Verstößt „Die Super Nanny“ gegen die Menschenwürde? Warum die FSF bei der von der KJM beanstandeten Folge der „Super Nanny“ keinen Verstoß festgestellt hat

Als FSF-Prüferin, die einen Großteil der Folgen der letzten „Super Nanny“-Staffel zu begutachten hatte, bin ich froh, dass die Sendung nicht fortgesetzt wird. Denn nachdem die KJM in einer der zehn Sendungen einen Verstoß gegen die Menschenwürde festgestellt hat, scheinen die Bewertungsmaßstäbe verrutscht. Im Mittelpunkt der Sendung hätten Gewalt- und Leidensbilder gestanden, „die den brutalen Umgang einer alleinerziehenden Mutter gegenüber ihren drei kleinen Kindern (sieben, vier und drei Jahre alt) thematisierten“, heißt es in der Pressemitteilung der KJM vom 23.07.2012. Beanstandet wird die „Vielzahl von physischen und psychischen Gewalthandlungen“, die „sowohl im Teaser der Sendung als auch während der Sendung wiederholt wurden … Eine so reißerische Darstellung zielt primär auf den Voyeurismus der Zuschauer. Die Kinder werden in für sie leidvollen Situationen für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert, zu Objekten der Zurschaustellung herabgewürdigt und in ihrem sozialen Achtungsanspruch verletzt“. Hat die FSF geschlafen? Ein Prüfausschuss hatte die Sendung ein Jahr zuvor gesichtet und für die Ausstrahlung um 20.00 Uhr freigegeben. Warum?

Einheitliches Muster

In der beanstandeten Folge über die alleinerziehende Mutter und ihre drei Kinder werden, wie es in allen Episoden der Super Nanny üblich war, in den ersten 11 Minuten viele kurze Bilder von häuslicher Gewalt und Aggression gezeigt: Die Mutter schlägt einem Kind auf den Arm, einem anderen auf die Hand, dem dritten auf den Po; sie droht und schreit und ist unempfänglich für das Weinen ihrer Kinder, das ebenfalls in kurzen Bildern ohne den konkreten Anlass gezeigt wird. Schnitt und Kamera emotionalisieren. Der Kommentar bleibt aber sachlich und ist auf Seiten der Kinder. Im weiteren Verlauf treten die Ursachen für das Verhalten der Mutter zu Tage (Misshandlung durch die eigene Mutter), werden Alltagssituationen kommentiert und geübt. Die Super Nanny legt den Besuch bei einer Therapeutin nahe, lässt die Kinder rechtsmedizinisch auf die Folgen von Gewaltanwendungen untersuchen – mit negativem Ergebnis. Am Ende beteuert die Mutter, aktiv an einer Veränderung arbeiten zu wollen. Saalfrank bleibt skeptisch und sorgt sich um die Kinder. Sie informiert das Jugendamt. Dass Gewalt- und Leidensbilder im Mittelpunkt der Sendung stehen, hat der FSF Ausschuss nicht gesehen.

Zweck, Mittel, unzulässige Kommerzialisierung

Dass ein kommerzieller Fernsehsender im Rahmen der Sendung „Die Super Nanny“ Bilder von Gewalt gegen Kinder zeigt, ist nicht neu und auch nicht Gegenstand der KJM-Beanstandung. Denn bei der Frage, ob eine Darstellung die Menschenwürde verletzt, geht es im Wesentlichen um die vermittelte Werthaltung zu dem gezeigten Leiden – und die steht bei der Sendung nicht in der Kritik. Entsprechend heißt es im KJM-Beanstandungsbescheid, ´stets sei erkannt und gewürdigt worden, dass die Sendung der Suche nach Lösungen diene.´

Beanstandet wird im konkreten Fall die Form der Darstellung, auch die ist laut Gesetz bei der Frage, ob eine Menschenwürdeverletzung vorliegt, zu prüfen. Klar ist, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Die Menschenwürde ist insbesondere dann verletzt, wenn Menschen dargestellt werden, „die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind … ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung“ vorliegt. Ein berechtigtes Interesse liegt dann nicht vor, wenn „Menschen durch den Anbieter … in unzulässiger Weise kommerzialisiert, dadurch erniedrigt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden“ (KJM-Kriterien, S. 25).

Im Prüfalltag der FSF heißt das etwa: Wird ein Unfallopfer bildlich so zur Schau gestellt, dass man sich an seinem Elend weidet? Werden alte Menschen in einer Spielshow zum Ergötzen der Zuschauer in demütigenden Posen vorgeführt? Werden Katastrophen zur Unterhaltung sensationsheischend oder heiter-verharmlosend präsentiert? Dies sind Beispiele für Sendungen, die nie zur Ausstrahlung kamen, weil die FSF einen Menschenwürdeverstoß und eine unzulässige Kommerzialisierung feststellte: „Menschen (werden) von einem überlegenen Akteur aus Gründen wirtschaftlichen Erwerbsstrebens in eine unentrinnbare Situation gebracht“ und zum bloßen „Gegenstand der … Zurschaustellung oder der Verächtlichmachung herabgewürdigt“ KJM-Kriterien, S. 25). In der beanstandeten Sendung gibt es dagegen keine eindringlichen Gewalt- oder Leidensbilder. Die KJM stellt fest, dass „in der Sendung keine einzelnen langen ausgespielten Gewaltszenen zu sehen“ (Beanstandungsbescheid, S. 10) sind, im FSF-Prüfgutachten heißt es: „Intensive Leidensbilder von Kindern werden nicht in spekulativer Weise gezeigt“ (FSF-Gutachten vom 15.6.2011).

Dramatisierung und Emotionalisierung = Voyeurismus?

Als Verstoß gegen die Menschenwürde wird die „Vielzahl von kurzen Gewalthandlungen“ und Leidensbildern gewertet, die „wiederholt und zusätzlich durch den erheblichen Einsatz von formalen Gestaltungsmitteln dramatisiert und emotionalisiert“ (S. 9ff.) werden. Die FSF war der Auffassung, dass die emotionalisierenden Mittel im konkreten Fall nicht voyeuristische Interessen bedienen, sondern auf Empathie und Parteinahme für die Kinder zielen. Man weidet sich nicht an diesen Bildern, sie sind dafür auch zu kurz. Die Wiederholung dient auch nicht der Zurschaustellung oder dem Lustgewinn, sondern der Dramatisierung des Problems, das es zu beseitigen gilt. Die Kinder erscheinen durch die Art der Inszenierung nicht objekthaft und werden nicht herabgewürdigt. Sie kommen zu Wort, man fühlt mit ihnen.

Was bleibt?

Sicher kann man die Sendung auch anders gestalten. Für den Problemaufriss – in dieser Familie herrscht Gewalt – ist die Wiederholung der Bilder, sind Musik und Nahaufnahmen nicht notwendig – aber eine rein sachliche Erziehungsratgebersendung war „Die Super Nanny“ nie. Stets wurde und wird betont, dass es „von gesellschaftlichem Interesse sein“ kann, Gewalthandlungen an Kindern „kritisch und auch emotional nachvollziehbar zu präsentieren“, denn: „Sendungen wie die ‚Super Nanny’ erreichen andere Milieus als reine Informationssendungen … und können diese Bevölkerungsgruppen für die Themen familiäre Missstände und häusliche Gewalt sensibilisieren und einer Verharmlosung und Tabuisierung solcher Themen entgegenwirken“ (Beanstandungsbescheid, S. 10). Im Prüfgutachten der FSF heißt es hierzu: „Gewalt kommt in der Folge in Form von Schlägen auf den Po oder auf die Hände der Kinder häufiger vor. Die dokumentierte Gewalt wirkt aber abschreckend und schockierend.“ Zwar werde „die persönliche Misere (der Personen) eindringlich geschildert …, gleichwohl steht von Anfang an der pädagogische Wille im Vordergrund, den Teilnehmern zu helfen.“

Nun wird in einer Episode der Sendereihe, die acht Jahre lang im deutschen Privatfernsehen ausgestrahlt wurde, die emotionalisierende Gestaltung als Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet, trotz des kritischen Kontextes und obwohl keine spekulativen Bilder zu sehen sind. Das geht über bislang angelegte Bewertungsmaßstäbe hinaus. Der FSF-Prüfausschuss hat die relevanten Kriterien geprüft, aber keine Argumente finden können, die eine Verweigerung der Ausstrahlung im Hauptabendprogramm rechtfertigen. Letztlich werden die Gerichte entscheiden.

 

Links:

Weitere Informationen zur Programmprüfung unter: http://fsf.de/programmpruefung/

KJM-Pressemitteilung vom 23.07.2012

Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien

Pressestimmen:

http://www.medienmilch.de/quark/bad-news/artikel/details/103099verstoss-gegen-die-menschenwuerde-bei-die-super-nanny/

http://www.welt.de/fernsehen/article108364900/Verstoesst-die-Super-Nanny-gegen-die-Menschenwuerde.html

http://www.focus.de/kultur/kino_tv/jugendschuetzer-super-nanny-verstoesst-gegen-menschenwuerde_aid_786012.html

http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1340973

http://www.rp-online.de/gesellschaft/fernsehen/jugendschuetzer-beanstanden-super-nanny-1.2920279

http://www.bild.de/unterhaltung/tv/die-super-nanny/folge-verstiess-gegen-menschenwuerde-jugendschutz-25297182.bild.html

Über Claudia Mikat

Claudia Mikat ist seit 2019 Geschäftsführerin der FSF. Sie studierte Erziehungswissenschaften/Freizeit- und Medienpädagogik an der Universität Göttingen. Danach arbeitete sie als freiberufliche Medienpädagogin, als Dozentin und in der Erwachsenenbildung. Von 1994 bis 2001 leitete sie die Geschäftsstelle der FSF und wechselte dann in die Programmprüfung, die sie bis 2015 verantwortete.