Visionen für einen Jugendschutz der Zukunft: Lösungsvorschläge

Gestern erschien bereits der erste Teil des Vortrages von Wim Bekkers, Visionen für einen Jugendschutz der Zukunft, anlässlich der Jubiläumsfeier der FSF am 24. Juni 2014. Heute nun die Fortsetzung – und Lösungsvorschläge.

Wim Bekkers anläßlich des 20-jährigen Jubiläums der FSF in Berlin
„Visionen für den Jugendschutz der Zukunft“. Wim Bekkers anläßlich des 20-jährigen Jubiläums der FSF in Berlin (c) FSF

1. Das „Erdnussbutter-Prinzip“
Wir finden es in Deutschland und im übrigen Europa völlig normal, dass Lebensmitteln Informationen über ihren Inhalt beigegeben sind. Denn wir wollen wissen, was drin ist und was die Risiken sind: Zucker- und Fettgehalt, Farben, Aromen und Düfte, Zusatzstoffe mit ENummern usw. Oft ist diese Art von Produktinformation versteckt angebracht und kaum lesbar, aber sie ist vorhanden, weil wir sie für wichtig halten.
Ende dieses Jahres wird eine europäische Regelung in Kraft treten, die zu einer einheitlicheren und klareren Form der Produktinformation für Lebensmittel in Europa führen soll. Damit man wohlüberlegt seine Entscheidung treffen kann.

Wenn wir besorgt sind über die möglichen Risiken des audiovisuellen Angebots für unsere Kinder – ein Angebot, dessen Umfang noch immer zunimmt und bei dem Eltern und Kinder in der Lage sein müssen, eine vernünftige Auswahl zu treffen –, dann ist es in Analogie zu Lebensmitteln wünschenswert, dass auch die audiovisuellen Angebote konsequent mit sichtbaren und deutlichen Produktinformationen versehen sind. Beispielsweise in Form von gut sichtbaren Altersangaben und Symbolen, die informieren, um welche (Risiko-) Elemente es geht. In Deutschland, den Niederlanden und natürlich auch in den anderen europäischen Ländern.

2. Internationale Klassifikationstools
(mit der Möglichkeit nationaler Klassifikation, zugeschnitten auf eigene Normen und kulturelle Werte. Oder – falls gewünscht – eine einheitliche internationale Klassifikation für mehrere Länder)
Derzeit gibt es drei internationale Klassifikations systeme in Europa:

PEGI – für Spiele: Schon seit elf Jahren ein gut funktionierendes Informationssystem für Spiele, das in mehr als 30 Ländern verwendet wird. Mit einheitlichen Kriterien und einheitlichen Klassifizierungen für beinahe ganz Europa.

You Rate It: eine Initiative des BBFC – des British Board of Film Classification – und des NICAM zur Klassifizierung von User Generated Content (Video- Sharing-Plattformen wie YouTube, Facebook etc.). You Rate It verwendet einheitliche Kriterien und bietet Möglichkeiten für national zugeschnittene Klassifikationen.

IARC: International Age Rating Coalition, eine globale Initiative zur Klassifizierung von Apps, mit Partnern wie USK, PEGI und ESRB. Mit global einheitlichen Kriterien und mit auf Kontinente zugeschnittenen Klassifizierungen für Apps.

Das Prinzip ist: Verantwortung wird übernommen, indem  die Anbieter selbst die Klassifizierungen als Produktinformationen bereitstellen. Es geht also um eine Form der Selbsteinstufung. So wie es die TV-Sender, Film- und DVD-Distributoren im NICAM-Verband in den Niederlanden seit 14 Jahren tun. Natürlich, und das ist wichtig, nicht „einfach nur so“, sondern auf der Grundlage von Spielregeln und in Zusammenarbeit mit externen und unabhängigen Sachverständigen und unter Aufsicht professioneller Mitarbeiter. Und mit einer Beschwerderegelung für die Öffentlichkeit.

3. Institutionen wie FSF, USK, NICAM, BBFC usw. haben weiterhin eine deutlich definierte Rolle.
Der Großteil der audiovisuellen Onlineangebote kann, wie angegeben, aller Wahrscheinlichkeit nach nur durch Instrumente im Sinne der Selbsteinstufung klassifiziert werden. In Zukunft möglicherweise mit automatisierten Klassifizierungstechniken. Logistische Faktoren und die riesigen Mengen machen die Klassifizierung durch zentrale Einrichtungen praktisch unmöglich. Denken Sie nur an das UGC- und App-Angebot. Aber ein wichtiger Teil des eher professionellen Angebots, das hauptsächlich aus Filmen und TV-Programmen besteht, kann durch die professionellen Rating-Institutionen eingestuft werden. Des Weiteren spielen diese Institutionen eine Rolle im Überwachungs- und Korrekturbereich bei internationalen Selbstklassifizierungssystemen.

4. Internationales Wissenskonsortium
Die Frage, ob und in welchem Umfang und bei wem Medieneffekte auftreten, ist und bleibt relevant – und so auch ein wichtiges Forschungsthema. In vielen Ländern wird seit Jahrzehnten hierzu geforscht. Doch fehlt es oft an Klarheit, und es herrscht Verwirrung darüber, wie es mit dieser Problematik nun steht und wie auf kluge Weise zu verfahren ist. Daher schlage ich vor, ein internationales Konsortium von Medienwirkungsforschern zu schaffen – mit dem Ziel, Wissen und Informationen zur Verfügung zu stellen und auszutauschen. Und um gemeinsam Einblick zu erhalten in die Frage, was wir wissen und was wir noch nicht wissen.

5. Ein solches Wissenszentrum und -konsortium braucht eine Plattform, ein Podium.
Und dieses Podium existiert bereits! Das Fundament ist vorhanden, hier in Deutschland! tv diskurs ist eine fantastische, einzigartige und sehr wertvolle Publikation. In jedem Quartal ist es wieder eine reiche Quelle für neues Wissen, für Reflexion, Relativierung, Tiefgang und wissenschaftliche Analyse auf dem Gebiet der Wirkung audiovisueller Medien. Es gibt allerdings ein Problem: tv diskurs verdient ein viel breiteres Publikum. Denn es ist auch für Interessengruppen außerhalb des deutschsprachigen Raumes wertvoll – in Europa und darüber hinaus. Mein Vorschlag ist deshalb, tv diskurs zu internationalisieren und der Weltöffentlichkeit die Artikel (oder zumindest eine Auswahl davon) auf Englisch und digital zur Verfügung zu stellen.
Das Ziel heißt: tv diskurs international!

Dieser Beitrag ist in der aktuellen tv diskurs 69, 3/2014 erschienen und steht auf der FSF-Seite zum Download zur Verfügung.
Das 20-jährige Bestehen der FSF wurde vielfach genutzt, um über die Arbeit der FSF zu berichten – auch diese Beiträge sowie einige Fotos und eine Pressedokumentation können im Veranstaltungsarchiv auf unserer Website eingesehen werden.

Über Wim Bekkers

Wim Bekkers studierte Politikwissenschaft und Massenkommunikation an der Universität von Nimwegen. Von 1978 an arbeitete er für die NOS, die niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunkorganisation, wo er die Leitung von drei Abteilungen übernahm, nämlich Medienforschung, Dokumentation & Bibliothek und Imagebildung. Außerdem hatte er von 1996 bis 1999 eine Teilzeitdozentur in der Abteilung für Kommunikationswissenschaft an der Universität von Nimwegen. Von 1998 bis 2000 war er stellvertretender Vorsitzender und dann Vorsitzender der EBU-Arbeitsgruppe "Group of European Audience Researchers". Im Januar 2000 verließ er die NOS, um als Direktor das NICAM – niederländisches Institut für die Klassifizierung von audiovisuellen Medien – aufzubauen und das Kijkwijzer- und PEGI-System zu entwickeln. Im Kontext seiner Aufgaben bei NOS und NICAM leitete er zahlreiche internationale Projekte.