Blutbeschmierte Cops, ein patenter Serienkiller und menschelnde Leberwurst: Hannibal in Serie

Vor 22 Jahren findet eine der schicksalhaftesten Begegnungen für Horror-Thriller-Fans statt: Ein Psychopath empfängt seine erste Besucherin im düsteren Hochsicherheitstrakt eines Krankenhausgefängnisses in Baltimore. Als Wiedergutmachung für den Spermaangriff eines ungehobelten Zellennachbars dirigiert Dr. Hannibal Lecter Kommissarin Clarice Starling zu einem gesuchten Serienmörder, der seinen Opfern mit Vorliebe einen verpuppten Schmetterling in den Hals stopft. Lebenslang sitzt Dr. Lecter, den man gut und gerne als Prototyp eines Psychopathen im Film Das Schweigen der Lämmer (1991) bezeichnen kann, seine Strafe für seinen Hang Menschen zu töten, um Teile von ihnen genüsslich zu verspeisen, ab. Damals wie heute beeindruckt mich Anthony Hopkins in der Rolle als Hannibal.

In der neuen, gleichnamigen Serie gibt jedoch nicht er, sondern Mads Mikkelsen den wohlerzogenen Soziopathen – eine Tatsache, die mich zunächst irritierte.

Im Serien-Piloten soll Profiler Will Graham (Hugh Dancy) eine brutale Mordserie an College-Mädchen aufklären. Die Mädchen sind nicht nur getötet worden, es fehlen auch bestimmte Organe, die – so vermutet Graham – vom Täter gegessen werden. Zur Lösung des Falls stellt Chefinspektor Jack Crawford (Laurence Fishburne) dem Profiler einen Spezialisten zur Seite: keinen Geringeren als Gaumenfreund und Psychiater Dr. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen).

Mads Mikkelsen alias Dr. Lecter trägt feinsten Zwirn und schürzt gern die Lippen, weswegen man ihn in der englischen Originalversion nur schlecht verstehen kann. Sanft lächelt er für die Polizeieinheit, ungerührt verhilft er Tatverdächtigen zur Flucht. Mikkelsen spielt kompromisslos und hat, wenn es darauf ankommt, gnadenlos erfrorene Augen – das macht ihn zu einem passablen Dr. Lecter.

Wer einen der Filme oder Romane (Thomas Harris) aus der Lecter-Reihe kennt wird sich gefragt haben, wie Autor Bryan Fuller es schaffen will, wenigstens etwas Spannung in sein Serienvorhaben zu bringen. Nach Sichtung der ersten Folge ist klar: Fuller setzt auf Blut. Auf ganze Flüsse von Blut, die sich schon in den ersten Minuten in Slow Motion aus Bauchdecken und Halsschlagadern auf kalkweiße Wände ergießen. Profiler Will Graham ist recht zartbesaitet und weder den rauschenden Blutergüssen noch der apodiktischen Gewalt wirklich gewachsen. Noch dazu leidet er (wie könnte es anders sein) an einer psychischen Störung. Als autistischer Cop liegt er zwar total im Trend (erinnern wir uns an Carrie Mathison aus Homeland oder Sonya Cross in The Bridge), leider ist meine Aufnahmefähigkeit für psychisch kranke Kommissare und Profiler mittlerweile ausgereizt – es dürfen auch wieder solche Normalos ermitteln, deren alltägliche Probleme wie Suff, Zigaretten und desolates Privatleben völlig ausreichen würden. Graham ist labil und menschenscheu – und damit das genaue Gegenteil des grausamen Gastgebers Dr. Lecter, der das Gegenüber  mit seinem Intellekt seziert, charmant verführt, um ihm im richtigen Augenblick Salz in nässenden Wunden zu reiben. Entspannen kann sich Graham nie. Lecter schafft das vor allem durch die Zubereitung frischer menschlicher Organe, deren herrliche Darreichung einen Michelin-Stern verdient und die er unbekümmert seinen Gästen vorsetzt.

Den martialischen Schlachtungen der Opfer, die Profiler Graham aufgrund seiner autistischen Störung stets am eigenen Leib erleben bzw. selbst ausführen muss, stehen ätherische Tierstudien (einer Vorliebe des Romanautors Harris) entgegen: ein stolzer muskulöser Elch, in Kadavern hackende Raben mit seidig glänzenden Federn. Die Geräuschkulisse verstört wie die makaberen Mordszenen, bedrohlich wimmern Hochfrequenzen, kreischt Metall auf Metall.

In der ersten Staffel von Hannibal verarbeitet Bryan Fuller zunächst die Vorgeschichte des Lecter-Dramas basierend auf Thomas Harris’ Roman Roter Drache, der ebenfalls mit Hopkins im Kino zu sehen war. Glaubt man Wikipedia, dann hat Fuller vor, alle Romane aufzuwärmen. Angesichts dieser Aussichten scheint die Serie für Freunde der Kinofassung wie mich nur bedingt empfehlenswert. Insgesamt ist Hannibal nicht schlecht – die eindrucksvolle Ausstattung liefert schöne Bilder, die Morde sind herrlich schaurig und die Story wird gut und schnell erzählt. Ich rate aber in jedem Fall zum Genuss von Das Schweigen der Lämmer – dem Film, der immer das Filetstück der Lecter-Reihe bleiben wird.

Seit dem 10. Oktober zeigt Sat.1 jeweils donnerstags um 22:15 Uhr die Serie Hannibal und zur ProgrammInfo der Serie im FSF-Blog geht es hier.

Über Lena Ackermann

Lena Ackermann teilt sich ihren Geburtstag mit Michael Jackson und hoffte jahrelang auf eine Einladung nach Neverland. Sie hat in Köln Geschichte studiert, in Hamburg bei einer Filmproduktionsfirma gearbeitet und in Berlin ein Volontariat beim Rolling Stone gemacht. Sie schreibt für Erwachsene und Kinder. Mittlerweile hat sie Graceland besucht – auf die Einladung nach Neverland wartet sie weiterhin.