Als ich E.T. zum ersten Mal traf…

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Da saß er nun also ‒ kaum einen Meter groß, mit traurigen Kulleraugen und trotzdem einem Lächeln auf den schmalen Lippen. „Eigentlich ist der kleine Kerl doch ganz niedlich – und überhaupt nicht furchteinflößend!“

Die erste quasi-persönliche Begegnung mit dem kleinen Außerirdischen vom grünen Planeten verlief angenehm und völlig ohne Gruselfaktor. Freundlich lächelnd und mit tiefer, gurgelnder Stimme grüßte E.T. in breitem (überraschenderweise völlig akzentfreiem) Amerikanisch inmitten einer künstlichen Waldlandschaft, die eigens für ihn in einer überdimensionierten Halle aufgebaut worden war. „E.T. – The Ride“ in den Universal Studios Florida (später auch in Hollywood) erinnerte noch weit bis ins neue Jahrtausend an das wohl berühmteste Science-Fiction-Märchen der Filmgeschichte.

Zwischen dieser Begegnung und der ersten Berührung mit dem gleichnamigen Film lagen ziemlich genau zehn Jahre, in denen ich – mittlerweile in der Pubertät – natürlich „cool“ geworden war und im elterlichen Keller Horrornächte mit Stephen-King-Filmen veranstaltete. Als der Blockbuster 1982 erschien, war das noch anders gewesen. Meine ersten Fernseherlebnisse hatten sich bis dahin auf die ein oder andere Zeichentrickserie – von Dr. Snuggles über den nach Glück suchenden Herrn Rossi bis zu Heidi – beschränkt. Ab und zu verteilte auch das Sandmännchen den Schlafsand. Favorisierte Realserien beinhalteten durchweg niedliche und hochbegabte Tiere, die auf nicht ganz so realistische Weise Menschen aus völlig ausweglosen Situationen retteten und sich anschließend mit einem Bonusleckerli und einem Kopftätscheln als Dank begnügten.

Und dann kam E.T. – diese zwergenhafte, schrumpelige Kreuzung aus Nacktkatze und Monchichi. Zuerst war da nur ein kurzes Rascheln; ein schrilles Scheppern – natürlich in dunkelster Nacht und irgendwo in einer bewaldeten Vorstadt von Los Angeles. Gefühlte 15 Minuten dauerte es, bis dieser huschende Schatten Gestalt annahm und sein runzeliges Antlitz zeigte – für ein fünfjähriges, ohnehin zartbesaitetes Kindergartenkind eine halbe Ewigkeit.
Hin- und hergerissen zwischen Neugierde und Furcht verbrachte ich die ersten Minuten von E.T. – der Außerirdische wahlweise hinter der Couch oder einem riesigen Kissen. Und doch: Dieses angsteinflößende Wesen weckte mein Interesse, ja, fast etwas wie Mitleid. So ganz alleine auf einem fremden Planeten ohne Telefonverbindung – das musste furchtbar sein! (Erst ALF neutralisierte dieses Gefühl Jahre später wieder.) Immerhin endete mein Horizont damals irgendwo kurz hinter dem Kindergarten unserer Kleinstadt. Und alleine nach Hause telefoniert hatte ich zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch noch nicht. Sosehr ich also versuchte, die Anfangsszene von E.T. ‒ der Außerirdische zu vermeiden ‒ irgendetwas faszinierte mich daran. Dabei habe ich den kompletten Film eigentlich erst beim sechsten oder siebten Versuch gesehen …

Damals (kurz vor Florida), als ich – vorpubertierend, auf der Suche nach dem filmischen „Kick“ – hinter der Couch hervorkroch, das Kissen weglegte und zähneknirschend feststellte, dass dieser kleine extraterrestrische Gnom schon längst mein Herz erobert hatte. Und mit mir die Herzen einer ganzen Generation von Halbwüchsigen, die ‒ tagein, tagaus ‒ auf BMX-Rädern durch die Gegend fuhren oder mit Masters of the Universe-Figuren und Barbiepuppen spielten. So weinten wir bittere Tränen, als das Haus von Elliotts Familie durch Regierungsbeamte zur Quarantänestation umfunktioniert wurde ‒ und E.T.s großes Herz plötzlich aufhörte zu schlagen. Wie hassten wir damals pauschal alle Regierungsbeamten dieser Welt! Und so wurde der eingangs so bedrohlich erlebte Wald zur Wohlfühlzone, als Elliott, Michael, der widerbelebte E.T. und ihre Freunde auf eben jenen, uns so wohlbekannten, ähnlich abgeschrubbten BMX-Rädern durch die Nacht schwebten. Und E.T. mitsamt seinen „Mit-Aliens“ auf seinen grünen Planeten entschwand. Spätestens an dieser Stelle wich die Angst endgültig bitteren Tränen ‒ Tränen des Mitleids, der Freude, aber auch der Trauer, den gerade eben erst liebgewonnenen Freund wieder verabschieden zu müssen. Zumindest bis zur nächsten Wiederholung. (Denn wer hatte damals schon eine Videokassette?)

In 22 Jahren (mit einem digitalen Upgrade im Jubiläumsjahr 2012) und gefühlten 550 Fernsehwiederholungen auf so ziemlich allen verfügbaren Kanälen kann davon ausgegangen werden, dass faktisch jeder, der sich auch nur im Ansatz für das Kino und seine Geschichte interessiert, den Film gesehen hat. Und wohl kaum einer, dessen Herz auch nur halb so groß ist, wie das unseres extraterrestrischen Freundes, blieb von E.T. unberührt. Zu groß war das Wechselbad der Gefühle ‒ von Angst und Grusel, über Mitleid, Zuneigung bis hin zur Empathie. Vielleicht macht genau das den Zauber aus. Vielleicht sehnen wir uns aus heutiger Sicht ‒ im Zeitalter der perfekten, computeranimierten Postproduktionen ‒ einfach auch nach einem kleinen bisschen Imperfektionismus; nach einem leisen Film, der doch so laute Wellen schlug.

„E.T. ‒ the Ride“ bin ich an diesem Tag jedenfalls noch sehr oft gefahren.

Über Cornelia Klein

Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.

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2 Kommentare zu “Als ich E.T. zum ersten Mal traf…

  1. Ich bin anscheinend ein paar Jahre älter als die Autorin, denn ich habe den Film mit 11 Jahren im Kino gesehen, doch das beschriebene Wechselbad der Gefühle kann ich nur bestätigen. Die Beschreibung E.T.s als „zwergenhafte, schrumpelige Kreuzung aus Nacktkatze und Monchichi“ finde ich besonders bezaubernd und so zutreffend!
    Danke für diesen Artikel, der so viele Erinnerungen weckt.

    1. Vielen Dank für die Rückmeldung! Wie schön, dass wir diese Erinnerungen teilen können. Herzliche Grüße!