Licht und Schatten

Die preisgekrönte US-Serie Mad Men ist ein Meisterstück der Ambivalenz.

Mad Men porträtiert die US-Werbewelt der 60er Jahre anhand der fiktiven Agentur Sterling Cooper.
Eine Zeit, in der die Wirtschaft vor Kapital und Kraft nur so strotzte, Männer die Welt regierten, den ganzen Tag Whiskey tranken und Zigaretten rauchten und trotzdem so aussahen, als würden sie ewig leben. Und eine Zeit, die noch nicht wusste, dass sie kurz vor der Implosion stand. Die Geschichten entspinnen sich um den charismatischen Don Draper (gespielt von Jon Hamm), seine Kollegen und sein Privatleben. Das „Mad“ in Mad Men steht dabei als Abkürzung für die Madison Avenue, auf der im New York der 60er Jahre viele Werbeagenturen residierten. Die Serie gibt jedoch in jeder Folge Anlass zu der Vermutung, dass es sich dabei doch um das Adjektiv „mad“ handeln könnte, dass übersetzt verrückt bedeutet.

Don Draper, dessen wunderschön alliterierender Name nur Fassade ist, ist eine Erfindung seiner selbst und gefangen in einer selbst auferlegten Schizophrenie. Er ist einerseits schöne Fantasie und gleichermaßen Alptraum. Don Draper führt ein Doppelleben, dass die Serie meisterhaft in Szene setzt. Er hat eine Künstlergeliebte, die er mitten am Tag besucht, er kommt und geht wann es ihm passt und ist schier unwiderstehlich. Bis er abends nach Hause kommt, in einen Vorort von New York, zu seiner Frau Betty, gespielt von January Jones, und den schon schlafenden Kindern und plötzlich unglaublich abgekämpft aussieht. Don Draper ist ein Symbol für die ganze Werbewelt, die nach außen verführerisch glitzert und doch ständig am Rande des Abgrunds tanzt – und womöglich für das ganze Amerika der damaligen Zeit, dem in den 60ern gravierende Veränderungen bevorstanden. Die Spannung der Serie bezieht sich oft aus diesem Spiel mit dem Feuer, daraus, wie der Hauptheld sich selbst und die Firma immer wieder vom Rand dieses Abgrunds zurückholt. Und dennoch ist Don Draper auch in seinen düstersten Momenten eine der charismatischsten Figuren, die das US-Fernsehen je geschaffen hat. Er ist ein wandelndes Werbeplakat seiner selbst. Männer wollen so sein wie er, Frauen wollen ihn. John Hamm spielt diese Figur mit einer Intensität, die seinesgleichen sucht und die ihm 2008 einen Golden Globe und in fast allen darauf folgenden Jahren Nominierungen eingebracht hat.

Das gilt auch für den Rest der Hauptfiguren und ihre Darsteller. Der gesamte Cast von Mad Men wurde zweimal für Outstanding Performance by an Ensemble in a Drama Series (Herausragende schauspielerische Leistungen eines Ensembles) mit dem Screen Actors Guild Award ausgezeichnet und weitere Male dafür nominiert. Ich sage Hauptfiguren, weil es sich trotz des Namens und eines eindeutigen Haupthelden bei der Serie doch um ein Ensemblestück handelt. Die Handlungsstränge der anderen Figuren sind nicht so stark ausgeprägt, aber sie stellen einen wichtigen Teil der Welt dar, die in Mad Men heraufbeschworen wird. Da es sich um ein Drama handelt, lebt die Serie natürlich von den Interaktionen der starken Charaktere. Dabei arbeiten die Drehbuchautoren mit Stereotypen, denn die Figuren sind samt und sonders überhöht, wie schon an der Figur des Don Draper zu erkennen ist, werden jedoch immer wieder so weit aufgebrochen, dass jede Figur gleichsam mit Symbolkraft und Tiefe und Bedeutsamkeit in diesem Mikrokosmos ausgestattet wird. Die Serie schafft denn auch eine der einprägsamsten Frauenfiguren der derzeitigen Fernsehlandschaft in Form von Margaret „Peggy“ Olson, gespielt von Elisabeth Moss.

Moss wurde ebenfalls für diese Rolle mehrfach für einen Emmy und einmal für einen Golden Globe nominiert. An ihrer Entwicklung, die als Don Draper’s Sekretärin beginnt, werden gesellschaftliche Umwälzungen im Hinblick auf die Geschlechterrollen entlanggeführt. Sie ist die erste Frau, die in dieser Männerwelt Karriere machen wird und bleibt lange Zeit die Einzige. Doch sie zahlt einen hohen Preis. Alle Frauen, die sich über die ihnen zugewiesenen Rollenmuster erheben, müssen das. Die Männer jedoch genauso, weil sie darin verharren.
Das Meisterstück der Serie besteht allerdings darin, über die Hauptfiguren hinaus die ganze USA der 60er Jahre auferstehen zu lassen, und das alles hinter den Fenstern einer Werbeagentur und einigen Häusern und Apartments. Die Geschichte im Spiegelbild des Lebens Einzelner. Denn im Grunde genommen ist Mad Men ein ständiges Kammerspiel, bei dem sich die Handlung immer zwischen nur wenige Figuren in einem Raum abzuspielen scheint. Das Geschehen verlagert sich selten nach draußen. Diese Innenräume sind jedoch mit einem unglaublichen Auge für’s Detail ausgestattet, genauso wie die großartigen 60er-Jahre-Klamotten des Ensembles. Am deutlichsten wird dieses Kammerspiel in Folgen mit historischen Ereignissen, die komplett anhand von sehr persönlichen Reaktionen einzelner Figuren dargestellt werden. Die Belegschaft feiert eine Büroparty während sie auf die Ergebnisse der Wahl Kennedy vs. Nixon warten. Später wird die Ermordung John F. Kennedys anhand der Auswirkungen auf das Leben verschiedener Figuren in einer Folge durchgespielt und damit das Ausmaß des Traumas auf die US-amerikanische Bevölkerung dieser Zeit wiedergegeben. Und so schafft es die Serie, das Amerika der 60er Jahre mit fast schon brutaler Realitätstreue darzustellen. Man windet sich teilweise beim Anblick des Umgangs mit Frauen und Afroamerikanern. Doch es gehört eindeutig zu den Stärken der Serie, dass sie diese Aspekte der Zeit ungeschönt stehen lässt. Sie werden nicht kommentiert, es gibt keine politischen Aussagen. Es ist, wie es ist, oder eher gesagt: war. Und das reicht völlig aus. Wenn man sich den Status der Frauen in der Serie ansieht, so möchte man Alice Schwarzer um den Hals fallen und ihr überschwänglich danken, egal, was man sonst von ihr halten mag. Denn nichts führt einem die Fortschritte des Feminismus so sehr vor Augen wie die weiblichen Hauptfiguren in Mad Men.

Die Serie ist allerdings nichts für Romantiker. So ziemlich jede zwischenmenschliche Beziehung ist verkorkst und zum Scheitern verurteilt. Die Beziehungen sind vor allem Ausdruck der gesellschaftlichen Umwälzungen dieser Zeit, denen sie nicht standhalten. Die Zeit der aufrecht zu erhaltenden Fassade bröckelt, in der die Ehefrauen von ihren Männern nichts weiter als ein hübsches Haus und Diskretion im Umgang mit ihren Affairen erwarteten. Ein Kolumnist der New York Times schrieb einmal sehr passend, dass ihn die Serie an der Liebe zweifeln lässt, weil sie einem kaum Hoffnung auf privates Glück gibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht reichlich Affairen, Sex und Emotionen gibt. Wer sich also für ein Ensemble faszinierender Persönlichkeiten, die alle wie Satelliten um das Mysterium Don Draper kreisen, knackige Dialoge und sagenhafte Outfits begeistern kann – alles angesiedelt in einer der spannendsten Epochen des 20. Jahrhunderts, der ist im Mad Men-Universum sehr gut aufgehoben.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.