Liebesgrüße aus Moskau

Teil I

„Was haben Sie denn an „Evil Empire“ und „Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ nicht verstanden?“, fragte der Komiker Stephen Colbert neulich Keri Russell, die Hauptdarstellerin der Serie The Americans. Die humoristische Kritik in dieser Frage bezog sich auf die Weigerung der Serie, sich an die Schwarz-Weiß-Malerei des Kalten Krieges zu halten, zu dessen Zeiten sie spielt. Und damit traf Colbert den Nagel auf den Kopf. Denn The Americans ist die zurzeit wohl komplexeste Serie, die es zu sehen gibt und das, obwohl sie in einem Jahrzehnt spielt, in der die Gut-und-Böse-Rhetorik Hochkonjunktur hatte.

Die Serie des US-amerikanischen Fernsehsenders FX, der auch Fargo und Sons of Anarchy hervorgebracht hat, erzählt das Leben von sowjetischen Spionen und ihren US-amerikanischen Gegenstücken in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts.

Reagan ist Präsident und der Eiserne Vorhang macht seinem Namen alle Ehre. Die zentralen Figuren sind die Eheleute Philip und Elisabeth Jennings (Matthew Rhys und Keri Russel) und deren Kinder Henry und Page (Keidrich Sellati und Holly Taylor). Das Paar wurde vom KGB als solches zusammengestellt und unter falschem Namen in den USA angesiedelt. Ehe und Familie sollen nur der Tarnung dienen. Sie leben in einem Vorort von Washington, führen ein Reisebüro, ziehen ihre Kinder groß und erledigen nebenher eine Mission nach der anderen.

Zu Beginn der ersten Staffel trifft der Zuschauer Philip und Elisabeth an einem Punkt in ihrer Scheinbeziehung, in der diese plötzlich ein echtes emotionales Fundament zu bekommen scheint. Philip erfährt von Elisabeths Vergewaltigung während ihrer Ausbildung zur KGB-Agentin und die beiden entsorgen ihren ehemaligen Peiniger. Dieser Peiniger war jedoch ein Überläufer und hat dem FBI gerade offenbart, dass es die „eingebetteten“ Spione gibt. Beides sind Ereignisse, die für viele Handlungsstränge über lange Zeit als Katalysator dienen werden.

Komplexe Intimität

Mit diesem Umschwenken in echte Intimität wird ihre Beziehung – beruflich und privat – auf eine neue Basis gestellt. (Und mit beruflich ist nicht das Reisebüro gemeint.) Eine Basis, die gleichermaßen stärker und zerbrechlicher ist. Beide sind immer wieder gezwungen, die Dinge, die sie tun, zu hinterfragen. Philip ist der komplexere von beiden, Elisabeth jedoch die ambivalentere Figur. Er ist impulsiv, wird von seinen Kindern vergöttert, die er bedingungslos liebt, noch mehr als sein Heimatland. Seine Motivation für das, was er tut, ist nicht immer so klar wie Elisabeths. In deren entbehrungsreiche Kindheit gibt es hin und wieder Rückblicke, die erklären, wieso sie diesen Weg für sich gewählt hat. Sie scheint verbissen an der Mission und ihrem Glauben, damit die Welt zu verbessern, festzuhalten, während Philip teils starke Zweifel hegt. Denn er gesteht sich durchaus ein, dass er die USA eigentlich „gar nicht so schlecht“ findet. Das Wasser kommt aus der Leitung, das Essen sei gut, der Strom gehe immer. Was soll daran so schlecht sein, fragt er Elisabeth einmal, die sich weiterhin bemüht, nur so zu tun, als fühle sie sich im Feindesland wohl. Auch das Verhältnis zu den Kindern wird mit der Zeit immer komplexer. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter etwa wird auf eine Zerreißprobe gestellt, als sich Page der Kirche zuwendet. „Sie kriegen sie, wenn sie noch jung sind“, wiederholt Elisabeth und geht dabei nicht den Schritt, festzustellen, dass es bei ihr vermutlich ähnlich war, nur dass der Glaube ein anderer ist.

Wie die Kritikerin Emily Nussbaum so treffend formulierte, verhandelt die Serie das schwierige Thema menschlicher Intimität. Wobei die körperliche Form eine fast untergeordnete Rolle spielt. Denn Sex wird regelmäßig als Waffe eingesetzt. Und auch wenn die körperlich intimen Momente des Paares eine andere Qualität haben als die ihrer Alter Egos, so ist die größte Form von Intimität für sie, sich die Wahrheit über einander zu erzählen. Die Geschichte des anderen Lebens, mit anderen Namen, das jeder von ihnen zurückgelassen hat und über das zu sprechen ihnen eigentlich verboten ist. Gleichzeitig gibt es viele Dinge, die sie einander nicht sagen können. Für Elisabeth ist ihre Stärke ihr hauptsächliches Identifikationsmittel. Sie erscheint deswegen oft als diejenige, der das Töten und Manipulieren leichter fällt als ihrem Mann. Und doch gibt es immer wieder Einblicke in ihr Seelenleben, die das infrage stellen. Diese Einblicke gibt sie allerdings meist im Gespräch mit potenziellen Informanten oder Zielpersonen. Mehr noch als Philip nutzt sie ihre tatsächlichen Schwächen, um ihre Tarnungen anzufüttern. Dann mischt sich in die Spannung und Gefahr des Spionagemoments Empathie mit der Figur, die sich offenbart. Und auch wenn sich die Rede am Ende als Manipulationsversuch herausstellt, so bleibt der Eindruck, dass ein Teil davon wahr war. Diese Momente sind herzzerreißend und nervenaufreibend gleichermaßen.

Das Feindbild ist verschwommen

The Americans ist meines Erachtens der derzeitige Höhepunkt des Goldenen Serienzeitalters, das auch das Zeitalter des Antihelden ist. Und was könnte ambivalenter sein, als zwei hochausgebildete und sympathische Killer, die mit ähnlicher Selbstverständlichkeit die Probleme ihrer Kinder und den nächsten Tötungsauftrag diskutieren. Meist zur gleichen Zeit. Die Frage, wieso die späten 90er-Jahre plötzlich anfingen, Antihelden in Serie hervorzubringen, wurde schon oft gestellt. Dieses Phänomen schien mir immer wie eine Widerspiegelung des Gefühls, dass die Welt komplexer geworden ist. Doch war sie das nicht immer schon? Vorher jedoch gab es eine Zeit, in der offiziell so getan wurde, als wäre sie das nicht. Die Rhetorik war binär und einfach. Ost und West, Kommunist und Kapitalist, Verbündeter und Klassenfeind. Und dann, plötzlich, verschwamm das Feindbild. Die Welt wurde tatsächlich fast über Nacht kompliziert. Denn ihre Komplexität ließ sich nicht mehr einfach verleugnen. Der Versuch der USA, wahlweise Muslime, Osama bin Laden oder den Terror an sich als neues Feindbild aufzubauen, hat nicht gefruchtet. Zu diffus. The Americans spiegelt genau diese Zeit, in der man so tat, als teile sich  die Welt in Freund und Feind, in der die mediale Aufarbeitung der beiden Lager in reißerischen Spionagethrillern und Actionhelden bestand, die dumpfen KGB-Agenten eins auf die Fellmütze gaben. Sie nimmt diese Welt, die den Qualitätsserien vorausging und sie möglicherweise mit hervorgebracht hat und zeigt sie als das, was sie war: fast unerträglich grau.

Morgen geht es an dieser Stelle weiter! In Teil II Liebesgrüße aus Moskau geht Katja Dallmann der Frage nach, wer denn DIE titularen Amerikaner aus dem Serientitel sind und in welcher Weise The Americans in Verbindung mit realen Ereignissen steht.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.