Weil der Mensch ein Mensch ist

Borgen Staffeln 1 – 3

Was wäre wenn? ist die Frage, mit der jede Fiktion beginnt. Was wäre wenn – und fiktionaler als dieser Gedanke könnte kaum einer sein – ein Politiker ein ganz normaler Mensch wäre? Ein Wesen wie du und ich und nicht nur ein Schemen, der wie der böse Geist aus der Flasche von Bildschirmen und aus Lautsprechern wabert, wenn der erschrockene Zuschauer nicht schnell genug die Fernbedienung grapschen kann oder besser noch die Hauptsicherung rausdreht. Jedem Politiker ist natürlich dieses Defizit an Menschenähnlichkeit kein Geheimnis. Nicht umsonst ist das Wort MENSCH der am häufigsten in der Politik verwandte Begriff. Alles ist immer „besser für die Menschen“. Splitterbomben, Genmais, Gammelfleisch und Atomkraft – alles ist vor allem immer besser für die Menschen.

In Borgen ist das anders. Birgitte Nyborg – eine Frau mit Familie, Gefühlen und echten Überzeugungen – wird Premierministerin von Dänemark und muss sich in dem Geflecht zwischen Wirtschaftsinteressen und Medien zurechtfinden, in dem Politiker agieren. „Demokratie existiert doch gar nicht“, sagt ihr Widersacher Michael Laugesen. „Da ist nur ein kleiner Kreis von Menschen, der entscheidet, was gemacht wird. Geschäftsleute, Medien, Politiker – so lange ich diesem Kreis angehöre, können Sie es Demokratie nennen.“

Die Macher von Borgen gehören diesem Kreis an. DR (Danmarks Radio) wurde 1925 gegründet und ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen Dänemarks. Auch hier ist die Wirklichkeit angekommen. Mit ihrer selbstreferenziellen Darstellung, die in Borgen einer der Hauptplots ist, versuchen sie auch auf ihre eigene Misere hinzuweisen: Alex – der neue Programmchef – ist schon 34, trägt maskulinen Männerschmuck und lässt die Mannschaft in einem Kreativraum antreten, der so aussieht wie ein edler dänischer Kindergarten. Alles, was ihn interessiert, ist die tägliche Quote. Mit Kreativität meint er nur Macht. Seine Macht. „Ich will Gewinner sehen und keine Verlierer! Ich will Geschichten sehen!“, befiehlt er. Da soll schon mal eine Wahlberichterstattung aussehen wie ein Handballspiel, es fehlt nicht viel und er würde Furzkissen vorschlagen. Dass er am Ende an der Solidarität der Journalisten scheitert, ist nur Fiktion – eine Wunschvorstellung. „Wenn sie wieder mal etwas ausprobieren wollen, gehen sie doch zum Jahrmarkt“, sagt der Chefredakteur Torben Friis, als Alex endlich gehen muss. Der Ort ist gut gewählt, denn auf dem Jahrmarkt haben die flimmernden Bilder angefangen. Jetzt sind sie die vierte Kraft in der Gesellschaft.

DR hat mit Borgen ein Unikum geschaffen. Einen Lehrfilm über Medienpolitik in einer modernen Demokratie. Borgen bietet den Zuschauern umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung an. Erinnert das nicht vage an irgendeinen uralten obskuren Auftrag? Aber Borgen enthält auch eine Spur Heimatfilm – dem erklärten und einzigen Genre des deutschen Fernsehens. Manchmal sieht man einen Schweinemastbetrieb in der Provinz.

Und auch Bent Sejroe, dem Weg- und Parteigefährten der Premierministerin, ist etwas Blumiges aufgefallen: „Ich weiß nicht, was los ist“, sinniert er. „Die Hortensien in meinem Garten haben sich irgendwie verändert!“ Ja, ja. Sehr richtig. Aber leider sind es nicht nur die Hortensien. Tatsächlich hat sich das reale Dänemark in den letzten zehn Jahren verändert. In dem bevölkerungsarmen Land gab es einmal einen sozialen Zusammenhalt und vor allem die beliebte dänische Gemütlichkeit. Durch die hauptsächlich über die Einwanderungsdebatte zusammengeschweißte unheilige Verzahnung zwischen der Boulevardpresse, der konservativen Partei und  einer populistischen Splittergruppe hat sich das Land endlich an Europa angenähert und die MENSCHEN in Dänemark schreien jetzt auch immer nur noch: ICH! ICH! ICH!

Auch davon handelt Borgen. Als könnte man die reale und irreversible Zerstörung eines Gemeinwesens im Nachhinein noch bannen – mit einer Fernsehserie. Mit dem  Märchen von einer menschlichen Premierministerin, die wirklich etwas für die Gesellschaft tun will. Grau und fest steht ihre „Burg“ Christiansborg im Fernsehbild. Egal, ob es stürmt oder schneit und manchmal ganz im fernen, nordischen Kopenhagen die Sonne scheint. Kaum eine Innenaufnahme ohne Gemälde, deren Maler sogar im Abspann erwähnt werden. Kein Sex, keine Gewalt und noch nicht einmal Action. Ewig lange Unterhaltungen – und trotzdem Spannung, Identifikation, Empathie. Vielleicht funktioniert das Märchen ja. Gute Geschichten können auch wahr werden. Borgen macht Mut, dass die Dinge sich ändern. Immerhin gibt es offenbar Menschen, die bemerken, dass nicht nur im Staate Dänemark etwas faul ist. Wer Borgen gesehen hat, den kann man nicht mehr so leicht belügen. Schluss mit dem Kulturpessimismus – vielleicht gibt es die Demokratie ja doch. Und wer sagt denn, dass der Boden sauer ist? Wer sagt denn, dass es schlimm ist, dass die Hortensien nicht mehr blau sind, sondern pink?

Die zweite Staffel Borgen zeigt ARTE ab dem 06. bis zum 26. September, jeden Freitag um 21.45 Uhr. Gefolgt von der dritten Staffel, die dann ab dem 03. Oktober bis zum 31. Oktober, donnerstags um 21.00 Uhr, ausgestrahlt wird.

Link zum Trailer, Staffel 2, auf YouTube.

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.