Müssen Medien ihre Nutzer retten?
Von Christine Watty
22. März 2016: Anschläge in Brüssel. An solchen Tagen kann einen die volle mediale Wucht treffen, wenn man sich einlässt auf den Strudel aus Eilmeldungen, Tickern und Sondersendungen: Man kann live dabei sein, wie sich das Entsetzen aufbaut, erlebt sekündlich, wie Informationen gestreut, dann wieder zurückgezogen werden und schließlich lange nach den Ereignissen erst in stimmigen Reportagen enden. Man sieht zuvor noch, wie Fernsehmoderatoren zu Loop-Maschinen werden, die auf die immer gleichen Bilder die immer gleichen Halbinformationen verteilen; wir sind dabei, wie jede Menge Experten auftauchen, die oftmals nicht genau wissen können, was vor Ort geschieht – aber dennoch darüber reden. Eine bemerkenswerte Satire des ProSieben-Comedyformats Switch reloaded zeigte schon vor vielen Jahren eine Reporterin, die u. a. am Wühltisch eines großen Kaufhauses steht und von dort die Kriegsereignisse eines weit entfernten Landes kommentiert. Zu verstehen natürlich auch als eine Art Medientrost im Sinne von: bitte nicht alles ernst nehmen, was wir da in der Kürze der Zeit von uns geben.
Aber zurück zu der aktuellen Terrorberichterstattung: Die Expertenschar wird schließlich noch ergänzt um die Fachleute, die schon darüber sprechen, wie groß die Gefahr bei uns ist und welche Reaktionen zu empfehlen sind – während am entfernten Anschlagsort noch die Opfer gezählt werden.
Antworten also, die gegeben werden, ohne dass man als Medienzeuge der Katastrophe schon so weit gewesen wäre, sich um sich selbst Sorgen zu machen. Das kommt ja erst noch, die Sache mit den Sorgen. Auch in diesem Text.
Urheber der ganzen Tickerei und des Bemühens vieler Sender, möglichst viel „live“ zum Ort des Grauens zu schalten, sind ja angeblich das Internet und seine Schnelligkeit – und damit sind wir am Ende der kleinen Katastrophen-Presseschau: Klickt man sich dann noch mit letzter Kraft durch die Social-Media-Kanäle, deren Mitglieder unkuratiert die beunruhigendsten Kurznachrichten und die dazugehörigen grauenvollen Fotos posten, ist man vor allem eines: erschöpft. Und wenn es schlecht läuft, auch noch ängstlich und unsicher.
Medien sollten nicht in erster Linie beruhigen – aber sich ihrer Wirkung bewusst sein
Und nun? Haben Medien auch einen Beruhigungs- oder gar Nachsorgeauftrag im Sinne einer allgemeinwohlverträglichen Berichterstattung? Helfen sie uns überhaupt, im Leben mit all den Schwierigkeiten von Terror – bis hin zu persönlichen Problemen – klarzukommen?
Keine Frage: Sie helfen im Katastrophenfall indirekt durch nachträgliche versachlichende Korrektur der emotionalisierten Erstberichterstattung, durch Einordnung all dessen, was im ersten Moment als singuläres und die Welt beherrschendes Ereignis verkauft wird. Hintergründe, Zahlen, Fakten und wieder neue Expertenmeinungen in größerer Ruhe in den darauffolgenden Tagen konsumiert, lassen die wieder ruhiger schlafen, die sich gerade noch fühlten, als bestehe ihr eigenes Leben auch weit entfernt nur noch aus Trauer und Terror. Außerdem haben Medien gelernt, selbst im größten Schock umgehend in die Metaberichterstattung einzusteigen, geleitet von der Frage: „Wie gut waren wir in unserer Berichterstattung?“
Interessant ist aber die Suche nach konkreten Maßnahmen, im Sinne eines Mitdenkens für die Medienrezipienten, die die News-Welt am Ende eines Tages alleine zurücklässt. Denn da ist das Angebot gar nicht einmal so groß – und wenn, dann vor allem online vorhanden: Die „Süddeutsche Zeitung“ beispielsweise hat für solche Fälle die Onlinedebatte installiert: kein Trost-Kanal, aber zumindest eine Einladung, eigene Gedanken zu allen aufwühlenden Geschehnissen loszuwerden – in einem moderierten Forum. Eine nutzerbezogene Ergänzung zur Berichterstattung und immerhin nicht nur eine lieblose Aufforderung, in irgendeinem Facebook-Stream mal zu sagen, was man so denkt. Im „SZ“-Forum waren beispielsweise schlicht die Gedanken zu den Paris-Anschlägen im November 2015 gefragt; nach Brüssel stand eine Diskussion unter der Überschrift Wie viel Sicherheit verträgt unsere Freiheit. Ein Forum mit klaren Regeln, das einen fairen Austausch möglich machen soll. „Reden Sie mit“ – das erlauben auch Talkshowformate wie Hart aber fair und laden zumindest zur Mitdiskussion online ein. Können dabei aber qua Format nicht in erster Linie auf die ganz persönlichen Befindlichkeiten der Diskussionsteilnehmer eingehen.
Die Urform des Medientrostformats, der Radiotalk, wird hingegen immer seltener: Der bekannteste Nachttalker, Domian von WDR 1LIVE, gibt noch in diesem Jahr nach 20 Jahren seine Sendung auf, die im Radio und im Fernsehen stattfindet. Zwar sind die Sendungen vor allem von persönlichen Notsituationen der Anrufer geprägt; Tages aktuelles aber ist auch immer wieder Thema – ebenso wie die Sorgen und Ängste der Anrufer dazu.
Das gab es im Fernsehen auch einmal. Durchgeschüttelt von der Welt – oder den Medien, die sie so erzählen –, bräuchte man derzeit vielleicht in der Konsequenz wieder mehr Fernsehpsychologen wie Brigitte Lämmle, die bis 2009 in einem SWR-Fernsehstudio auf- und abging, während ihr Menschen Ängste, Sorgen und persönliche Situationen schilderten. Die TV-Sendungen mit dem Auftrag „Trost und Hilfe“ haben heute eine klare Ausrichtung: Bitte melde dich!, Vermisst oder ähnliche Ansätze der privaten Fernsehsender wollen zwar persönlich helfen. Sie begeben sich mit viel Aufwand auf die Suche nach vermissten Menschen – diese Hilfsangebote sind jedoch für Hilfe- und Trostsuchende an klare Bedingungen geknüpft und nicht reiner Altruismus der Veranstalter. Und klar: Hier herrscht null Bezug zur Tagesaktualität.
Vielleicht ist es nicht originäre Aufgabe der Medien, das eigene Publikum am Ende des Tages zu retten. Es gibt ja auch noch Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen, Stammtische, Kollegen und Familie zum Austausch! Trostspendendes kann man auch finden in den unterschiedlichen Formaten, die von Lebensgeschichten und starken Menschen erzählen, die Außergewöhnliches erlebt haben; Featureformate und Gesprächssendungen gibt es en masse, die allesamt Angebote sind, das Leben nach den Newstickern auch von anderer Seite zu betrachten. Nur: In einer Zeit, in der wir das Wort „Angst“ ja gerne sehr großschreiben, stellt sich die Frage: Was können Medien tun, um diese weniger groß werden zu lassen? Den Ton in der Berichterstattung ändern, abwarten – das wäre eine Maßnahme. Die andere: vielleicht die Sache mit dem Zuhören. Gefragt, ob man Menschen in einem Talkformat mit zeitlicher Begrenzung helfen könne, sagte Nachttalker Domian im Interview mit dem „SZ Magazin“ im Jahr 2015: „Die Hilfe findet meist jenseits der Worte statt, indem man einfach da ist und aufmerksam zuhört.“
Dieser Beitrag ist in der aktuellen tv diskurs 2/2016 Motivation Hoffnung. Die Bedeutung der Medien für unser Weltbild erschienen und steht auf unserer Website als Download zur Verfügung.
Christine Watty ist freie
Journalistin, Redakteurin
und Moderatorin.