„Sweet Sweet Baby“

Vor vielen Jahren waren es die Chippendales, die ganze Kleinstädte mit ihren Tourneen in helle Aufruhr versetzen konnten. Frauen, die zu „women only“-Veranstaltungen in den Stadthallen pilgerten, den Piccolo Sekt im Anschlag und mit überdrehter Stimmung ihren Mädelsabend und sich selbst feierten. Weibliche Sexualität wurde bekanntermaßen vor einiger Zeit noch deutlich anders medial behandelt als es heute der Fall ist. Auf dieses 3D-live-Erlebnis der Chippendales folgte die cinematografische Umsetzung: der äußerst erfolgreiche Kinofilm Magic Mike. Eine Geschichte über einen männlichen Stripper, der mit der weiblichen Erregung viel Geld macht und sich natürlich auch in den Wirrungen dieser bezahlten „world of pleasure“ verstrickte. Und zu guter Letzt fand mit 50 Shades of Grey auch ein kokettierender Sexualroman seinen Weg auf die Bestsellerliste, in die Schlafzimmer und schlussendlich auf die Leinwand. Worum geht es? Leichte Unterhaltung, die öffentlich aus der „Schmuddelecke“ geholt und salonfähig wurde und damit verstärkt ein Frauenpublikum anspricht, bei dem es rein um die weibliche Lust und Unterhaltung geht – denn abgesehen von Sex and the City waren diese Formate nach wie vor rare Pflanzen auf dem Unterhaltungsmarkt für Frauen.

Die zweite Eigenproduktion namens Milk & Honey von VOX nach Club der roten Bänder befasst sich mit dem Thema Escort. Und wer hier automatisch an junge Frauen denkt, die sich gegen Geld mit Männern verabreden und Dienstleistungen zwischen Dinnerbegleitung und Sex anbieten, der sei eines besseren belehrt. So ist es die Frau, die in der idyllischen Provinz Brandenburgs die Bezahldienste hübscher junger Männer in Anspruch nimmt, denn wie wir lernen, gibt es viele schöne junge alleinstehende Frauen Anfang 30 in Brandenburg, die der sexuellen Unterforderung entkommen wollen.

Johnny (Artjom Gilz), ein junger Mann, der den sexy-skeptischen Blick und Schmollmund gepachtet zu haben scheint, kehrt nach glücklosen Business-Versuchen in China wieder in sein Heimatdorf in Brandenburg zurück und sieht sich der Aufgaben gegenüber, seine jüngere Schwester Charlie (Marlene Tanczik) vor dem Jugendamt „zu retten“ und die geerbte elterliche Imkerei aufrechtzuerhalten. Das Geschäft mit den Bienen lief schon Jahre nicht mehr, der Vater ist mittlerweile verstorben und nur noch Arian (Nik Xhelilaj), der letzte verbleibende Mitarbeiter, versucht, die Produktion am Leben zu erhalten. Als Johnny kurz nach seiner Rückkehr herausfindet, dass Arian sich als männliches Escort etwas dazuverdient, ist er zunächst entrüstet und enttäuscht, steigt jedoch später selbst in das Geschäft ein – wie auch seine Jugendfreunde Michi (Nils Dörgeloh) und Kobi (Deniz Arora). Der Ausweg aus den finanziellen Nöten scheint mit diesen Dienstleistungen der besonderen Art gezeichnet und alle Probleme gelöst zu sein.

Doch auch, wenn die Optik der Serie recht weichgezeichnet ist und alles warm und gemütlich wirkt, so nimmt die Thematik mit fortlaufender Handlung an Ernsthaftigkeit zu. Die einzelnen Charaktere müssen sich außerdem mit zentralen Themen wie ländlicher Armut, Familie, Tradition und Zukunftsängsten auseinandersetzen. Was heißt es, zu scheitern oder eben nicht den Wünschen der Eltern entsprechen zu können? Auch die Grätsche zwischen Heimatverbundenheit und dem Drang des „Hochhinauswollens“ spielt für einige Charaktere eine wichtige Rolle im Handlungsverlauf.

Mit Milk & Honey hat VOX die Idee des erfolgreichen israelischen Formats Johnny VeAbirey Hagalil (dt.: Johnny und die Ritter von Galiläa) aufgegriffen, einer 13-teiligen Serie von 2015, die unter anderem auch auf Channel 4 in Großbritannien lief und dort Namensvetter der deutschen Version ist.

Milk & Money – die zweite Eigenproduktion von VOX startet heute um 21.15 Uhr.

 

FSF ab 12 Jahren Tagesprogramm © FSF

FSF: freigegeben ab ..?

Im Mittelpunkt der Dramedy stehen vier Freunde, die mehr oder weniger unfreiwillig in das Geschäftsmodell des Escort-Services rutschen. Die von überwiegend Erwachsenenproblemen handelnde dialogorientierte Serie ist von heller und heiterer Atmosphäre geprägt. Szenen des Marihuana-Konsums sind kurz und nicht vorbildhaft inszeniert und entfalten ob der geringen Kind- und Jugendaffinität der handelnden Figuren keine negative Wirkmacht. Problematisiert wurde, dass für Sex Geld fließt. Eine Tendenz der Verharmlosung von Prostitution wurde nicht gesehen, denn der menschelnde Beziehungsrahmen wird stärker gewichtet. Dieser schafft auch breiten Raum für moralische Fragestellungen. Der abgebildete Sex findet immer im Einvernehmen statt und wird eindeutig als unproblematisch bewertet, auch weil er teils komödiantisch überzogen oder absurd gebrochen wirkt. Jüngere Kinder werden daraus keine Rückschlüsse auf die eigene sexuelle Entwicklung ziehen. Die Alltagsferne zur Lebenswelt von Kindern und die Abwesenheit von besonders kindaffinen Identifikationsfiguren schaffen ausreichend Distanzierungsmöglichkeiten. Insgesamt überwiegt der romantische bis biedere Rahmen mit deutlich komödiantischen Anteilen, sodass keine Beeinträchtigungen für Kinder unter 12 Jahren angenommen werden.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.

Über Tabea Dunemann

Tabea studierte Theaterwissenschaft und Ethnologie an der Universität Leipzig. Dank wohlgesonnener Professoren konnte sie außerdem viele andere Disziplinen erkunden und war u.a. lange Zeit für das Studierendenradio mephisto 97.6 tätig. In ihrer Freizeit textet Tabea Dunemann gern für den fsf blog und war auch als Redakteurin für die tv diskurs tätig.