Von Blowjobs, Wildentenfutter und Helden, die wir verdienen

The Sopranos – sechs Staffeln (1999 – 2007)

Ich weiß: The Sopranos sind die Mutter der Qualitäts-Serie. Kinoqualität für den Flachbildschirm. Unförmige Menschen, Motorjachten, Automobile, Brüste, Wohnungen und sonstiges Mobiliar. Der Trailer beinhaltet ja schon den gesamten Stoff, auch wenn er sich teilweise nur in Radkappen spiegelt. Irgendein unbedeutendes, phantasieloses, total rücksichtsloses Arschloch kommt vom Highway nach New Jersey. Die Art, wie der Mann die Maut zahlt und sich in den Qualm seiner Zigarre hüllt, offenbart, was für ein Mensch er ist. Er findet sich scheißgut. Er sieht auf den Friedhof, auf startende Jets und hat bestimmt das Wort Ikea noch nie in seinem Leben gehört. Fährt durch sein altes Viertel, an seinem Schlachterladen vorbei, den Berg hoch in die Suburbs, in die er sich hochgemordet hat und hält schließlich vor der Triplegarage seines Kingsize Alptraums.

So what? Warum soll ich mir das angucken? Nur weil der Winter nie aufhört, und ich allein bin?

Der Rest ist das gewöhnliche Gesicht des Kapitalismus, wie wir ihn täglich erleben, nur endlich einmal in ungeschminkter und nicht hinter billigem Kitsch versteckter Form. Jede Handlung ist, wie das Wort schon sagt, ein Deal und hat ihren Preis. Für einen Mord oder eine Erpressung gibt es braune Umschläge mit dreckigem Straßengeld, einen Blowjob, ein Automobil.

Ganz wie im richtigen Leben. Quid pro quo.

Dieser Grundsatz gilt inzwischen auch im Heer der Übertherapierten. Da wird beim Jammern jedes Wort gezählt, damit auch ja alle gleichviel gejammert haben. Da sagt der Elektriker am Ende des Tages zur Kundin: Du, ich hab dir da ein Kabel verlegt… eigentlich könntest du jetzt echt mit mir ins Bett gehen – oder willst du mich etwa als Handwerker diskriminieren?

Das läuft natürlich bei den Sopranos etwas anders. Da wird keine Rücksicht auf Befindlichkeiten genommen. Jeder, der sich nicht buchstabengetreu an die ungeschriebenen Gesetze der Mafia hält, ist – egal ob er zur Familie gehört – des Todes und selbst hustende, krebskranke Mitglieder reißen sich noch darum, diese Urteile zu vollstrecken. Der beste Freund wird in den Airbag gedrückt. Die Geliebte mit einem Draht stranguliert. Und auch ein ehemaliger Boss ist nicht davor gefeit, als sabbernder Alter arm und vergessen im Altersheim zu verwittern – nur weil er in seiner Demenz Tony Soprano für den längst liquidierten Pussy Malanga hält und ein paar Schüsse auf ihn abfeuert…
Das runde Ding, das jemand nach Sonnenuntergang aus dem Tiefkühlfach seines Family Rooms holt, passt leider nicht in den Straßengully. Es ist ein Kopf. Ein paar tüchtige Tritte machen ihn passend, und er fällt endlich ins Dunkel.

Als es noch ein Bürgertum gab, war der Verbrecher so etwas wie ein Outlaw. Jetzt ist jeder sogenannte Bürger als Steueroptimierer und auf der Suche nach dem nächsten Schnäppchen selbst zum potentiellen Verbrecher geworden – wenn sich ein Deal anbietet, und sei es nur ein billiger Versicherungsbetrug. Tony Soprano ist der Held, den wir verdienen. Leider will es die Logik der Umkehr noch nicht, dass jetzt ein zufällig aufrechter Mensch zum romantischen Outlaw wird.

Dann landen die Wildenten in Tony Sopranos Swimmingpool. Sie kommen vom Himmel – aus dem Nichts. Aus der Wildnis, aus den alten Geschichten über Amerika, in denen Schwärme von Zugvögeln den Himmel verdunkelt haben. Sie fliegen tausende von Meilen über den Kontinent, getrieben von Wind und Jahreszeiten, und sie landen freiwillig – wie echte Liebe – ausgerechnet in seinem Pool. Tony wird zum verzaubert lächelnden Liebes-Zombie. Er kauft Entenfutter und wartet sechs Staffeln lang auf die Rückkehr seiner Geliebten.

Jetzt ist Tony mein Freund geworden, und ich teile eine schillernde Scheibe nach der anderen seine unerfüllte Sehnsucht.

„Sie heißen McLuhan und sie sind Marshall?“ fragt er auf das Namensschild weisend einen farbigen Polizisten. „Dann sind sie also Marshall McLuhan!“.

Ständig müssen Leichen aus- und eingebuddelt werden. Ständig wird um Erklärungen für das  Verschwinden von Menschen gerungen. „Aber er wurde doch zuletzt in New Jersey gesehen?!“, insistiert ein verwirrter Hauptmann der einen längst ermordeten Freund sucht. „Genau wie die Hindenburg“, sagt Tony Soprano sybillinisch. Er muss es wissen. Zur Entspannung sieht er ständig altes Nazi Footage in seinem Privatkino. „Guck mal!“, sagt er zu seiner Frau, bevor sie nach Paris fliegt. Auf dem Bildschirm paradiert die SS durch den Triumphbogen.

Am Ende stellt sich Tonys Therapeutin Doktor Melfi als aufrechter Outlaw heraus. Sie hat schon der Rachefantasie widerstanden, ihren straffrei ausgehenden Vergewaltiger einer Soprano-Behandlung auszusetzen. Sie versteht schließlich, dass es kriminell ist, Soziopathen zu therapieren, deren Mitgefühl sich ausschließlich auf Tiere bezieht.

Ein paar Säcke mit Wildentenfutter werden für immer und ewig an Tonys Pool bereit gehalten. Die bieten nebenbei ein gutes Versteck für Schwarzgeld-Umschläge. Der Pool bleibt der mythische Ort, das Einfallstor für das Übersinnliche. Die Wildenten kehren nie zurück. Aber ein wilder Bär macht in Winternächten den Garten unsicher.

Es ist Nacht, als die letzte Episode verglimmt, und der Ost-Sturm brüllt so laut wie ein ICE, der durch einen Provinzbahnhof donnert, um die Häuser.

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.