Ein Tarantino bis aufs Blut

Quentin Tarantinos Werk Django Unchained ist am 29. März 2015 auf ProSieben bereits um 20.15 Uhr in einer vom Sender bearbeiteten Fassung zu sehen.

“I like the way you die – boy”
(Django)

Candieland ist der Titel eines furchteinflößenden Anwesens in den amerikanischen Südstaaten Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Bürgerkrieg. Hinter den Mauern dieser Plantagenfarm ist Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) als Sklavin des ebenso dandyhaften wie blutrünstigen Mr. Candie (Leonardo DiCaprio) eingesperrt. Bewacht wird sie vom Hausdrachen Stephen (Samuel L. Jackson).

Candieland ist auch das Ziel des „Nigger out of Thousand“ – Django (Jamie Foxx). Gemeinsam wollten er und seine Frau Broomhilda als Sklaven eines herrschaftlichen Guts fliehen, wurden jedoch gefasst, als ‚Runaways‘ gebrandmarkt und getrennt auf dem Sklavenmarkt verhökert. Im Herzen ein wahrer Siegfried ist Django nun bereit, seine geliebte Frau zu befreien.

„Welches Ar****och hat dem Schei**n**ger diese Schei*waffe gegeben?“
 (angeschossener Sklaventreiber über Django)

Dr. King Schultz (Christoph Waltz) ist ein geübter Mann sowohl im Wort- als auch im Waffengefecht. Mit einem quietschenden Zahnarztwagen unterwegs durchstreift der intellektuelle Deutsche als Kopfgeldjäger das südliche Amerika. Er kauft den versklavten und ausgepeitschten Django und macht ihn zu seinem Partner. Die Vereinbarung steht: Django hilft Dr. Schultz ein halbes Jahr lang, die Little Brothers – Djangos ehemalige Sklaventreiber – und andere Ganoven zu erledigen, um das Kopfgeld einzutreiben. Zum Ende des Winters, nach der Schneeschmelze wird Django von Schultz die Freiheit erhalten. Ebenso verspricht Schultz sich an der Rettung Broomhildas aus den Fängen Candies zu beteiligen.

So viel Unterdrückung und unendlich viel aufgestaute Wut rufen unweigerlich einen Rachefeldzug sondergleichen hervor, der Tarantinos Logik nach nur in einem nicht enden wollendem, möglichst explosivem Blutbad seinen Abschluss finden darf. Eruptiv fliegen die Kugeln und schießen die Blutfontänen aus den Hälsen und Bäuchen der Sklaventreiber – Schüsse zerfetzen ihre Gliedmaßen. Licht umspielt und mit einem kontrastreichen Soundtrack, dieser reicht von Folk aus den 70-ern über italienische Balladen bis zum Gangsterrap, wird die Hinrichtung der Unterdrücker völlig überhöht zelebriert.

Im Gegensatz dazu ist deutlich das Leid der unterdrückten Sklaven gesetzt. Eine reduzierte Tonebene und der Fokus auf die Gepeinigten lassen den Schmerz in den  Vordergrund treten statt der Genugtuung. Auch hier ist nichts anderes als Gewalt erlebbar. Spaß empfinde ich bei diesem Anblick nicht, sondern Schmerz und Elend dringen tief ein, bis ins Mark. Das Wahrnehmen des Films ist somit kein schmaler Grad zwischen Lust an- und tiefster Abscheu von Gewalt, sondern ein ständiger Wechsel dieser intensiven Gefühle.

In diesem, seinem Stil erzählt Tarantino den wohl finstersten Part der amerikanischen Geschichte innerhalb der mit Anspielungen durchsetzten Genrerahmung eines Italowestern. Spike Lee kritisierte diese Art der Inszenierung deutlich –  ohne den Film je gesehen zu haben.

Zu Tarantinos Steckenpferd gehört die Entwicklung der Charaktere von Protagonisten und Antagonisten, so dass uns die Schauspieler von Beginn an komplett in ihren Bann ziehen. Dies zeugt von einer exzellenten Auswahl der Schauspieler. Der säuerlichen Boshaftigkeit Candies und Stephens wird ebenso viel Raum zum Ausspielen gegeben wie Djangos Unbezwingbarkeit und Schultz‘ tragende Wortgewandtheit. Die Herausbildung eines dichten Charakters beginnt bei Tarantino schon in der verweisträchtigen Namensgebung (Django, King, Broomhilda von Shaft).

 

FSF: freigegben ab ..?

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSF

Django Unchained lag der FSF in einer bearbeiteten Fassung zur Prüfung vor. Allzu drastische Gewaltszenen wurden gegenüber der Originalversion durch Kürzungen entschärft. Dennoch bleibt es ein gewalthaltiger Film im typischen Tarantino-Stil. Aber es wird eingeschätzt, dass ab 12-Jährige die Überspitzung der Gewalt und die Überhöhung der Figuren als solche bereits erkennen können, ebenso wie einige Genrezitate. Friedfertige Szenen, slapstickartige Dialoge und Naturaufnahmen bieten ausreichende Distanzmöglichkeiten. Der Film schafft als Teil des längst „überholten“ Genres Western und den damit verbundenen historischen Anleihen eine eigene Welt, in der Gesetzeshüter Gangster waren, Großgrundbesitzer Feudalherrscher und Farbige ohne Rechte. Diese Welt, die mit dem heutigen modernen Rechtsstaat nichts gemein hat, lässt sich nicht auf die Lebenswelt heutiger Jugendlichen übertragen. Deshalb erfährt die gezeigte Selbstjustiz eine andere Rechtfertigung als in der realen Welt. Die klare antirassistische Botschaft des Films bietet jugendlichen Zuschauern zusätzlich Orientierung. Somit wird die bearbeitete Fassung des Western Django Unchained für ein Publikum ab 12 Jahren verbunden mit einer Ausstrahlung im Hauptabendprogramm (20.00 – 22.00 Uhr) freigegeben.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Henrike Rau

Henrike Rau studierte Architektur an der Universität Kassel und danach Digitale Medienkultur und Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Neben Uniprojekten wie Sehsüchte, der Kinderfilmuni oder Kooperationen mit dem Filmmuseum Potsdam haben Praktika beim UFALab und bei der FSF ihre Ausbildung mit Praxis belebt.

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4 Kommentare zu “Ein Tarantino bis aufs Blut

  1. In Kenntnis anderer Filme von Tarantino wunderte ich mich schon, wie einer seiner Filme mit der Altersfreigabe ab 12 Jahre ab 20 Uhr ausgestrahlt werden konnte. Nun erfahre ich, dass die gewalttätigsten Szenen geschnitten wurden, um ihn um diese Uhrzeit ausstrahlen zu können. Was ich, zum Glück ohne meinen Sohn, gesehen habe, ist meiner Meinung nach immer noch unzumutbar für Kinder. Wenn zwei „Kampfnigger“ um ihr Leben kämpfen müssen und der Tod des einen hörbar wird durch das ein Knacken des Genicks, irritiert mich das als Vater eines 12-jährigen Sohnes. Mir fällt es tatsächlich schwer, mir vorzustellen, dass ein anderer Erwachsener, frei und unabhängig in seinem Urteil, zu der Einschätzung kommt, diese und die vielen anderen Gewaltszenen seien für Kinder geeignet. Ich weiß, jetzt werde ich unsachlich: Würde einer der Juroren sich diesen Filme zusammen mit den eigenen Kindern und deren Freunde anschauen wollen?
    Wenn es schon nicht möglich ist, das als Kriterium einfließen zu lassen, dann könnte man doch wenigsten ganz sachlich auflisten, welche Gewaltakte explizit in Bild und Ton zu gewärtigen sind. Stattdessen lese ich einen Satz, der in seiner verquasten Art die Gewaltdarstellung so relativiert, dass er wie eine indirekte Entschuldigung wirkt: „Aber es wird eingeschätzt, dass ab 12-Jährige die Überspitzung der Gewalt und die Überhöhung der Figuren als solche bereits erkennen können, ebenso wie einige Genrezitate. Friedfertige Szenen, slapstickartige Dialoge und Naturaufnahmen bieten ausreichende Distanzmöglichkeiten.“ Soll wohl heißen, Gewaltexzess darf ich nicht schreiben, Überspitzung, die Kinder als solche erkennen können, klingt besser. Und dann erwähnen Sie auch noch Naturaufnahmen als Distanzmöglichkeiten. Tolle Satire.

  2. Auch ich muss meine Bedenken zur Freigabe der vom Sender „bearbeiteten“ Fassung aussprechen. Und das als Fan des Films und Quentin Tarantino im allgemeinen. Django Unchained ist großartiges Kino, aber die FSK-Freigabe ab 16 Jahren ist mehr als berechtigt. Als der Film vor 2 Jahren im Kino lief gab es nicht wenige Stimmen, die aufgrund der gezeigten Gewalt eine Freigabe ab 18 erwartet hätten. Zwar wurde vom Sender einiges „entschärft“, es sind allerdings noch viele sehr blutige und gewalttätige Sequenzen enthalten. Als Beispiele seien übrig gebliebenes vom „Mandingo“-Kampf und den Schießereien gegen Ende (vor allem in Calvin Candies Anwesen inklusive Aufnahmen des Ausmaßes mit vielen blutigen Leichen) genannt. Meiner Einschätzung nach würde auch diese Schnittfassung von der FSK ab 16 freigegeben werden. Auch Ihre Argumentationen wie die „Überhöung der Gewalt“ oder der Realitätsferne des Genre erschließt sich mir beim gezeigten nicht. Selbst die zeitgleich gesendete Fassung im ORF1 wurde stellenweise stärker entschärft. In meinen Augen ist Django Unchained kein Film für die Primetime. Ich würde mir wünschen, das vor weiteren Austrahlungen die Entscheidung der FSF nochmals geprüft wird.

  3. Django Unchained lag der FSF in einer stark gekürzten Fassung vor. Mit 20 Schnitten hat der antragstellende Sender den Film um 3 Minuten und 37 Sekunden bei den visuellen Spitzen der zahlreichen Gewaltszenen gekürzt und entschärft. Durch die Schnitte wirkt die Gewalt zwar immer noch eindrucksvoll und in den Szenen, die den Rassismus illustrieren, auch emotional belastend. In diesen Szenen ist sie jedoch klar mit einer gewaltkritischen Botschaft verknüpft, was unter Jugendschutzaspekten positiv zu Buche schlägt. Das Entfernen besonders spektakulärer oder expliziter Bilder (so sind zum Beispiel der Genickbruch und das Zerfleischen eines entflohenen Sklaven durch Hunde „nur“ noch akustisch wahrzunehmen) wurde durch den Prüfausschuss als hinreichende Entschärfung des Ängstigungspotenzials mit Blick auf die Verarbeitungsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren bewertet.

    Neben einer möglichen Angst erzeugenden Wirkung auf die Jüngeren der Altersgruppe zwischen 12 und 16 Jahren beinhaltet der Film, der letztlich einer Rache-Dramaturgie folgt, jedoch auch das Wirkungsrisiko der sozialethischen Desorientierung bzw. der Gewaltbefürwortung bzw. -förderung, da der Zuschauer das Blutbad, das Django am Ende unter den Sklavenhaltern bzw. seinen und den Peinigern seiner Geliebten anrichtet, mit Genugtuung erleben und als gerechtfertigt empfinden wird.
    Diesbezüglich wurde vom Prüfausschuss als wirkungsrelativierend angeführt, dass die Gewaltinszenierung im Finale auch massiv geschnitten und hinsichtlich einer lustvollen und ästhetisierenden Inszenierung von Gewalt „bereinigt“ wurde. Darüber hinaus sei der Film als Western und in der Art seiner Inszenierung so fern der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen hierzulande angesiedelt, dass keine Gefahr einer Übertragung des dargestellten Umgangs mit Gewalt bestünde.

    Diese Jugendschutzbewertung soll in Kürze auf einer Prüferfortbildung zur Diskussion gestellt werden, da Django Unchained in der Schnittfassung sowohl im Hinblick auf das Ängstigungs- als auch im Hinblick auf das Gewalt befürwortende Potenzial des Films einen Grenzfall für die Primetime darstellt. Ich kann Ihre Einschätzungen insofern nachvollziehen, als Gewalt als stilbildendes Element in den Tarantino-Filmen für 12-Jährige noch nicht umfassend zu dekodieren sein dürfte. Die FSF prüft allerdings auch nicht, ob Filme geeignet für eine bestimmte Altersgruppe sind (Django Unchained ist ganz sicher nicht geeignet für 12-Jährige, daher würde ich ihn auch noch nicht mit meinen Kindern gucken), sondern ob das Risiko einer Beeinträchtigung der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit besteht.

  4. Vielen dank für Ihre Stellungnahme. Aber wenn die FSF nicht prüft, ob ein Film für eine bestimmte Altergruppe geeignet ist, warum wird dann eine Altersfreigabe vergeben? Ich begrüße Ihre Einstellung, das es sich bei Django Unchained um einen Grenzfall für die Primetime handelt und die Sender-Schnittfassung in der Diskusion bleibt. Allerdings sind einige Anmerkungen in Ihrem Kommentar nicht richtig. Meines Wissens nach wurde der Film vom Sender an 21 Stellen um rund 4 Mintuen geschnitten, der von Ihnen erwähnte Genickbruch ist eigentlich ein Armbruch und das verbliebene „Geräusch“ für die Primetime weiterhin grenzwertig. In der „Hundeszene“, die von Tarantino ohnehin nicht über den Maßen bebildert wurde, wurde vom Sender nur ein Schnitt vorgenommen, das blutigste Bild dieser Sequenz allerdings, in der die Hunde am Kadaver des Opfers zerren, blieb unangetastet. Und auch wenn viele Szenen von Django’s Rache „entschärft“ wurden, es sind weiterhin einfach zu viele Details in der Schnittfassung verblieben, die für eine Primetime-Ausstrahlung nicht mit dem Jugendschutz übereinstimmen. So ist das Blutbad auf „Candieland“ zwar drastisch verkürzt worden, dennoch ist das Außmaß in der TV -Version deutlich zu sehen (blutige Erschießungen, viele blutige Leichen). Grenzwertig empfinde ich auch den unangetastet gebliebenen sexuellen Unterton nach der abgebrochenen „Kastration“ und abfällige, abschreckende Bemerkungen über „das Eier abschneiden“ seitens des Haussklaven Stephen sowie den im Finale weiterhin zynisch ausgespielten Schuss in den Genitalbereich eines Widersachers. Um es kurz zu machen: die gezeigte Fassung von Django Unchained war immer noch viel blutiger und härter als so mancher FSK:16 Film in Ungeschnitter Fassung, so z.B. „Todeszug nach Yuma“. Dieser genau wie Django Unchained dem Westergenre zugehörige Spielfilm wurde von der FSK ebenfalls ab 16 Jahren freigeben. Der entschärften Primetime-Fassung dieses Films fehlen ironischerweise mehr als 5 Minuten. Es ist diese Wilkür der Zensuren, die Entscheidungen der FSF fragwürdig erscheinen lassen. Wieso werden eigentlich schon vom jeweiligen Sender bearbeitete Fassungen zur Prüfung vorgelegt? Wäre es nicht sinnvoller, einheitlicher und glaubwürdiger wenn die unbearbeitete Version einer Sendung/ eines Films zur Prüfung eingereicht wird (ähnlich wie bei nicht FSK geprüften Titeln) und für eine beantragte Sendezeit/ Freigabe verbindliche Schnittauflagen seitens der FSF gemacht würden?
    Das der Erfolg und die Bekanntheit von Django Unchained zu einer Ausstrahlung im Hauptabenprogramm führen würden war abzusehen. Dennoch hätten weit aus mehr Zensurtechnische Eingriffe nötig sein müssen um so ein Vorhaben unter Berücksichtigung des Jugenschutzes zu legitimieren. Mal ganz davon abgesehen schadet jede Form der Kürzung/Zenzur den Sehgenuss dieses Cineastischen Meisterwerks, das klar für ein erwachsenes Publikum ausgelegt ist. Unter diesem Aspekt sollten vielleicht einfach die entsprechenden Sendezeiten eingehalten werden.