ein gerichtliches Vorabentscheidungsverfahren (§ 4 Abs. 5 NetzDG und eine Bußgeldahndung nicht möglich sein, wenn der betreffende Inhalt einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung vorgelegen hat und der Inhalt nicht als rechtswidrig bewertet worden ist. Dies ergibt sich aus der Begründung der Beschlussempfehlung des BT-Rechtsausschusses, wonach der Bußgeldbehörde in einem solchen Fall verwehrt ist, die Bußgeldahndung auf die tatsächliche Rechtswidrigkeit des Inhalts zu stützen (vgl. BT-Drs. a.a.O.). Hiernach käme der Selbstregulierungsentscheidung gegenüber der Bußgeldbehörde doch eine faktisch bindende Wirkung zu.
Unterschied zur JMStV-Selbstkontrolle
Dies stellt eine erhebliche Abweichung gegenüber Selbstkontrollentscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag dar. § 20 Abs. 3 und 5 JMStV gesteht der Jugendschutzselbstkontrolle ein solches Beurteilungsprimat und -präjudiz bei Inhalten nach § 4 Abs. 1 JMStV gerade nicht zu. Hat die FSF etwa bei einer Sendung das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 (verfassungsfeindliche Kennzeichen) oder Nr. 5 (Gewaltdarstellungen i.S.d. § 131 StGB) verneint und eine Sendezulässigkeit bejaht, kann die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gleichwohl uneingeschränkt eine andere Bewertung vornehmen und den Sender wegen JMStV-Verstoß beanstanden und ein Bußgeld verhängen. Dies gilt selbst dann, wenn die FSF-Prüfung durch einen sachverständigen Juristen oder eine Juristenkommission durchgeführt worden ist.
Unklare Legitimation einer Besserstellung von NetzDG-Selbstkontrolleinrichtungen
Fraglich ist, wodurch eine stärkere rechtliche Bindungswirkung von Selbstkontrollentscheidungen über rechtswidrige Inhalte nach dem NetzDG gegenüber inhaltlich gleich gelagerten Bewertungen von Selbstkontrolleinrichtungen der FSF und der FSM nach dem JMStV gerechtfertigt werden kann. Dies gilt umso mehr, als dass das Verfahren für die Anerkennung von NetzDG-Selbstkontrolleinrichtungen den JMStV-Vorgaben nachgebildet ist und sich inhaltlich kaum unterscheidet. Der Gesetzgeber verhehlt auch nicht, dass die materiellen Voraussetzungen der Anerkennung einer – in den Gesetzesmaterialien auch „Selbstkontrolle“ genannten – Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung den im Jugendschutzrecht nach § 19 JMStVgeltenden Anforderungen nachgebildet sind (vgl. BT-Drs. a.a.O.). Vor diesem Hintergrund erscheint eine Ungleichbehandlung von Selbstkontrollentscheidungen zu rechtswidrigen (NetzDG) bzw. unzulässigen (JMStV) Inhalten jedenfalls dann nicht mit Sachgründen zu rechtfertigen zu sein, wenn die Bewertungen jeweils durch zum Richteramt befähigte Volljuristen der Selbstkontrolleinrichtungen ergangen sind.
Rechtliche und rechtspolitische Implikationen
Aus den bundes- und landesgesetzlich heterogenen Regelungen zur Bindungskraft und ‑reichweite von Selbstkontrollentscheidungen zu rechtswidrigen Inhalten ergeben sich künftig noch zu prüfende Rechtsfragen. Insbesondere kommt im Lichte des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 GG eine verfassungskonforme Auslegung der § 20 Abs. 3 und 5 JMStV in Betracht, welche Selbstkontrollentscheidungen von Juristen der FSF und der FSM möglicherweise eine Bindungswirkung gegenüber der KJM zukommen lassen, sofern diese den Ausschluss des Vorliegens von Unzulässigkeitstatbeständen nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 5 und 10 JMStV zum Gegenstand haben. Darüber hinaus sind aber auch die Landesgesetzgeber des JMStV aufgerufen, die durch das NetzDG entstandene regulative Diskrepanz im Bereich der rechtlichen Bedeutung von Entscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen zu beheben.