„Der höchste Aussichtspunkt, auf dem ich je stand, war das Dach eines Silos!“

Fünf junge Amish tauschen die ländliche Gemeinde gegen die Stadt der Skyscraper.

Ab heute, den 10. April 2014, ist der Sender TLC aus dem Hause Discovery Networks Germany frei empfangbar. TLC richtet sich vornehmlich an weibliche Zuschauer und setzt nach dem Motto „Hier spielt das Leben“ mit Dokumentationen und Reportagen auf ein non-fiktionales Unterhaltungsprogramm. Im Zuge des offiziellen Senderstart zeigt TLC die 10-teilige Dokumentarserie Breaking Amish, die heute einmalig um 22.50 Uhr und ab kommendem Sonntag, den 13. April, immer um 22.00 Uhr ausgestrahlt wird.

Meine ersten Assoziationen zu den Amish People: eine bäuerlich lebende, reaktionär-religiöse Gemeinde oder gar eine radikale Sekte (?) und natürlich lange Bärte, weiße Häubchen, eigenwilliger Sprachduktus und letzter Einfall: Verkehrsunfälle werden vornehmlich durch unaufmerksame Kutscher verursacht.

Mit diesen Klischees wird auch in der Fernsehserie Breaking Amish gespielt.
Vier junge Amish und eine Mennonitin verlassen die traute Gemeinde, um in der Stadt „If you can make it there, you will make it anywhere“-New York die süßen und sündigen Früchte amerikanischer Großstadtkultur zu kosten und dem Ich durch neue Erfahrungen ein Stück näherzukommen. Unabdinglich sind dann selbstverständlich Lektionen im Umgang mit Konsum, Exzess, Sex und Glücksspiel, was zu dem ein oder anderen Kulturschock führt. Doch zuerst einmal zu den Hintergründen und Protagonisten.

Angelehnt ist das Format an das Ritual „Rumspringa“. In dieser Sturm-und-Drang-Phase genießen jugendliche Amish viele Freiheiten und können nach dieser Zeit entscheiden, ob sie als Erwachsene weiter in der Gemeinde leben und den asketischen Pfad des Glaubens gehen wollen. Sicherlich wird das „Rumspringa“ hier auf die Spitze getrieben und dient nur noch als Rahmenhandlung für die Erlebnisse im Big Apple.

Den Anfang macht Rebecca. Sie wuchs mit ihrer alleinerziehenden Mutter auf, was ihre Kindheit nicht gerade erleichterte. Himmel auf Erden wäre für sie, wenn ein Mann auch mal kocht, abwäscht und bügelt.

Der auch aus Pennsylvania stammende Abe sitzt mit seiner etwas dröge wirkenden Familie in einem durch zahlreiche Häkeldecken verzierten Wohnzimmer und erzählt starr: „Spaß im Leben hatte ich das letzte Mal vor zwei Jahren.“ Kate, die Tochter des Bischofs möchte Model werden, obwohl das Fotografieren und Hervorheben des Individuums ungern gesehen wird. Höchster Skyscraper auf dem der adoptierte Jeremiah je stand, war das Dach eines Silos für Futtermittel. Er würde sich gern in New York zum Taxifahrer ausbilden lassen. Die letzte im Bunde ist die Mennonitin Sabrina. Auch sie kennt ihre leiblichen Eltern nicht und begibt sich auf die Reise nach New York, um Nachforschungen über ihre Wurzeln anzustellen.

Die Amischen gehören einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft an und haben ihren Ursprung in den Reformationsbewegungen Mitteleuropas. Im Jahre 1693 spalteten sich die Amischen von der Gruppe der Mennoniten ab. Der Großteil der Amischen wanderte im 18. Jahrhundert nach Pennsylvania in Nordamerika aus, um dort den in großen Teilen Europas anhaltenden Verfolgungen zu entgehen. Zu den Glaubensansichten der Amischen und Mennoniten gehört auch die Überzeugung, nicht von dieser Welt zu sein. Deshalb wird sich klar von weltlichen Errungenschaften distanziert. In strengeren Gemeinden sind weder Autos, Fernsehen und Radio sowie die Anbindung an das Elektrizitätsnetz erlaubt. Ein Konflikt, der die Darsteller auf ihren Abenteuern begleiten wird: Wer die Amischen einmal verlässt, wird geächtet und darf nicht mehr zurückkehren.

Die z.T. bescheidenen, aber auch universellen Träume der jungen Amish – die allesamt auf ihre Art sympathisch wirken – heben das Format auf eine andere Ebene im Vergleich zu Realityformaten wie Jersey Shore und Co. Was die Serien vereint: Es wird gefeiert, sich auch mal gern betrunken und „rumgemacht“. Allerdings sind die fünf von Breaking Amish in der Lage, die Erlebnisse ins Verhältnis zu den moralischen Werten ihres Glaubens zu setzten. Auch mit anderen Themen wie Homosexualität, zu denen religiöse Gemeinschaften eine diffizile Haltung haben können, wird reflektiert umgegangen. Insgesamt geht es inhaltlich um mehr, was zu einer Prüfentscheidung der FSF für das Tagesprogramm ab 12 Jahren führte.

Dennoch zweifele ich an dem Echtheitscharakter der erzählten Geschichten, da der Kontrast der gezeigten Lebenswelten unvereinbar scheint und die Äußerungen der Protagonisten nicht gerade im Sinne der Amish People stehen. Bei der Recherche von weiteren Pressestimmen zeigt sich, dass der Eindruck nicht nur bei mir erweckt wurde.
Spannend und unterhaltsam ist Breaking Amish aber allemal und hat Suchtpotenzial.

Die FSF prüfte drei Folgen von Breaking Amish und gab sie für das Tagesprogramm ab 12 Jahren frei. Zur ausführlichen ProgrammInfo auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Stefanie Kummer

Stefanie Kummer ist Absolventin der DEKRA Hochschule Berlin. Sie wurde nicht, wie zu vermuten, als Kfz-Mechatronikerin ausgebildet, sondern im Bereich der Film- und Fernsehproduktion. Ihre Medienaffinität bewog sie dazu, während eines Praktikums bei der FSF zusätzlich Erfahrungen und Qualifikationen im Bereich Jugendmedienschutz zu sammeln. Neben dem Interesse an Medien interessierte sich Stefanie sehr für die Arbeit mit Kindern. Mittlerweile arbeitet sie im Bereich Medienpädagogik und kulturelle Bildung.