Mir geht es schon viel besser – ich spür’ gar nichts mehr

Dexter Staffeln 1 – 3

„Give me a face
That’s wracked with emotion
I’m ready for a life
That will twist my soul“

Voices Penelope Houston

Dexter fühlt nichts. Wenn der Triebtäter, den Peter Lorre in M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) spielt: „Ich will nicht – ich muss!“ ins Publikum schreit, versteht der Zuschauer sein Dilemma. Wäre Dexter ein Triebtäter, dann müsste er zumindest im Moment des Mordens etwas fühlen. Tut er aber nicht. Sein innerer Dialog geht nicht über ein: „1:0 für die Holzpuppe“ hinaus, wenn er das glänzende Schlachterbeil geschwungen hat. Er befürchtet nicht, wie der Rest der Welt, dass herauskommt, dass er ein schlechter Mensch ist. Er hat schlicht Angst, dass jemand merkt, dass er überhaupt kein Mensch ist.
Eine sinistere Backstorywound hat ihn so traumatisiert, dass er morden muss. Sein Polizistenvater hat versucht, diesen Trieb für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Hat ihm einen Kodex antrainiert, der ihn nur Menschen morden lässt, die selbst zum Mörder geworden sind und durch die Maschen von Legislative und Exekutive geschlüpft sind.
Niemand wird sich mit Omnipotenz-Fantasien angesichts einer so billigen Selbstjustiz identifizieren – wenn sie dem Protagonisten noch nicht einmal selbst Erleichterung verschaffen.

Sein innerer Dialog lässt einen einsteigen und anknüpfen. Er spricht mit sich, wie es damals die hard boiled private eyes der „Schwarzen Serie“ taten, wenn sie mit der Automatik in der Faust durch den schwarz-weißen Großstadtdschungel taumelten und gegen Korruption und Verbrechen kämpften – nur die waren cool, und das ist Dexter nicht. Er ist ein unauffälliger Vertreter der Generation Praktikum. Er könnte nicht normaler sein, und doch ist er ein Monster.
Bei den Morden geht es zivilisiert zu. Die Opfer werden in einem Spinnennetz aus Plastikfolie mit ihren eigenen Opfern konfrontiert und dann umgebracht. Es gibt kein Leid und keine Todesschreie – nur Künstlichkeit und Fiktion. Wenn man einmal die Monstrosität dieser Fiktion akzeptiert hat, ist es schön mit Dexter durch die Postkartenästhetik vom Miami zu fahren und an seinem inneren Dialog teilzunehmen, der gefühlt 80 Prozent der Filmzeit ausmacht. Dexter spricht nicht viel, er denkt laut. Der innere Dialog übernimmt die Perspektive des subjektiven Erzählers.

Das ist das Neue an Dexter. Nicht Handlung bestimmt die Episode, sondern innerer Dialog. Das ist sehr realistisch. Die innere Stimme spricht viel öfter, als dass tatsächlich Worte geformt und ausgesprochen werden oder im Dialog mit anderen kommuniziert wird. Diese lautlose Stimme kommentiert beständig jedes wirklich ausgesprochene Wort und jede Handlung. Der innere Dialog lässt sich nie abschalten – ein paar Sekunden nach einem Orgasmus mag die Stimme vielleicht schweigen, doch dann geht es weiter. „Was denkst du gerade?“, fragt Dexters liebenswerte Freundin Rita in so einem Moment die Frage der Fragen. „Nichts“, antwortet er überglücklich. Solche Momente euphorisieren den Zuschauer.
Wenn wir überhaupt in der Lage sind eine Metaebene einzunehmen und nicht einfach glauben, der zu sein, den wir im Spiegel sehen, dann kann Dexter uns durch die enorme Zuspitzung des Serienkonfliktes helfen, unsere Rolle in der Gesellschaft besser zu spielen und uns akzeptieren lassen, dass auch die nächsten Partner und Freunde letztlich Fremde sind. „Der Mörder wird zum Außenseiter, der auf ewig nur noch zusieht“, denkt Dexter. Aber man braucht nicht Serienkiller zu sein, um das Gefühl zu haben. Es reicht eben ein Mensch zu sein, mit dem subjektiven Gefühl weder verstanden noch gemocht zu werden. Und das ist die Wirklichkeit von allem Kitsch entkleidet. „Dieser Scheiß heißt Realität“, denkt Dexter. Er ist gleichzeitig düsterer Begleiter und hochmoralisch. Seine Taten bleiben inakzeptabel und trotzdem fiebert man mit ihm mit, ob es ihm gelingt den Dreck aufzuräumen, den er hinterlässt, ob es ihm gelingt seine Maske aufzubehalten und vielleicht irgendwann dann doch mal ein kleines Emotiönchen zu haben. Und wenn wir uns sogar mit einem Monster wie Dexter vertragen können, dann fällt es längst nicht mehr so schwer, das Spielchen des Lebens weiterzuführen. Immerhin mag uns im Gegensatz zu ihm noch etwas Menschliches anhaften. Hauptsache der innere Dialog bekommt keinen Subtext! Wenn man der inneren Stimme nicht mehr vertrauen kann, nicht mehr meint, was man denkt – schliddert man schon auf der Zielgeraden in den Irrsinn.

„Beruhige dich, Dexter!“, möchte man ihm zurufen. „Wir fühlen doch alle nichts.“ Emotionen wie Gier, Neid und Schadenfreude sollten endlich unter Bestandschutz gestellt werden.
Ach, und Dexter hat den gleichen Computer wie ich, trinkt gerne Kaffee und isst Spiegeleier mit Ketchup sunny side up. Es ist eine schöne Nacht im Dschungel und vielleicht sollte ich noch irgendwohin gehen …

In der aktuellen tv diskurs widmet sich auch Torsten Körner dem Antihelden. Dexter ist bei euch! Ein Serienkiller als Spiegel unseres Wertesystems findet sich in Heft 4/2013 und ist hier abrufbar.

Ist das Versteckspiel nun zu Ende? – zur Serie Dexter in der FSF-Programmprüfung geht es hier.

Sky Atlantic HD strahlt am 14. und 15. Dezember den Dexter-Marathon aus – die 7. Staffel läuft dann jeweils ab 15.20 Uhr und die 8. Staffel folgt im Sommer 2014.

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.