Zwinker, zwinker

Ob Popkultur, Literatur oder Film: So ziemlich alle Kunstformen leben davon, dass sich Texte miteinander unterhalten – sich gegenseitig zitieren, referenzieren, sich im weitesten Sinne aufeinander beziehen. Diese intertextuellen Referenzen und Zitate verdichten Bedeutungen oder erweitern sie. Sie schaffen eine zusätzliche Ebene, öffnen ein Fenster in ein anderes Medium oder eine andere Geschichte. Sie bereichern in den meisten Fällen, in anderen sind sie ein Spiel, eine Laune oder eine gut platzierte Pointe. In der Welt des Films können diese Referenzen technischer oder inhaltlicher Form sein – sei es das Parodieren der langen Kamerafahrten aus Hitchcock-Filmen oder die Anspielung auf James Bond im letzten Wes-Anderson-Film. (William Dafoe schmeißt eine Katze aus dem Fenster, und es gibt eine Sturzfahrt-Verfolgungsjagd im Schnee. Klingelt’s?) Gerade James Bond ist in diversen Inkarnationen wiederauferstanden: als Johnny English, Austin Powers, OSS 117, um nur einige zu nennen. Und jeder Tarantino-Film ist Parodie und Hommage gleichermaßen. Eine hohe Kunst, die kaum jemand sonst auf diese Weise beherrscht.

Heutzutage nimmt das Netz aus Zitaten und Anspielungen allerdings ganz neue Ausmaße an. Denn wir leben im Zeitalter der Serie. Schon die Vielzahl der Serien und darüber hinaus der hohe Anteil guter Serien schaffen schier unendlichen Raum für Referenzen: Raum, um andere Formate oder sich gegenseitig zu zitieren; mithin auch Raum, um sich selbst zu zitieren. Ein britisches Schwergewicht der Popkultur – Doctor Who – feierte 2013 sein 50-jähriges Bestehen mit einer Folge, die vor Anspielungen auf die eigene jahrzehntelange Geschichte nur so strotzte. (Falls jemand weiß, welche Waffe Rivers rote Pumps darstellen, bitte melden!) In der Serienkultur wächst die Dichte an Referenzen, Anspielungen und Zitaten ins Unermessliche. Es gibt Serien, deren Grundidee zu größeren oder kleineren Teilen auf diesem Prinzip basiert. Das vermutlich am längsten existierende Beispiel dafür sind die Simpsons. Allein an Filmreferenzen findet man bestimmt Hunderte. Ob es Homer ist, der als eine Art verkorkstes Batsignal in den Himmel projiziert wird, oder die diversen Folgen, die das Horrorgenre rauf- und runterzitieren.

Viele Serien kann man heutzutage wirklich nur genießen, wenn man vorher schon eine Menge gesehen hat und obendrein film- und popkulturfest ist. Gewissermaßen ein Katze-und-Schwanz-Problem. (Nicht die, die oben aus dem Fenster geflogen ist. Die ist leider tot.) Ein Großteil der Gags in The Big Bang Theorie lebt von Anspielungen auf Science-Fiction- und Comicbücher. Und sogar eine Serie wie die letzte BBC-Verfilmung von Robin Hood ist voll von teilweise anachronistischen Zitaten. In der Folge mit dem Titel „Who Shot the Sheriff?“ freut sich der Sheriff diabolisch mit dem entsprechenden Songzitat: „You only shot the deputy!“

Meine persönliche Königin dieses meta- und intertextuellen Spiels ist Community.

Die Referenzen werden vor allem getragen durch eine Figur namens Abed, die sich hauptsächlich über Filmzitate mit seiner Umwelt verständigt und obendrein noch das Format Serie an sich kommentiert. So zum Beispiel in der „Flaschenhalsfolge“ – in der … „es kommt gleich“ … der gesamte Cast die ganze Folge lang in einem Raum stecken bleibt. Meine Lieblingsfolgen sind die, wo irgendwelche Spiele außer Kontrolle geraten und das College im Mad-Max-Stil in Schutt und Asche gelegt wird bzw. sich irgendwelche anti-utopischen Gesellschaftsformen herausbilden – hier kann jetzt gedanklich als Verweis jeder Film eingesetzt werden, der einem zu diesen Genres einfällt.

Serien sind heute zum Teil weltumspannende Phänomene. Chinesische Sherlock-Fans haben im Netz neulich den britischen Premierminister gebeten, er möge doch dafür sorgen, dass die weiteren Staffeln der Serie schneller produziert werden – wobei Cameron mit der Produktion der Serie natürlich nicht das Geringste zu tun hat. Intertextuelle Referenzen schaffen eine Art von Komplizenschaft: grins – zwinker – begriffen? Denn die Krux daran ist, dass man sie entweder versteht oder nicht. Dabei ist das Verstehen oft gekoppelt an das Sehen und das Wissen. Wenn man das Original nicht kennt, geht die zusätzliche Schicht Bedeutung verloren. Referenzen sind wie Links. Wenn man sie sieht und darauf klicken kann, öffnet sich ein neuer Inhalt. So sind intertextuelle Referenzen auch eine Reflexion der Art und Weise, wie wir heute oft Inhalte konsumieren. Sie sind außerdem möglicherweise der unbewusste Versuch, ein zunehmend fragmentiertes Publikum auf einer anderen Ebene zu vereinen. Sie kreieren so etwas wie eine globale Zitatsprache und ein Gemeinschaftsgefühl, das hauptsächlich durch Diskurse im Internet getragen wird. Wenn ich ans andere Ende der Welt fahre und dort zu jemandem sagen würde: „Bow ties are cool!“, dann stünden die Chancen, dass ich verstanden werde, gar nicht so schlecht. Das, was früher nur in Cliquen oder anderen zu Soziolekten neigenden Gruppen üblich war, ist nun global verstreuten Fangemeinschaften eigen.

Referenzen durchbrechen zudem häufig die vierte Wand. Die Serie Castle enthält zum Beispiel einige Anspielungen, die etwas mit einer früheren Rolle des Hauptdarstellers zu tun haben: Malcolm Reynolds in Firefly. Firefly ist eine inzwischen legendäre Joss-Whedon-Serie, die nicht einmal eine Staffel alt wurde und dennoch eine ergebene Anhängerschaft hat. Zu Halloween kommt Castle in einem für seine Tochter undefinierbaren Kostüm aus dem Zimmer gesprungen: „Space Cowboys!“ Töchterlein darauf: „So was gibt’s nicht.“ Genau. Die Serie wurde abgesetzt, weil zu wenigen Leuten das Konzept von chinesisch fluchenden Cowboys im Weltall eingeleuchtet hat. Zu Unrecht! Castle spielt mit Verweisen auf etwas, das im fiktiven Universum der Serie nicht vorkommt, aber in der Realität des Zuschauers schon. Gleiches gilt, wenn die Figuren anerkennen, dass sie sich in einer Serie befinden, wie im oben genannten Community-Beispiel. Das alles ist ein Augenzwinkern in Richtung Zuschauer. Die Serie fängt gewissermaßen an, aus dem Bildschirm in unsere Realität hineinzuragen. (Schuld ist offenbar Woody Allen, der mal vor Jahrzehnten Marshall McLuhan vor die Kamera gezerrt hat.) Die Komplizenschaft ist damit nicht nur etwas, was die Fans untereinander verbindet, die Serien selbst machen ihre Zuschauer zu Mittätern. Das Zitat ist heutzutage zu einem zentralen Element der Popkultur geworden, vor allem aber ist es ein zentrales Element der Serienkultur. Es macht Serien zu einem ganz eigenen weltumspannenden Netz, in dem sich Bedeutung und Kultur, mithin auch Geschichte, akkumulieren. Anspielungen sind ein Augenzwinkern, das um den Globus geht.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.