„Wer den Ginseng kontrolliert, kontrolliert die Berge“

Die Gesetzlosen der Appalachen sind im Wurzelrausch

Der Sender History zeigt ab 14. August 2014, um 21.05 Uhr, die neue US-amerikanische Dokuserie Appalachian Outlaws – Im Ginsengrausch in deutscher Erstausstrahlung.

Die Sendung begleitet eine Gruppe von Ginsengsammlern bei ihrem harten Kampf um die besten Wurzeln, in dem auch Tugenden wie Freundschaft, Vertrauen und Loyalität auf eine harte Probe gestellt werden. Ich habe mir die ersten drei Folgen angeschaut und sehe meinen morgendlichen Ginsengtee nun mit anderen Augen.

In den tiefen, grünen Wäldern der Appalachen, einer Bergregion im Osten Nordamerikas, wächst eine jahrtausendalte Heilpflanze, die vor allem in der chinesischen und koreanischen Medizin eine große Verwendung findet. Es ist die Ginsengwurzel. Zu ihren ehrenhaften Wirkungen zählen die Stärkung des Immunsystems und die Verbesserung der Gedächtnisleistung sowie des Lernvermögens.

Leider sind die Männer, die in der sehr kurzen Erntesaison von zwei Monaten in einen wahrhaften Ginsengrausch verfallen, weniger ehrbar. Was auch an der großen Konkurrenz unter den Sammlern liegt und an den schwindelerregenden Summen, die auf den asiatischen Märkten für Ginseng aufgerufen werden. Gern würde ich den Sammlern auch einmal empfehlen, zur Verbesserung der Denkfähigkeit am Wurzelholz zu knabbern, obwohl dann wahrscheinlich die Situationskomik einiger Szenen nicht zustande gekommen wäre.

Zu Beginn der Handlung wird Greg Shook vorgestellt. Greg sammelt hauptberuflich Ginseng und ernährt damit seine Familie. Durch den Wettbewerb wird er für die Suche auf privates Gelände getrieben. Greg, ein äußerst sympathischer, kauziger Kerl erinnert mit seinem Rauschebart, zerschlissener Tarnkleidung und Schlapphut aber auch ein wenig an einen Waldschrat. Nachdem er eine Weile mit dem Kamerateam durch das Unterholz robbt und den halben Boden umgräbt, kommt es natürlich wie es kommen musste, der Förster fährt vor. Es beginnt eine Verfolgungsjagd ohne Verfolger mit verwackelten Kamerabildern und spannungssteigernder Musik. Immerhin bedeutet illegales Sammeln von Ginseng 5000 Dollar Strafe und sechs Monate Gefängnis.

Einen mehr als profitablen Gewinn, ohne Trauerflor unter den Nägeln, erzielen die Ginsenghändler. Zu ihnen zählt auch Tony Coffman. Die Vormachtstellung von Coffman Metal´s in West Virginia wird durch Corby „General“ Patton bedroht. Der zahnlose ältere Herr operiert – mit wehendem Fuchsschwanz, hawaiianischer Schönheit auf der Vorderablage sowie Messer und Schrotflinte auf dem Beifahrersitz – mobil aus dem Truck heraus. Er fährt direkt zu den Ginsengsammlern und zahlt besser als die Coffmans, was sich zum Konflikt entwickeln wird.
Generell sind Waffen und das Thema „Selbstverteidigung“ in der Lebenswelt der Protagonisten sehr präsent. Um die eigenen Grundstücksgrenzen zu schützen, wird patrouilliert, es werden Fallen gebaut und wenn nötig geschossen.

Das humorigste Duo unter den Ginsengsammlern sind Ron McMillion – welch erfolgversprechender Nachname – und Obie Bennett. In Dumm und Dümmer-Manier sind sie zumindest in der ersten Episode die Verlierer unter den Ginsengsuchenden. Nachdem das Abendmahl, ein hoffentlich wohlschmeckender Opossumbraten, im Topf vor sich hin köcheln kann, begeben sie sich auf ein Privatgelände, das eine Vielzahl an Wurzeln verspricht. In ihrer Ginsengglückseligkeit stellen sie erst nach einer Weile fest, dass sie sich inmitten einer illegalen Hanfplantage befinden. Bedauerlicherweise ist es dann zur Flucht schon zu spät und es beginnt erneut eine Hatz, dieses Mal mit bewaffneten Verfolgern. Verwackelte Handkamerabilder à la Blair Witch Project stellen in den Episoden ein wiederkehrendes Mittel dar, welches immer dann eingesetzt wird, wenn vermeintlich Gefahr droht. Die Spannung löst sich dann aber im Nichts auf, und ich fragte mich des Öfteren, wem genau die Sprinteinlage jetzt galt.

Resümierend ist Appalachian Outlaws eine spannende und unterhaltsame Dokuserie, die wahrscheinlich bevorzugt unter Männern eine große Anhängerschaft finden wird. Sie lebt von den skurrilen Charakteren. Den Männern, die sich selber als Hillbilly bezeichnen und meist als Landarbeiter aus ärmlichen Verhältnissen stammen, gönnt man jeden Erfolg. Es scheint, dass einige Szenen inszeniert sind und somit die Brisanz der Handlung ein wenig gesteigert werden soll. Fans der Serien Swamp People oder Goldrausch in Alaska werden definitiv auf ihre Kosten kommen.

Appalachian Outlaws ist für Zuschauer ab 12 Jahren geeignet. Die Sendung bietet inhaltlich kaum Anknüpfungspunkte für Kinder. Im Prüfausschuss wurden die möglichen Wirkungen der gezeigten Gewalthandlungen und des Waffeneinsatzes diskutiert. Die Prüferinnen und Prüfer kamen zu dem Ergebnis, dass die gezeigten Gewaltbilder aufgrund ihrer Kürze und der nicht vorbildhaft inszenierten Weise keinen nachhaltigen Effekt auf ab 12-Jährige haben.

Die FSF hat sechs Episoden des Realityformats geprüft und unterschiedlich bewertet. So wurden Freigaben für Zuschauer ab 12 Jahren in Verbindung mit einer Ausstrahlung im Tagesprogramm und die Freigaben für Zuschauer ab 12 Jahren mit der Ausstrahlung im Hauptabendprogramm (20.00 – 22.00 Uhr) vergeben. Zur ausführlichen ProgrammInfo der Dokumentation Appalachian Outlaws – Im Ginsengrausch auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Für Anbieter, die ein Jugendschutzsignal vorschalten können (z.B. Sky, bio, History u.a.), gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Als Alternative zu der Vergabe von Sendezeitbeschränkungen ist es den digital verbreitenden, privaten Anbietern möglich, von den üblichen Sendezeitbeschränkungen abzuweichen, wenn sie über eine digitale Vorsperre verfügen (vgl. § 9 Abs. 2 JMStV/Konkretisierung durch Jugendschutzsatzung (JSS)); ansonsten würde der Nutzervorteil des digitalen Fernsehens, Abruf nach individuell gewünschter Zeit, wesentlich beschränkt. Gemäß § 2 Abs. 1 JSS muss sichergestellt sein, dass das Angebot verschlüsselt oder vorgesperrt ist und eine Freischaltung nur für die Dauer der Sendung möglich ist.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Stefanie Kummer

Stefanie Kummer ist Absolventin der DEKRA Hochschule Berlin. Sie wurde nicht, wie zu vermuten, als Kfz-Mechatronikerin ausgebildet, sondern im Bereich der Film- und Fernsehproduktion. Ihre Medienaffinität bewog sie dazu, während eines Praktikums bei der FSF zusätzlich Erfahrungen und Qualifikationen im Bereich Jugendmedienschutz zu sammeln. Neben dem Interesse an Medien interessierte sich Stefanie sehr für die Arbeit mit Kindern. Mittlerweile arbeitet sie im Bereich Medienpädagogik und kulturelle Bildung.

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1 Kommentar zu “„Wer den Ginseng kontrolliert, kontrolliert die Berge“

  1. Es wird hierzulande viel zu sehr unterschätzt, welche Arbeit hinter den Produkten steckt, die wir wie selbstverständlich „verbrauchen“.
    Ein wirklich schön geschriebener Artikel der dazu aufklärt.
    Danke dafür.

    LG
    Daniela