Die Auflösung aller Ordnung

Was du nicht verstehst, das sperr lieber weg, denn es könnte dich am Ende beißen …

David Haller (Dan Stevens) kennt nicht nur die superguten Tage, sondern auch jene, an denen es scheinbar nie aufhören wird zu regnen. Wenn man nun sein Leben als eine Straße beträchte, so wäre diese geprägt durch den willkürlichen Wechsel zwischen Autobahn und Kopfsteinpflaster. Aufgeplatzter Asphalt gibt frei, was der Untergrund nicht mehr zu halten vermag und Wurzeln suchen sich unbeirrbar ihren Weg zwischen den Rillen des Betons. Als junges Kind wird bei ihm Schizophrenie diagnostiziert – Halluzinationen und Stimmen sind ständige Begleiter und wenn seine Emotionen durch die Decke gehen, haben die Dinge um ihn herum eine Tendenz zu explodieren. Alles in allem nicht die besten Voraussetzungen für ein normales Leben. Gefangen in der Frage, was Realität und was Teil seiner Imagination ist, findet sich David letzten Endes in der geschlossenen Psychiatrie wieder. Ein Rhythmus aus Frühstück, Mittag, Abendessen, Therapie, Medikation und Schlaf geben ihm die Illusion einer Normalität, mit der er lernen kann umzugehen. Besser dieses Schicksal akzeptieren, als einen Kampf gegen Windmühlen zu führen.

Diese wattige Scheinwelt erfährt ihre Erschütterung mit der Ankunft einer neuen Patientin (Rachel Keller als Syd Barrett). Der Puls schlägt höher, die Farben werden bunter – David ist verzaubert. Von hier an allerdings überschlagen sich die Ereignisse und David findet sich schlussendlich in einer mehr als ungünstigen Position wieder, die ihn abermals daran zweifeln lassen, was real ist und was nicht.

Wie viel Macht gibt man der Ordnung der Dinge, was bedeutet es, das Vertrauen in sich selbst zu verlieren und die eigene Mündigkeit aberkannt zu bekommen? Der Motor der Ordnung ist Teil einer Kontrolle und Kontrollverlust führt zu Chaos und diesem entspringt Anarchie. Wer aber diese Instanz innehält, um das System zu beherrschen, der trägt Verantwortung der Agenda gegenüber. Ob diese als gut oder schlecht zu bewerten ist, liegt in der Betrachtungsweise.

Entwickelt von Noah Hawley, dessen Vita unter anderem die Serienadaption des Kultfilms Fargo der Coen Brothers beinhaltet, ist Legion die neueste Auskopplung aus dem Marvel-/X-Men-Universum. Wer hier bereits Altbekanntes wissend abnicken möchte, sollte dies noch einmal überdenken. Wohlwissend welche Dimension der X-Men-Kosmos momentan in unserer Medienwelt umfasst, und auf welche Art und Weise Charaktere ein-, aus- und zusammengeführt werden, ist der Ansatz hier nicht eine Fortsetzung dieser Konzepte, sondern ein neuer Weg, die Geschichte rund um Mutanten und deren gesellschaftlichen Kampf für Akzeptanz zu erzählen. Und so ist es nicht zwangsläufig die klassische Comicbuchstory eines Superhelden, sondern vielmehr eine Geschichte über Erinnerung, Identität und Wahrnehmung. Es geht um Figuren, denen eingeimpft wurde, etwas sei nicht mit ihnen in Ordnung. Was sie tun können sei schlecht – so müssen sie Wege finden, sich selbst neu zu definieren und zu erkennen: „Meine Schwäche ist meine Stärke“.

Legions Bildsprache erzählt eine Reise in den Geist eines Menschen. Es soll eine existentiellere Ebene greifen und erforschen, was es wirklich bedeutet, außergewöhnliche Fähigkeiten zu besitzen. Ein Flackern mit dem Augenlid und der Moment könnte vergangen sein. Habe ich gerade wirklich gesehen, was ich zu glauben denke? Oder war es doch nur eine Fata Morgana, eine Assoziation meines Unterbewusstseins, das aus Schatten Rauchzeichen macht? Wenn eine Flucht nicht möglich ist, hilft nur der Angriff mit den Hörnern voran. Hier fordert Legion die absolute Präsenz der Voyeure für die schrittweise Entfaltung eines Lebens in der Schwebe. Die Stärke der Serie zeigt sich auch in der Filmsprache, durch welche die Zuschauer vollkommen in die fantastische Realität Davids abtauchen und so selbst ein ums andere Mal an den Grundfesten von schlussendlich allem zweifeln.

Legion ist seit 9. Februar immer donnerstags um 21.00 Uhr auf Fox Channel zu sehen. Heute wird die zweite Episode ausgestrahlt. Wer den Start verpasst hat, wiederholt wird der Pilot am 4. März 2017 bei FOX.

FSF-ProgrammInfo: freigegeben ab …

Eingebettet in einen surrealen Look gibt sich die Serie angesichts der Coming-of-Age- und Superheldengeschichte ihrer Protagonisten sehr jugendaffin. Gezeigt werden in der ersten Episode überwiegend Szenen aus einer psychiatrischen Einrichtung, in der die verschiedenen Realitätsebenen des Helden verschwimmen. Ab 12-Jährige vermögen dies einzuordnen und eine distanziertere Rezeptionshaltung – auch aufgrund des Comic-/Mutantensettings – einzunehmen. Die Serie kann daher im Hauptabendprogramm platziert werden. Eine Freigabe für die Ausstrahlung im Tagesprogramm* kommt mit Blick auf das Wohl jüngerer Kinder unter 12 Jahren hinsichtlich des Verstörungs- bzw. Ängstigungspotenzials der Bilder von Gewalt im Showdown und von struktureller Gewalt, die der jugendliche Held in der Psychiatrie ausgesetzt ist, nicht in Frage.

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSFZur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

*Der Sender FOX darf die Serie auch schon vor 20.00 Uhr ausstrahlen, weil er als Pay-TV-Anbieter eine Jugendschutzsperre aktivieren kann, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Tabea Dunemann

Tabea studierte Theaterwissenschaft und Ethnologie an der Universität Leipzig. Dank wohlgesonnener Professoren konnte sie außerdem viele andere Disziplinen erkunden und war u.a. lange Zeit für das Studierendenradio mephisto 97.6 tätig. In ihrer Freizeit textet Tabea Dunemann gern für den fsf blog und war auch als Redakteurin für die tv diskurs tätig.