„Ich brauche keinen Undercut!“

Über den Selbstversuch, Influencer zu werden

Francesco Giammarco, geboren 1986, lebt und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Er schreibt u.a. für „Die Zeit“ und „Spiegel Online“. Könnte es ihm auch gelingen, innerhalb kurzer Zeit in dem sozialen Netzwerk Instagram zu einer einflussreichen Persönlichkeit, einem sogenannten Influencer, zu werden und damit viel Geld zu verdienen? Barbara Weinert sprach mit ihm über seinen vierwöchigen Selbstversuch.


Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Selbstversuch gekommen?

Das Thema lag ein bisschen in der Luft. Ich habe immer öfter von dem Begriff des Influencers gehört und im Grunde hat man überhaupt keine Ahnung, was sich genau dahinter verbirgt. So lag das Experiment nahe, einfach einmal zu schauen, wie weit man mit einem neu angelegten Instagram-Account kommen kann.

© nito - fotolia.com
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Was ist ein Influencer überhaupt?

Influencer sind Menschen, die andere beeinflussen können. Den Begriff nutzt man vor allem für die, denen in den sozialen Medien so viele Leute folgen, dass sie relevant für die Werbebranche allgemein oder für bestimmte Marken werden. Eine Zeitung hat früher eine Mio. Leser erreicht, sodass es interessant war, darin Werbung zu schalten. Jetzt erreichen Einzelpersonen über ihre Social-Media-Kanäle ebenfalls eine Mio. Menschen – und so ist es interessant und relevant, Werbung über sie laufen zu lassen. Vor allem, weil sie als Einzelpersonen besonders authentisch wirken.

Wenn Influencer Einfluss nehmen und Themen setzen, sind sie dann auch eine Art Konkurrenz zum klassischen Journalisten?

Das Kerngeschäft ist natürlich ein anderes. Wenn ich mir die aktuellen Influencer anschaue, sehe ich da momentan keine inhaltliche Konkurrenz. Aber ich finde durchaus, dass sie auf dem Markt der Aufmerksamkeit eine Konkurrenz für klassische Medien darstellen. Einfach, weil sie auffällig sind und andere sich ihr Angebot anschauen. Zeitungen und Fernsehsender haben nicht mehr das Monopol darauf, Menschen in ihren Wohnzimmern zu erreichen. Heute kann theoretisch jeder zum Sender werden. Aber nicht jeder zu einem relevanten oder erfolgreichen.

Wie wird man zum Influencer?

Na ja, bei mir persönlich hat es nicht so richtig funktioniert, sodass ich gar keiner geworden bin! Ich glaube, die meisten Influencer, die im Augenblick erfolgreich sind, haben relativ früh in ihrem Bereich angefangen. Das waren oft sicher auch zufällige Geschichten. Wenn sich jemand z.B. für Männermode interessiert, was per se eine Nische ist, und schon sehr zeitig damit angefangen hat, seine Fotos auf Instagram zu posten, dann konnte er über die Jahre immer mehr Follower sammeln. Als das Netzwerk dann jene Größe erreicht hatte, die auch für die Werbewirtschaft interessant und relevant war, hatte so ein Nutzer natürlich einen Vorteil. Dann sind möglicherweise entsprechende Personen auf ihn zugegangen, haben in ihn investiert, er hat sich professionalisiert – und wurde schließlich zum Influencer. Trotz dieses Startvorteils leidet er aber – wie alle anderen auch – darunter, dass so ein Netzwerk wie Instagram irgendwann total saturiert ist und es immer schwieriger wird, eine besonders große Reichweite zu entwickeln. Dann werden plötzlich wieder andere Kanäle interessant, und entsprechend kann man bei sämtlichen Influencern beobachten, dass sie verschiedene Kanäle bespielen.

Und wie sind Sie selbst vorgegangen?

Die Idee meines Experiments war, andere Influencer zu beobachten, mich einfach wie sie zu benehmen und zu schauen, ob das reicht, um berühmt zu werden. Also habe ich mir einen Instagram-Account eingerichtet und angefangen, die gleichen Inhalte zu posten wie die anderen: Fotos von mir, von meinen Klamotten. Ich habe geschaut, wie mein Publikum auf verschiedene Bilder reagiert. Man lernt recht schnell, was bei den Menschen ankommt und was nicht. So habe ich mir z.B. den Hund von meiner Schwester geliehen, um zu schauen, ob Tiere gut ankommen. Das funktionierte in einer bestimmten Phase ganz gut.

Welche Fotos kommen Ihrer Erfahrung nach besonders gut an?

Es gibt unendlich viele Webseiten und Artikel, die einem das vermeintliche Geheimnis verraten wollen, wie man Fotos macht, die besonders gut ankommen. Ob die wirklich helfen, weiß ich nicht. Meine erfolgreichsten Bilder waren jene, auf denen Menschen abgebildet waren. Aber wie gesagt, der Hund meiner Schwester kam auch ganz gut an.

Haben Sie in der Zeit des Experiments Veränderungen dahin gehend an sich wahrgenommen, dass sie alles durch eine Art „Instagram-Brille“ betrachtet haben?

Auf der einen Seite waren meine persönlichen Veränderungen beschränkt, weil es eine artifizielle Situation war. Ich wusste natürlich, dass es ein Experiment ist, und deswegen habe ich mich nicht so stark verändert. Nichtsdestotrotz beginnt man ein wenig der Logik dieses Netzwerkes zu folgen, schaut, wie die Aufmerksamkeit dort verteilt wird und achtet dann schon auf bestimmte Dinge. Für mich war es eher witzig und interessant, diesem Impuls nachzugehen, immer mehr Likes bekommen zu wollen. Man ist dann ständig auf der Suche nach Motiven, weil man einfach permanent posten muss. Wenn man nicht regelmäßig Bilder postet, verschwindet man einfach. Das sieht man auch an den erfolgreichen Influencern: Die haben regelmäßig Content auf ihren Kanälen. Man lernt, dass die Spontaneität, die Instagram im Namen verspricht – das Wort kommt ja von Instant Foto –, überhaupt nicht gegeben ist. Stattdessen läuft man durch die Gegend, macht ein paar geile Fotos und lädt sie nach und nach auf seinen Account. Um des Experiments willen habe ich mehr auf mein Outfit und meine Haare geachtet, was mir sonst nicht so wichtig ist. Deshalb war es eher witzig, etwas zu tun, worauf man eigentlich gar keine Lust hat. Nachhaltig verändert hat es mich aber nicht. Das Haargel, das ich mir für das Experiment gekauft hatte, habe ich danach sofort entsorgt. Ich lasse mir auch die Haare nicht mehr so schneiden, weil ich nicht aussehen will wie alle Fußballer der deutschen Nationalmannschaft. Ich brauche keinen Undercut.

Ist das nicht wahnsinnig anstrengend, wenn man ständig auf der Suche nach neuem Content ist und unter Druck steht, posten, liken und kommentieren zu müssen?

Ja, total. Deshalb ist es auch so schwierig, Influencer zu sein. Das ist harte Arbeit. Man muss quasi permanent online sein. Man muss immer schauen, was die anderen schreiben. Darauf muss man wieder reagieren. Man will ja auch nett sein. Ehrlich gesagt, das nervt voll. Ich zumindest hatte dazu keine Lust. Deshalb habe ich mir ziemlich schnell ein Programm besorgt, das die Reaktionen für einen automatisiert. Man muss ja vor allem auch bei anderen liken und kommentieren, um sichtbar zu sein. Nur so findet man sich gegenseitig in diesen Netzwerken.

Und diese Programme funktionieren zuverlässig?

Na ja, vermutlich ist da das ein oder andere Missgeschick passiert. Man formuliert ein paar Kommentare vor, die von dem Programm automatisch unter irgendwelche Bilder gepostet werden. Wenn man aber z.B. den Kommentar: „Hammer! Voll schön!“ vorformuliert und der wird unter das Foto von Stolpersteinen oder unter Bilder von Kriegsdenkmälern gepostet, dann ist das natürlich peinlich. Aber das scheint null Konsequenzen zu haben. Mir selbst war es sehr unangenehm, aber es hat niemand geschrieben: „Ey, was bist ’n du für ein Idiot!“ oder hat mich „entfolgt“. Das war einfach unwichtig.

Ein Diskurs, wie wir ihn vielleicht von Facebook kennen, findet dort also nicht statt?

Nein, ich glaube, Instagram ist kein Ort für Diskurse. Facebook ist ja sehr diskurslastig. Für meinen Geschmack manchmal fast schon zu viel. Es gibt wahrscheinlich auch nichts Schlimmeres und Peinlicheres als total ernsthaft geführte Facebook-Diskussionen, bei denen alle denken, sie seien voll wichtig und sagten wahnsinnig schlaue Dinge, und dabei schreien sie eigentlich nur in ihre Computer rein. Aber auf Instagram beschränkt sich die Kommunikation eher auf: „Schön“ und: „Voll toll“. Man fokussiert sich eher auf das Ästhetische, zumindest ist das meine Beobachtung.

Sie hatten eingangs kurz erwähnt, dass Sie sich auch Follower gekauft haben. Man ist also nicht allein darauf angewiesen, dass man sich immer weiter vernetzt, sondern Follower kann man tatsächlich käuflich erwerben?

Klar. Das sind ja einfach nur Klicks. Man kann sich quasi alles kaufen: Likes, Follower. Man kann sich auf allen Plattformen Gefolgschaft kaufen. Da reicht einmal googeln im Netz.

Wie lautet Ihr Resümee dieses vierwöchigen Experiments?

Ich will kein Influencer werden! (lacht) Weder will ich so viel Zeit mit Social Media verbringen, noch habe ich Lust, mich um so viele Menschen zu kümmern. Man begibt sich auch in Abhängigkeit von seinem Publikum. Diese ganzen Influencer müssen haarscharf darauf aufpassen, dass sie immer mehr Follower bekommen, dass keiner sie doof findet. Es darf ja niemand abspringen. In gewisser Weise ist Beliebtheit die Währung. Das ist für mich das Allerschlimmste. Ich will nicht dauernd darüber nachdenken, ob die anderen es gut finden oder nicht. Aber letztlich ist das für mich persönlich auch kein Problem mehr. Ich habe meinen Instagram-Account behalten, habe ihn auf „privat“ gestellt und lade dort nun Bilder meiner Urlaube hoch.

Ich glaube, im Kern geht es bei Social Media doch auch darum: Der Mensch will einfach gesehen werden. Auf eine fast sentimentale Art möchte man in seiner Existenz wahrgenommen werden. Dafür hat man Freunde und Familie und all die Dinge, die einem im Leben Halt geben. Und jetzt gibt es plötzlich diese verrückte Social-Media-Welt da draußen und der Mensch will auch von allen anderen gesehen werden und seine eigene Meinung wertgeschätzt wissen. Das ist sicherlich verführerisch. Manche Leute lenkt das bestimmt von den relevanten Aspekten ihres Lebens ab. Andere wiederum gewinnen dadurch, weil sie online plötzlich Gleichgesinnte finden. Deswegen kann ich auch kein eindeutiges Resümee ziehen.

 

Dieser Artikel ist zuerst in der tv diskurs  Mediale Aufmerksamkeit (Ausgabe 2/2018) erschienen.

Über Barbara Weinert

Barbara Weinert studierte Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte an der TU Dresden. Von 2006 bis April 2018 lebte und arbeitete sie in Berlin und war seit 2008 zehn Jahre in der FSF als Redakteurin der Fachzeitschrift tv diskurs - Verantwortung in audiovisuellen Medien tätig.