Fundstücke

Sosehr ich die neuen US-amerikanischen Serien liebe, so ist es dennoch augenfällig, dass Frauen darin ausgesprochen unterrepräsentiert sind. Eines der Bücher über das Phänomen heißt nicht umsonst Difficult Men: Behind the Scenes of a Creative Revolution: From The Sopranos and The Wire to Mad Men and Breaking Bad (Autor: Brett Martin). Phillip Maciak fragte sich in der Besprechung dieses und eines weiteren Buches in der Los Angeles Review of Books, was wohl passiert wäre, wenn es damals nicht The Sopranos (1999), sondern eine Serie mit einer weiblichen Hauptfigur geworden wäre, die diese Entwicklung losgetreten hätte. Das ist natürlich eigentlich müßig. Und die Autoren könnten auch nichts dafür, dass diese Revolution vorrangig eine männliche war, schreibt Maciak. Dennoch. Er kritisiert auch, dass sich weder Brett Martin noch Alan Sepinwall, der Autor von The Revolution Was Televised: The Cops, Crooks, Slingers, and Slayers Who Changed TV Drama Forever, mit dieser Frage auseinandersetzen. Sie würden Kanonbildung betreiben, in der bestimmte Serien ein und andere ausgeschlossen würden. Er impliziert damit, dass die wenigen Frauen, die es gab, nun auch noch zusätzlich aus dem Kanon herausfallen würden.
Ein ähnliches Hühnchen hatte auch Emily Nussbaum, Kolumnistin des New Yorker, mit Martin zu rupfen. Ihr fehlte die Würdigung einer Serie, die ihrer Meinung nach inzwischen in Misskredit geraten wäre, jedoch eine ebenso entscheidende Rolle in der Anfangszeit von HBO gespielt hätte: Sex and the City (1998). Brett Martin würde das zwar anerkennen, schreibt Nussbaum, doch sei in seiner Diskussion der Serie deutliche Herablassung spürbar, die die Bedeutung von Sex and the City absichtlich schmälern würde.

The White Queen, The Red Queen and The Kingmaker’s Daughter

Soweit die USA. Doch ich habe in letzter Zeit einige Serien gesehen, die in dieser Hinsicht ganz anders waren und für deren Produktionsstätte man nicht so weit reisen muss. Ein Beispiel: Durch die Gänge einer Burg schreiten drei entschlossene Ritter aufeinander zu. Man meint, jeden Moment erhebe sich ein Schwert. An der Kreuzung der Gänge angekommen, fangen sie an, ihre Rüstungen abzulegen, ein Stück nach dem anderen landet auf dem Boden. Darunter kommen drei Frauengestalten hervor: The White Queen, The Red Queen and The Kingmaker’s Daughter. So nämlich die Titel der drei Romane, auf denen die BBC-Serie The White Queen (2013) basiert. Sie spielt zur Zeit der Rosenkriege im England des 15. Jahrhunderts. Und auch wenn es natürlich die Männer in der Serie sind, die in den Krieg ziehen und in der Politik an vorderster Front stehen, so erzählt sie trotzdem die Geschichte der Frauen. Sie sind nicht einfach platitüdenhafte Gattinnen hinter Gatten, auch wenn sie sich dieser oft bedienen müssen. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele auf ihre eigene Weise.
Es wird deutlich, wie stark sie die Geschichte beeinflusst haben. Und wie sie doch in dieser Welt gelitten haben, in denen ihnen Selbstbestimmung größtenteils versagt blieb und sie oft wie Schachfiguren im Spiel anderer umher geschoben wurden.

Starke weibliche Figuren im Zentrum der Handlung

The White Queen ist jedoch nicht die einzige Serie in einem historischen Umfeld, welches eigentlich Männer bevorzugen müsste und es doch schafft, starke weibliche Figuren ins Zentrum der Handlung zu stellen. So ist in The Hour (2011) Bel Rowley (Romola Garai) die Produzentin eines neuen politischen Sendeformats der BBC der 1950er-Jahre. Wie sich später herausstellt, wurde die junge Frau eingesetzt, weil ‚Mann‘ dachte, sie besser kontrollieren zu können. Anspielungen darauf, dass sie als Mutter am Herd besser aufgehoben wäre, lassen nicht lange auf sich warten. Doch sie widersetzt sich dem Druck des Senders und der Abgesandten diverser Politiker, die sich von der Berichterstattung bedroht fühlen – mit Würde. Sie hält die Show am Laufen, auch als diese zunächst zu scheitern droht.
Die Serie weist zwar leider einige ‚Kriegen-sie-sich-kriegen-sie-sich-nicht‘-Stränge auf, diese laufen aber wenigstens den Sehgewohnheiten zuwider. Als Bel eine Affaire mit dem attraktiven und natürlich verheirateten Moderator Hector Madden (Dominic West) beginnt, gesteht dieser ihr einige Zeit später aufgeregt seine Liebe. Zuschauerherz, was willst du mehr. Bel jedoch guckt ihn unbeeindruckt an und antwortet: „Ist das das alles, was Dir einfällt?“ Worauf er entgeistert murmelt: „Im Moment schon“. Auf ihre Nachfrage, was genau das eigentlich bedeuten soll, meint er, dass es wohl recht selbsterklärend sei. Das ist es für sie jedoch ganz und gar nicht. Denn was soll das sein? Ein Antrag? Ein Angebot, die Affaire fortzusetzen? Sie macht ihm klar, dass sie keine Beziehung will, die den Konventionen entspricht und sie einschränken würde. Doch eine Alternative gibt es in dieser Zeit nicht und so gibt es hier kein Happy End.
Und dann ist da noch die beste Auslandsberichterstatterin der Show – Lix Storm, gespielt von der wunderbaren Anna Chancellor. Sie ist eine fast noch spannendere Figur. Eine unverwüstliche ehemalige Kriegsberichterstatterin mit tragischer Vorgeschichte, die ständig ein Glas Whiskey in der Hand zu haben scheint und von der man viel zu wenig sieht. Eindeutig Spin-off-Material.

Die Krimiserie Luther (2010) hat wiederum etwas äußerst seltenes hervorgebracht: eine sympathische Psychokillerin in Gestalt von Alice Morgan, bestechend dargestellt von Ruth Wilson. Eine weitere phänomenale Frauengestalt, die zwar „nur“ eine Nebenrolle ist, aber dennoch Erwähnung finden sollte. Diese Figur ist im Wortsinne „die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Sie vertieft den moralischen Zwiespalt, in den die Serie den Zuschauer stößt, um ein Vielfaches. Denn das Spiel zwischen Idris Elba (DCI John Luther) und Ruth Wilson ist ein derartiger Genuss, dass man mitunter völlig vergisst, dass sie eine Serienkillerin ist und er ein Cop, der jedwede Grenzen überschritten hat.

„Man fucks woman. Subject ‚man‘, verb ‚fucks‘, object ‚woman‘. That’s ok. Woman fucks man, ‚woman‘ subject, ‚man‘ object. That’s not so comfortable for you, is it?”

Doch die Krönung all dieser Frauenfiguren ist eindeutig Gillian Andersons Stella Gibson in The Fall (2013). Wie hieß es im Original bei Stieg Larsson so schön: Männer, die Frauen hassen. So ähnlich könnte auch der Untertitel dieser Krimiserie lauten. Über eine enigmatische Polizistin, die einen Fall in Belfast prüft, dessen Ermittlungen in eine Sackgasse geraten sind. Sie tut das als Außenseiterin in jeder Hinsicht: als weibliche Polizistin, als weibliche Polizistin von hohem Rang, als jemand, der auf fremden Terrain arbeitet, sowohl im Hinblick auf das Revier als auch auf die Stadt. Fallstricke wohin man schaut. Kaum angekommen, verlebt sie eine Nacht mit einem jungen Polizisten. Geredet wird nicht viel. Er wird kurze Zeit später vor seinem Haus erschossen. Die Figuren und die Fälle haben sonst nichts miteinander zu tun. Dennoch setzt sie ihre Vorgesetzten über die Nacht in Kenntnis, um Missverständnisse bei den Ermittlungen zu seinem Tod zu vermeiden. Die beiden Männer mittleren Alters reagieren entsetzt. Der eine fordert von ihr mehr Betroffenheit für jemanden, den sie nicht kannte. Der andere hat ein Problem mit dem One-Night-Stand. Die Quintessenz der Serie findet sich in einem kurzen Monolog, den Anderson daraufhin abliefert: „Man fucks woman. Subject ‚man‘, verb ‚fucks‘, object ‚woman‘. That’s ok. Woman fucks man, ‚woman‘ subject, ‚man‘ object. That’s not so comfortable for you, is it?” Kurze Zeit später übernimmt sie die Ermittlungen des stagnierenden Falles: gegen einen Serienmörder, der erfolgreiche Frauen umbringt und sie zu seinem Vergnügen arrangiert. Na sieh‘ einer an.

Die Briten sind allerdings nicht die einzigen, die es schaffen, Qualität mit ‚Frauengeschichten‘ zu produzieren. An vorderster Front sind auch die Skandinavier zu finden. Deren Serien werden dann vom US-TV aufgewärmt. Und dann verirrt sich eine Figur wie Sarah Lund (dän. Original, dt. Titel: Kommissarin Lund – Das Verbrechen) aus The Killing (2011) ins US-amerikanische Fernsehen – als Sarah Linden. Eine Polizistin mit Defekten, die bisher nur ihren männlichen Kollegen vorbehalten waren: Obsession, Einzelgängertum, Verschrobenheit, Beziehungsunfähigkeit, Hang zur Selbstzerstörung gepaart mit ungewöhnlichem Ermittlertalent. So sehr das US-Fernsehen eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer Serienformate eingenommen hat, so sehr braucht es bei der Entwicklung neuer Frauenfiguren offenbar noch Nachhilfe.

Die historische Dramaserie The White Queen ist ab dem 20. Januar montags bis freitags, 19.00 Uhr, auf Sky Atlantic HD zu sehen.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.

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1 Kommentar zu “Fundstücke

  1. Hallo,

    interessanter Artikel. Ich möchte noch zu den genannten europäischen Serien ergänzen, dass es auch in vielen Animeserien (aus Japan) starke Frauenrollen gibt.
    Nur als Beispiel:
    Guardian of the Spirit
    Die Serie handelt von der Speerkämpferin und Leibwächterin Balsa, die beauftragt wird den Prinzen Chagum zu beschützen. Teilweise werden die Rollenklischees auch mal umgedreht. Tanda, ein Freund von Balsa, sagt an einer Stelle, er fühle sich wie die Ehefrau eines Soldaten.

    Michiko und Hatchin
    Ein Roadmovie vor brasilianischer Kulisse. Michiko bricht aus dem Gefängnis aus und „entführt“ die 12jährige Hatchin aus ihrer Pflegefamilie und begibt sich mit ihr auf die lange Suche nach Hatchins Vater.

    Noir
    Hauptcharaktere sind hier die zwei Auftragskillerinnen Mirelle und Kirika, die als Noir Aufträge ausführen und auf der Suche nach dem Geheimnis der Orginasation „Les Soldats“ sind.

    Kino’s Journey
    Eine recht philosophische Serie über die (anfangs)12 Jährige Kino, die mit ihrem Motorrad Hermes und einem Revolver im Gepäck durch die Welt reist und immer genau drei Tage in einem Land bleibt.

    Das waren jetzt nur vier Beispiele, wenn man wollte, könnte man die Liste auch noch fortsetzen. Serien, die überwiegend oder ausschließlich männliche Hauptfiguren haben gibt es aber auch noch.